Populistische Rempelei von rechts

Der Sturm der SVP auf die NZZ scheint vorerst abgewendet, der mediale Durchmarsch von Markus Somm gestoppt. Und vielleicht könnte der Schrecken letztlich zu einer Stärkung der liberalen Bürgerlichen führen.

Passanten umringen eine Zeitungsverkaeuferin, die die Neue Zuercher Zeitung, NZZ, auf dem Bahnhofplatz in Zuerich verkauft, aufgenommen am 26. Juli 1943. Auf ihrem Ruecken haengt eine Schild mit der Schlagzeile des Tages "Der Sturz Mussolinis". (KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str) === , === : FILM, Mittelformat] (Bild: Keystone)

Der Sturm der SVP auf die NZZ scheint vorerst abgewendet, der mediale Durchmarsch von Markus Somm gestoppt. Und vielleicht könnte der Schrecken letztlich zu einer Stärkung der liberalen Bürgerlichen führen.

Die Nachricht, dass ein SVP-naher Mann und Blocher-Jünger neuer Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung» werden könnte, schreckte auf. Eine kleine Schockwelle lief durch die deutsche Schweiz und erreichte sogar die Gestade der Romandie.

Ein Basler Online-Dienst tat dies als Hysterie ab. Doch die Aufregung war mehr als berechtigt und hat die Verantwortlichen möglicherweise davon abgehalten, diese Eventualität umzusetzen.

Abgesehen davon, dass an diesem angeblichen Gerücht leider viel Wahres war, ist die Leitfähigkeit von Gerüchten ein aufschlussreicher Indikator für den Zustand einer Gesellschaft. Insofern machte das bekundete Entsetzen sichtbar, wie gross das Eroberungspotenzial erscheint, das man der rechtsnationalen Truppe zutraut, und wie gering die eigenen Abwehrkräfte nicht ganz zu Unrecht erscheinen. Dies entspricht angesichts der tatsächlichen finanziellen, organisatorischen und motivatorischen Bedrohungsmacht der Gegenseite der Seelenlage des Kaninchens vor der Schlange.

Die NZZ kann trotz ihrer Mitte-Rechts-Position als liberaler Leuchtturm der Schweiz bezeichnet werden. Diese Einschätzung bestätigen die aufgeschreckten Reaktionen bis ins Bundeshaus hinein. Es kam Angst auf, dass aus der NZZ eine zweite BaZ gemacht werden und gleich auch noch zwei weitere Blätter, das «St. Galler Tagblatt» und die «Neue Luzerner Zeitung», in den Strudel geraten könnten.

Bürgerlich ist nicht automatisch alles, was gegen die Linke ankämpfen will, die ihrerseits doch weitgehend verbürgerlicht ist.

Verlautbarungen zu diesem Szenario konnte man bereits am 11. Dezember in der Weltwoche lesen. Kumpel Roger Köppel spurte für seinen beruflich nach Basel abgewanderten ehemaligen Stellvertreter vor: «Die konkrete parteipolitische Aufgabe des neuen NZZ-Chefredaktors besteht vor allem darin, das bürgerliche Lager zu versöhnen, die neurotischen Grabenkämpfe zu entschärfen, SVP und FDP auf eine einigermassen gemeinsame Linie gegen die Linken zu bringen.» Diesen Satz könnte auch Markus Somm, selbst FDP-Mitglied, so geschrieben haben.

Versöhnung des bürgerlichen Lagers? Der ganz entscheidende Punkt für die Zukunft der Schweiz wird sein, dass diese nicht im Sinne der Weltwoche stattfindet.

In der bekannten Okkupantenmentalität, die sich alles Nutzbare ungeniert aneignet, nimmt die SVP für sich in Anspruch, «bürgerlich» zu sein, und leider übernehmen viele Medienschaffende dies höchst unkritisch. Bürgerlich ist nicht automatisch alles, was gegen die Linke ankämpfen will, die ihrerseits doch weitgehend verbürgerlicht ist.

