Pressefreiheit, ade!

Der türkische Premierminister Binali Yıldırım sagt, die EU habe ihn nicht zur Pressefreiheit zu belehren. In Europa selbst scheinen sich einige Regierungen an der Türkei zu orientieren. Europa verliert seine Vorbildfunktion für freie Medien.

Demonstrators shout slogans during a protest against the arrest of three prominent activists for press freedom, in central Istanbul,Turkey, June 21, 2016. REUTERS/Osman Orsal - RTX2HFFQ

(Bild: © Osman Orsal / Reuters)

Der türkische Premierminister Binali Yıldırım sagt, die EU habe ihn nicht zur Pressefreiheit zu belehren. In Europa selbst scheinen sich einige Regierungen an der Türkei zu orientieren. Europa verliert seine Vorbildfunktion für freie Medien.

Es steht schlecht um die Freiheit der Medien auf der Welt, und zwar nicht nur in China, Nordkorea und Eritrea, sondern auch in Europa. In der Türkei – weiterhin offizieller EU-Beitrittskandidat – wird dies auf brutale Art deutlich.

Am Montag wurden der Chefredaktor der regierungskritischen «Cumhuriyet» Murat Sabuncu und 13 weitere Redaktoren festgenommen. Vermeintliche Kontakte zur PKK und der Gülen-Bewegung dienen dem Erdogan-Regime derzeit als Rechtfertigung, um repressiv gegen Kritiker vorzugehen.

Linke und kurdische Medien sind weitestgehend ausgeschaltet, nun steht dieses Schicksal womöglich auch der regierungskritischen «Cumhuriyet» bevor. Im September erhielt die Redaktion den alternativen Nobelpreis für «ihren furchtlosen investigativen Journalismus und ihr Bekenntnis für Meinungsfreiheit ungeachtet von Unterdrückung, Zensur, Verhaftungen und Morddrohungen».

Hauptsache, die Türkei hält die Flüchtlinge draussen

Am Mittwoch wurde der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan von der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen zum «Feind der Pressefreiheit» ernannt. Er zähle zu den 35 Staats- und Regierungschefs, Organisationen und Geheimdiensten, welche die «Pressefreiheit durch Zensur, willkürliche Verhaftungen, Folter und Mord» unterdrücken, teilte die Organisation mit.

Christian Mihr, der Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen, beschreibt das Ausmass der jüngsten Repressionswelle: «Seit dem Putschversuch ist die Türkei schon jetzt das Land mit den meisten inhaftierten Journalisten weltweit. Aktuell sind es mehr als 130 und damit deutlich mehr als in notorisch repressiven Staaten wie China und Iran.» Mindestens 140 Medien seien geschlossen worden.

Im südlich von Kroatien gelegenen Montenegro werden Journalisten besonders häufig Opfer von körperlichen Angriffen. Nach Angaben der montenegrinischen «Human Rights Action» wurden seit dem Jahr 2012 69 Journalisten, aufgrund ihrer Arbeit, Opfer von tätlichen Angriffen. Allein im Jahr 2015 waren es demnach 23. In einem Land mit 625’000 Einwohnern ist das eine beachtliche Zahl.

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen halten die Anklage nicht für stichhaltig. Montenegro soll bald Nato-Mitglied werden, und auch die EU-Beitrittsverhandlungen sind weiter fortgeschritten als bei jedem anderen Beitrittskandidaten.

Europa droht, seine Vorreiterrolle zu verlieren

Auf der Top-Ten-Liste der Länder mit der höchsten Pressefreiheit liegen weiterhin fünf EU-Staaten. Die Schweiz ist auf Rang 7. Doch Christian Mihr warnt: «Insgesamt erleben wir schon seit einiger Zeit eine Erosion der europäischen Vorreiterrolle auf diesem Gebiet.» Die genannten Beispiele zeigen, dass Brüssel andere Prioritäten setzt und die Einschränkung der Pressefreiheit zumindest toleriert.

Mihr kritisiert: «Eigentlich hat die EU Sanktionsmöglichkeiten bis hin zum Entzug der Stimmrechte im Europäischen Rat, wenn Mitgliedsstaaten schwerwiegend und nachhaltig die Grundwerte aus den europäischen Verträgen verletzen. Leider ist die EU bislang sehr zögerlich gewesen, von diesen Möglichkeiten auch entschlossen Gebrauch zu machen.»

Insofern muss sich die EU tatsächlich die Frage gefallen lassen, ob sie anderen Staaten etwas über rote Linien bezüglich der Pressefreiheit predigen kann, wenn innerhalb der Union die massive Einschränkung derselben toleriert wird. Der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım ist nur der falsche Fragesteller.

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