Klagen über zu hohe Preise gehören in Ägypten zum Ramadan wie das Fasten. Aber in diesem Jahr sind sie besonders laut und berechtigt. Durch den Wertzerfall des ägyptischen Pfunds sind Grundnahrungsmittel extrem teuer geworden. Präsident Sisi lässt den Staat einspringen – aus Angst vor sozialen Unruhen.
Umm Yasser muss sich etwas ausruhen. Sie sitzt in der Halle des Ramadan-Marktes «Ahlan Ramadan» in Nasr City. Vor ihr stehen vier volle Einkaufstaschen: Reis, Zucker und Speiseöl, dazu Tomaten und Trauben. «Alles ist hier preiswerter als draussen», freut sich die 60-Jährige, die einige Kilometer weiter in einem der ärmeren Stadtviertel Kairos wohnt.
Die schweren Lasten werden im «Ahlan Ramadan» ganz traditionell auf dem Kopf getragen. Auch viele Christen sind hier, um Geld zu sparen. «Rindfleisch kostet 50 Pfund (rund 5.40 Franken, Red.) das Kilo», sagt Umm Yasser, «das ist die Hälfte des üblichen Preises.» Ihr Sohn hat sich in die Schlange vor dem Fleischstand gestellt. Über dem Stand prangt der Schriftzug «Lang lebe Ägypten», der Slogan, der für alle Initiativen von Präsident Abdelfattah al-Sisi steht.
An diesem Morgen ist es in den Markthallen relativ ruhig, die Schlangen sind kurz. Als «Ahlan Ramadan» jedoch wenige Tage vor Beginn des Fastenmonats eröffnet wurde, war der Andrang riesig; die Leute nahmen stundenlange Wartezeiten in Kauf. Für Sonderangebote von privaten Supermärkten haben sich die Wartenden fast geprügelt.
Angst vor sozialen Unruhen
Solche Märkte wie «Ahlan Ramadan» hat das Ministerium für Versorgung im ganzen Land organisiert. Besonders gefragt sind Reis, ein wichtiges Grundnahrungsmittel, und Fleisch. Es gibt Mengenbeschränkungen, damit die Ware nicht weiterverkauft wird.
Insbesondere Reis hat sich in den vergangenen Wochen stark verteuert. Der Präsident, der in diesen Tagen seit zwei Jahren im Amt ist, hat auf den Unmut in der Bevölkerung über steigende Preise reagiert, die bei einzelnen Produkten in wenigen Monaten um bis zu einem Drittel geklettert sind.
Die Regierung hat spezielle Ramdan-Märkte mit verbilligten Grundnahrungsmitteln organisiert. Für Reis, Zucker und Öl herrscht reissender Absatz (Bild: Astrid Frefel)
40 Prozent des Einkommens geben ägyptische Familien im Durchschnitt für Nahrungsmittel aus. Im Fastenmonat Ramadan wird überdurchschnittlich viel konsumiert. Die Tradition im heiligen Monat verlangt wenn möglich Fleisch und spezielle Süssigkeiten zum Mahl des Fastenbrechens bei Sonnenuntergang. Für teure Extras wie Nüsse und Trockenfrüchte ist die Nachfrage merklich zurückgegangen.
Gerade weil im Ramadan traditionell viel konsumiert wird, ist auch die schwierige Wirtschaftslage zu dieser Zeit am deutlichsten spürbar. Sie ist die grösste Herausforderung für den Präsidenten. Seit der Revolution von 2011 hat das Thema soziale Gerechtigkeit einen ganz anderen Stellenwert erhalten. Soziale Unruhen fürchtet Sisi derzeit mehr als politische Opposition.
Auch in seiner Amtszeit ist die Armut weiter gestiegen. Sie beträgt nun über 26 Prozent. Von der Weltbank unterstützte Cash-Programme für die Ärmsten, insbesondere in Oberägypten, die helfen sollen, dass Kinder zur Schule gehen, sollen 1,5 Millionen Familien zugutekommen. Aber auch das ist nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein; vor allem angesichts der rasant wachsenden Bevölkerung, die im letzten halben Jahr wieder um eine Million auf 91 Millionen Einwohner gestiegen ist.
Mehr Subventionen und Geschenke
Die Inflation ist mit 12,7 Prozent so hoch wie seit sieben Jahren nicht mehr. Vor dem Fastenmonat Ramadan hat der Präsident das Ministerium für Versorgung angewiesen, verbilligte Grundnahrungsmittel anzubieten, auch um dem Teuerungstrend entgegenzuwirken. So hat das Ministerium 110’000 Tonnen Reis auf den Markt geworfen.
Besonders gefragt auf den Ramadan-Märkten der Regierung ist Fleisch, das nur halb so teuer ist wie in normalen Geschäften. (Bild: Astrid Frefel)
Die Preissteigerung der letzten Monate ist durch den Wertzerfall des ägyptischen Pfunds verursacht. Neben den Vergünstigungen, die den Staat mehrere Hunderttausend Dollar kosten, hat die Regierung nun auch den Subventionsbetrag erhöht, mit dem über eine sogenannte Smart Card Lebensmittel bezogen werden können. 80 Prozent der Ägypter besitzen solche Rationierungskarten. In drei Tagen war die Hälfte der Subventionen – vor allem für Brot gedacht – für den Monat Juni konsumiert, und das elektronische System war zeitweise überlastet, erklärte der zuständige Minister Khaled Hanafi.
Gratisessen von der Polizei
Umm Yasser ist dem Präsidenten dankbar für seine Initiative. Es ist das erste Mal, dass es solche Ramadan-Märkte gibt. Aber Umm Yassar gehört nicht zu den Ärmsten. Die leben das ganze Jahr von der Hand in den Mund, das Geld kommt oft aus den unregelmässigen Quellen eines Taglöhners oder einer Strassenhändlerin.
Diese Menschen sind vor allem im Ramadan auf Spenden angewiesen, zum Beispiel von Hilfsorganisationen und Geschäftsleuten. Aber auch die spüren die Krise. Manche der Ramadan-Tische für Arme sind in diesem Jahr viel kleiner ausgefallen. Besonders aktiv sind in dieser Zeit aber auch Polizei und Armee, die Zehntausende Ramadan-Boxen an Bedürftige verteilen und Gratisessen am Abend zum Fastenbrechen ausgeben, um ihre Nähe zum Volk unter Beweis zu stellen.