Freche Vereinnahmung

Die SVP ist populistisch-revolutionär und damit das Gegenteil von bürgerlich und liberal. Einen «Freisinn eher blocherscher Prägung» (Köppel) gibt es nicht, er wäre kein Freisinn mehr. Dessen müssten sich Rechtsfreisinnige, die es tatsächlich gibt, ebenfalls vermehrt bewusst sein. Fragt man sich immer wieder zu Recht, ob die SVP eine Wirtschaftspartei sei, weil ihr wirtschaftlicher Liberalismus fragwürdig ist, geht ihr die andere, unbedingt dazugehörende Seite des gesellschaftlichen Liberalismus eindeutig ab.

Wie sehr die rechtspopulistischen Vordenker statt zu «schreiben, was ist», wie sie arrogant für sich in Anspruch nehmen, ihre Wahrnehmung nach ihren Bedürfnissen verbiegen, zeigt Köppels Suggestion, ein SVP-naher Mann würde einen Kurs wie der legendäre NZZ-Chefredaktor Willy Bretscher fahren. Bretschers Witwe verwahrte sich in einem geharnischten Leserbrief gegen diese freche Vereinnahmung und erinnerte daran, dass Bretscher ganz anders als die heutige SVP für die schweizerische Europarats- und UNO-Mitgliedschaft eingetreten sei.

«Wissenslücken» zeigen sich aber nicht nur in Köppels Editorial, sondern auch bei seinem Mitarbeiter Kurt W. Zimmermann, der es in der gleichen Ausgabe für unvorstellbar hält, dass einer der früheren Chefredaktoren entlassen worden wäre. Das wäre aber ausgerechnet dem vielgerühmten, sich nach rechts eindeutig abgrenzenden Willy Bretscher im Sommer 1940 beinahe widerfahren, als rechtsnationale Kräfte mit Druck auf den Verwaltungsrat die Anpassung der NZZ an die damalige Konjunktur der Zeitumstände betrieben.

Der Aufstand der Redaktion

Wie damals konnte auch jetzt die Gefahr von rechts gebannt werden. Beängstigend ist jedoch, dass die Ausrichtung eines Schweizer Leitmediums formell von den Mehrheitsverhältnissen in einem neunköpfigen Verwaltungsrat abhängt. Als die im Familienbesitz befindliche «Basler Zeitung» 2010 mit dem irreführenden Argument, das Blatt in Basel behalten zu wollen, an Blocher und Co. weitergegeben wurde, konnte man auf die vorbildlichen Besitzverhältnisse der NZZ verweisen, die es nicht zulassen würden, dass die publizistische Nahrung einer ganzen Region von einer Kleinstgruppe bestimmt würde. Inzwischen ahnen wir, dass dies auch im Falle der NZZ trotz der breiten Streuung des Aktienkapitals möglich werden könnte.

Köppels jeden Realitätssinn entbehrender Versuchsballon hatte immerhin zur Folge, dass sich auch aus dem Inneren des NZZ-Lagers ein gewaltiger Protest erhob. Diplomatisch dezidiert distanzierte sich der «NZZ am Sonntag»-Chefredaktor über das «Echo der Zeit», der NZZ-Vizechefredaktor drohte mit Kündigung, 60 NZZ-Korrespondenten drückten «ihre Besorgnis» aus, die Leserbriefspalten der NZZ sind voll mit veröffentlichten Kündigungsdrohungen.

Schliesslich protestierten 163 Redaktionsmitglieder (fast die ganze Belegschaft) auch nach der eingetretenen Entwarnung noch und erklärten: «Die Ernennung eines Exponenten nationalkonservativer Gesinnung wäre in unseren Augen das Ende der Kultur einer liberalen und weltoffenen NZZ, die wir mittragen und für die wir uns Tag für Tag publizistisch einsetzen. Sie dürfte darüber hinaus auch ein kommerzielles Desaster einleiten.» Zudem erinnerten sie an das im Redaktionsstatut verbriefte Anhörungsrecht.

