Seit Mirjam Ballmer ihren Rücktritt aus dem Grossen Rat bekannt gegeben hat, fragt sich Basel, ob sie eine Familie gründen will. Männer bekommen diese Frage nie zu hören.
Wenn eine erfolgreiche Frau ihrer Karriere den Rücken kehrt, dann muss wohl die Familie der Grund sein. Zumindest scheint das jeder zu denken, wenn man sich die Reaktionen auf Mirjam Ballmers Rücktritt aus der Politik anschaut. Die Grüne will ab April nicht mehr Grossrätin sein. Damit setzt sie einer vielversprechenden Karriere ein jähes Ende: Sie verwirkt sich die Chance, Regierungsrätin zu werden, sollte Guy Morin bei den Wahlen am 23. Oktober nicht mehr antreten.
Weil Mirjam Ballmer nicht nur eine Frau, sondern auch noch jung ist (33 Jahre) und zudem zu ihrem Lebenspartner nach Fribourg zieht, kamen prompt die entsprechenden Reaktionen. Ex-BZ-Chefredaktor Matthias Zehnder fragte sie im Interview, ob sie nun ein Heimchen am Herd werde. Sogar linke Politikerinnen erzählen, ihre erste Frage an Ballmer sei gewesen: «Bist du schwanger?»
Das sind genau die Reaktionen, die Mirjam Ballmer nicht will. «Ich wehre mich dagegen, dass mein Rücktritt als Klischee wahrgenommen wird», sagt sie. Es sei typisch, dass man Frauen bei jedem Entscheid unterstelle, es gehe nur um die Familie.
«Männer fragt auch niemand, wie sie sich das vorstellen mit Familie und Politik.»
Das Problem kennt auch Sarah Wyss, obwohl auch sie keine Kinder hat. Die Sozialdemokratin ist 28 Jahre alt und damit noch unter der Altersgrenze, bei der die biologische Uhr zu ticken beginnt. Dennoch heisse es ständig von anderen Politikern oder Bekannten: «Willst du keine Familie?» Und: «Wie willst du Kinder haben, wenn du politisch so engagiert bist?» Auch würden ihr Leute raten, doch gescheiter zuerst Kinder zu haben und die Politik auf später zu verschieben. Das nervt Wyss: «Männer fragt auch niemand, wie sie sich das vorstellen mit Familie und Politik.»
Auch Mann muss entscheiden
Fragen wir trotzdem bei einem Mann nach. Mit seinen 40 Jahren ist er zwar schon ein wenig älter als Wyss oder Ballmer, dafür aber erst gerade Vater von Zwillingen geworden: SP-Grossrat Pascal Pfister. Als wir ihn um 10.20 Uhr anrufen, meldet sich die Combox. Um 12.30 Uhr ruft Pfister zurück und entschuldigt sich. Er habe ausschlafen müssen. «Meine Kinder haben mich in der Nacht wachgehalten.»
Er sei bisher noch nie gefragt worden, wie er gedenke, seine Zwillinge, sein politisches Engagement und seine Arbeit als Gewerkschaftssekretär bei der Unia unter einen Hut zu bringen. «Alle gehen davon aus, dass meine Partnerin schaut und ich weitermache», sagt Pfister. Er selber macht sich aber Gedanken. Er habe sein Arbeitspensum auf 70 Prozent reduziert und sei am Freitag zu Hause bei den Kindern.
Dennoch macht er sich ein wenig Sorgen. Denn als Gewerkschafter müsse er am Wochenende oft an Aktionen teilnehmen. «Doch ich will dann auch für meine Kinder da sein.» Für Pfister ist klar: «Ob Mann oder Frau, richtig Karriere machen und für die Kinder da sein, geht nicht.»
Klassische Karriereleiter ist nicht mehr attraktiv
Wenn man Nora Bertschi glaubt, ist Pfister eine Ausnahme. Die 29-Jährige ist Grossrätin für die Grünen, arbeitet 80 Prozent als Juristin in der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, hat ein eineinhalbjähriges Kind und wünscht sich weitere. Das gehe nur, weil ihr Partner die Hälfte der Familienarbeit übernehme. «Aber so einen Mann muss man erst finden – auch unter den Linken», sagt sie.
Allerdings gibt es aus jüngerer Zeit zwei Beispiele von Männern, die aus der Politik ausgestiegen sind. SP-Grossrat Dani Jansen hat seine Familie offiziell als Grund angegeben. Der Freisinnige Elias Schäfer wollte nicht sagen, warum er aus dem Parlament austrat, doch auch bei ihm wurde gemunkelt, es habe mit seinem Nachwuchs zu tun.
Zurück zu Ballmer. Sie sagt, sie sei nun seit acht Jahren in der Politik und noch nie aus Basel weg gewesen: «Jetzt habe ich Lust, einmal etwas anderes zu sehen und zu machen.» Das könne man als Karrierebruch sehen. Doch aus ihrer Sicht sei die klassische Karriereleiter, wie sie viele im Kopf haben, veraltet und entspreche den Vorstellungen vieler junger Männer und Frauen nicht mehr. Wichtig für sie ist die Selbstbestimmung: «Ich will die klischierten Karriereerwartungen der Leute nicht erfüllen. Ich bestimme selbst, welchen Weg ich einschlage.»
Seit 1966 dürfen Frauen in Basel-Stadt wählen und sich wählen lassen. Lange hat die Zahl der Grossrätinnen mit jeder Wahl zugenommen. 2008 betrug der Frauenanteil 37 Prozent, doch dann kehrte der Trend. Im Jahr 2012 waren nur noch drei von zehn Grossräten Frauen, wie die Zahlen des Statistischen Amtes Basel zeigen. Derzeit sitzen im hundertköpfigen Grossen Rat 35 Frauen. Keine Frau gibt es in der FDP-Fraktion.