Nach drei Jahren ohne Parlament beginnt in Ägypten am Sonntag ein Wahlmarathon. Im Vordergrund stehen nicht die Probleme des Landes, sondern das Bestreben des Präsidenten, seine Macht ungehindert ausüben zu können.
Die wichtigste Person bei diesen Wahlen ist auf keinem Plakat zu sehen. Das Porträt von Präsident Abdel Fattah al-Sisi darf in der Propaganda nicht verwendet werden, aber eigentlich geht es vor allem um ihn.
Die kurze Kampagne war alles andere als hitzig. Das Interesse der Bürger gedämpft. Wirtschaftskrise und Wahlmüdigkeit sind zu spüren; der Enthusiasmus der Jugend nach der Revolution vom Frühjahr 2011 ist längst verflogen. In den Strassen hängen tausende Transparente. Beachtung finden sie kaum.
Kein Geld für Stimmen
Am Abend fahren Lautsprecherwagen – mal mit Musik, mal ohne – durch die Gassen der Wohnviertel und plärren Namen, Nummern und Erkennungszeichen von einzelnen Kandidaten. Das Internet spielt zum ersten Mal eine grosse Rolle. Direkte Ansprachen an die Wähler und Wählerinnen gibt es dagegen wenig.
Die schon mehrfach verschobenen Parlamentswahlen sind – neben der Einführung einer neuen Verfassung und der Präsidentenwahl – der dritte und letzte Schritt des politischen Neuaufbaus nach der gewaltsamen Entmachtung der Muslimbrüder durch die Armee im Sommer 2013.
Die Zahl der Kandidaten für die 120 Listenplätze und 448 Direktmandate ist unübersichtlich. (Bild: Astrid Frefel)
Das neue Grundgesetz schreibt eine Mischung aus Präsidial- und Parlamentssystem fest. Das bedeutet, dass das aktuelle Staatsoberhaupt al-Sisi deutlich weniger Macht hat als seine Vorgänger. Darum hat er bisher mit Dekreten regiert. Über 400 Gesetze wurden in der parlamentslosen Zeit erlassen. Damit ist der juristische Rahmen für Sisis Regentschaft weitgehend abgesteckt und zementiert. An dieser Konstellation soll sich auch nach der Wahl einer Volkskammer möglichst nichts ändern.
Ja, das Interesse sei gering, obwohl die Wahl wichtig wäre, um Stabilität zu garantieren, meint ein Geschäftsmann in Alexandria. Sein Kollege, ein ehemaliger Offizier, nickt zustimmend und fügt an, diesmal sei vieles anders, vor allem würden keine Wahlgeschenke mehr verteilt, um Stimmen zu kaufen. Früher war das üblich, entweder direkt in Form von Geld oder in Naturalien wie Lebensmittel.
Oppositionelle Kandidaten stehen nicht zur Wahl
«Fi Hob Masr» – aus Liebe zu Ägypten – sagt eigentlich alles. Diese breit gefächerte Koalition tritt im ganzen Land für die 120 zu vergebenden Listenplätze an. Angeführt wird sie von Seif al-Yazal, einem ehemaligen General des Geheimdienstes. Es ist ein loses Bündnis von Parteien und Personen ohne Programm und Ideologie. Lediglich einige Prinzipien wie Rechtsstaat, starke Institutionen oder Privatwirtschaft mit unterstützendem staatlichem Einfluss wurden festgelegt.
Hier haben sich Geschäftsleute, ehemalige Minister aus dem Mubarak-Regime und bekannte Persönlichkeiten zusammengefunden, um den Präsidenten und seine Politik zu unterstützen – sprich, seine Grossprojekte und den Kampf gegen den Terror.
Nur wenige Frauen kämpfen um Mandate. (Bild: Astrid Frefel)
«Fi Hob Masr» koordiniert sich auch mit vielen Einzelkandidaten, die um 448 Sitze kämpfen, die für unabhängige Kandidaten vorgesehen sind. Gemeinsam wollen sie genug Mandate erringen, um die Verfassung zu ändern und dem Präsidenten die verlorene Macht zurückzugeben. Yazal und verschiedene seiner Mitstreiter haben diese Absicht bereits ganz offen angekündigt.
Einen richtigen Wettbewerb gibt es nicht bei diesen Wahlen, die sich in zwei Runden bis in den Dezember hinziehen. Es fehlt eine Opposition. Alle Kandidaten und Kandidatinnen unterstützen den Präsidenten und begnügen sich darüber hinaus mit plakativen Slogans ohne Programm oder Strategie.
Mehrere kleinere Parteien, die nach der Revolution 2011 entstanden sind, nehmen an dem Urnengang nicht teil. Sie sprechen von mangelnder Fairness und einer unethischen politischen Atmosphäre, weil das Regime parteiisch sei.
Wahlerfolg hat, wer über Geld verfügt, die Ägypter sprechen von «politischem Kapital».
Ein kleine liberale Partei hat sich zurückgezogen, weil sie nicht genug Geld hat, um noch einmal einen teuren Gesundheitscheck für ihre Kandidaten zu bezahlen, dem sich diese vor dem verschobenen Wahltermin im Frühjahr bereits unterzogen hatten.
Wahlerfolg hat, wer über Geld verfügt, die Ägypter sprechen von «politischem Kapital», und auf ein grosses Netz aus geschäftlichen und familiären Beziehungen zurückgreifen kann.
Erwartet wird eine Kopie des Mubarak-Parlamentes
Im Wahlkampf fehlen nicht nur die Jungen und die meisten Kräfte, die 2011 hinter der Revolution standen. Auch die Anhänger der Muslimbrüder sind nicht dabei. Lediglich ein paar No-Names aus ihrem Umfeld treten als unabhängige Kandidaten an. Den politischen Islam vertritt nur die ultra-konservative, salafistische al-Nour-Partei. Sie wird von allen andern Gruppierungen aufs heftigste bekämpft. Das ist aber auch das einzige Körnchen Salz in dieser Kampagne.
Die Politologen sind sich einig, dass am Jahresende ein Parlament vereidigt wird, das dem letzten unter Mubarak zum Verwechseln ähnlich sehen wird.