Das Vorpreschen der äusseren Rechten könnte nun die wirklich bürgerlichen Kräfte gestärkt haben. Franz Steinegger, langjähriger Parteipräsident und späterer Verwaltungsratpräsident der NZZ, liess sich in der «SonntagsZeitung» zitieren: «Wenn sich die NZZ sogar in den Kampfthemen Ausländer und Anti-Bilateralismus auf die Seite der SVP schlägt, hat die FDP ein grosses ­Problem. (…) Die NZZ kann es sich nicht leisten, die Seele der FDP anzugreifen.»

Verantwortungslose Personalpolitik

Man muss sich allerdings fragen, wie es überhaupt möglich ist, dass ein Markus Somm, wie übereinstimmend erklärt wird, im Moment der Chefredaktoren-Vakanz überhaupt zu «Gesprächen» eingeladen wurde. Entweder kennen die Einladenden, insbesondere VR-Präsident Etienne Jornod, die Somm-Publizistik nicht, oder diese erscheint ihnen akzeptabel. Beides wäre verantwortungslos.

Sonderbar ist sodann, dass man Markus Spillmann, den jetzigen Chefredaktor, entliess, bevor man einen Ersatz hatte. Seit Wochen und Monaten sei über die Personalie heftig gestritten worden.

Offenbar waren sich die Hauptverantwortlichen einen Moment lang sicher, in Somm einen valablen Ersatz zu haben. Jetzt aber heisst es plötzlich, die Suche nach einem Nachfolger könnte noch Monate dauern.

Ein Digitalcrack, wie ihn die NZZ benötigt, ist Somm schon gar nicht. In den Augen seiner Promotoren genügte eine bestimmte Gesinnung.

Somm, im persönlichen Umgang a nice guy, hat schon furchtbare Sätze von sich gegeben, die ihn für ein solches Berufungsgespräch disqualifizieren müssten. Nur ein Beispiel: 2009 sprach er sich in einem Fernseh-Club, damals noch als «Weltwoche»-Vizechef, dafür aus, dass in der Schweiz Volksabstimmungen vorbereitet und abgehalten werden dürften, die einen Genozid an allen Linkshändern befürworten würden.

Auch sein verlegerischer Erfolg ist nicht gerade so beschaffen, dass er sich als Retter in ökonomisch enger werdenden Verhältnissen aufdrängen würde. Und ein Digitalcrack, wie ihn die NZZ benötigt, ist er schon gar nicht. In den Augen seiner Promotoren genügte offenbar eine bestimmte Gesinnung.

Der Chefredaktor und Verleger der BaZ scheint es genossen zu haben, dass er sowohl von einem Teil des NZZ-Verwaltungsrats als auch – in Form allerdings einer Horrorvision – von einem Teil der Öffentlichkeit als neuer NZZ-Chefredaktor in Betracht gezogen und gehandelt wurde. So hochgespielt erklärt er, der doch der Verlierer dieses Spielchens ist, mit gespielter Überlegenheit, er habe sich «nach reiflicher Überlegung» entschieden, in Basel seinen Job weiterzumachen.

Reifliche Überlegung? Das suggeriert, dass ernsthafte Chancen vorlagen und er diese nun souverän ausgeschlagen hat, um seine Mission in Basel zu erfüllen. In dem ihm offenbar nahestehenden lokalen Online-Dienst sonnte er sich in den Gerüchten der letzten Tage. Dazu habe auch das Gerücht gehört, dass er, wenn er nicht Chefredaktor anderer bedeutender Schweizer Gazetten werde, auch an die Spitze der «New York Times» geholt werden könnte. Vielleicht bleibt er Basel nur so lange erhalten, bis diese Berufung eintritt.

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