Die Polizei verbietet ein Fest eines türkischen Kulturvereins, an einem Junioren-Fussballspiel eskaliert der Streit zwischen Kurden und türkischen Nationalisten. Die Lage ist auch in Basel angespannt.
Hüseyin Yilmaz versteht die Welt nicht mehr. Die Polizei hat am Freitag sein Fest abgesagt, das 20-Jahr-Jubiläum seines türkischen Kulturvereins. Der Grund: Die Polizei könne die Sicherheit und öffentliche Ordnung nicht mehr gewährleisten.
Yilmaz‘ Verein steht den Grauen Wölfen nahe, einer ultranationalistischen türkischen Partei, die in den 1970er- und 1980er-Jahren zahlreiche politische Morde in der Türkei verübte. Bis jetzt war der politische Hintergrund des Vereins für die Polizei kein Grund, bei den jährlich stattfindenden Festen einzuschreiten. Jetzt schon.
Denn seit dem vergangenen Sommer herrscht in der Türkei Ausnahmezustand, am 16. April stimmen Menschen mit türkischem Pass über eine Verfassungsänderung ab, die den Präsidenten Recep Tayyip Erdogan noch mächtiger macht. Auch in der Schweiz spaltet das die türkische Diaspora.
Auf Distanz zu Gewalt
Ein Event, organisiert von türkischen Nationalisten, erscheint so in einem anderen Licht. Die Nachricht der «bz Basel», dass der Kulturverein von Yilmaz einen hohen Vertreter der Grauen Wölfe nach Reinach holt, hallte landesweit nach. Bald meldete die Antifa eine Gegendemonstration an, Politiker diskutierten über ein Verbot der Veranstaltung.
Dass es nun tatsächlich so weit kam, erstaunt Yilmaz. Die Veranstaltung sollte keine politischen Botschaften transportieren, sagt er. «Das garantiere ich.» Auch wolle man sich nicht von einer Gegendemonstration provozieren lassen. «An das Fest wären Frauen und Kinder gekommen. Sie können doch nicht annehmen, dass wir in einem solchen Setting gewalttätig auftreten.»
Die als extremistisch eingestufte Partei der Grauen Wölfe, die Milliyetçi Hareket Partisi (MHP), sei eine «normale nationalistische Partei», erklärt Yilmaz, «so wie die SVP». Die Gewalttaten gehörten der Vergangenheit an. Auch mit Ausschreitungen, wie sie sich 2015 in Bern ereigneten, hätten die Schweizer Kulturvereine mit MHP-Verbindung nichts zu tun.
Man grüsst sich
«Über unserem Vereinslokal befindet sich ein kurdisches Café. Mit den Besuchern haben wir seit 20 Jahren keine Probleme. Im Gegenteil: Wir grüssen uns freundlich.» Im MHP-nahen Verein seien auch Kurden dabei, so Yilmaz weiter. PKK-Anhänger seien jedoch nicht unter den Mitgliedern.
«Unser Verein gehört zwar zu einer politischen Partei, wir machen jedoch keine Politik.» Ihr Ziel sei, die Integration der hier lebenden Türken zu fördern.
«Wir leben gut zusammen mit den Kurden», sagt Yilmaz. Durch den Putschversuch in der Türkei im vergangenen Sommer und das anstehende Referendum habe sich an diesem Verhältnis nichts verändert.
Radikale Kräfte in der Minderheit
Für Hasan Kanber ist das anders. Hass und Hetze hätten über Propagandakanäle der türkischen Regierung und die sozialen Medien Basel erreicht, haben die türkischstämmige Community gespalten, resümiert das Vorstandsmitglied der alevitischen Gemeinde. «Erdogan hat sein Ziel erreicht und die Gesellschaft in zwei Lager geteilt.»
Kanber nennt die Entwicklung bestürzend: «Es gibt keinen Dialog mehr zwischen den beiden Seiten, dem Nein-Lager und den Erdogan-Sympathisanten.»
Die radikalen Kräfte seien in der Minderheit, sagt Kanber. Aber er befürchtet, dass die Lage in Basel nicht mehr lange ruhig bleiben wird. «Dass bald die einfachen Leute aufeinander losgehen», und damit jahrelange, erfolgreiche Integrationsbemühungen zunichte gemacht werden.
«Der Konflikt wird jede Minute stärker»: Hasan Kanber sorgt sich. (Bild: zVg)
Öcalan-Flaggen und Handgemenge
Das polizeiliche Verbot der Reinacher Feier begrüsst er. Die alevitische Gemeinschaft hatte in einer Medienmitteilung gefordert, die Veranstaltung dürfe nicht stattfinden. «Auf solche Provokationen können wir verzichten», sagt Kanber. Die Aleviten hätten auch eine grosse Demonstration dagegen organisieren können, aber das hätte die Spannungen nur noch verschärft: «Laute Proteste können mehr Schaden anrichten, als sie nützen – das haben wir über die Jahre gelernt.»
Die Stimmung ist auch so schon gereizt. Kanber arbeitet als Integrationsbeauftragter beim Nordwestschweizerischen Fussballverband. An einem Junioren-Spiel im Winter zwischen dem kurdisch geprägten FC Ferad und dem von sunnitischen Türken gegründeten Verein Türkgücü fand der Konflikt den Weg an den Fussballplatz. Ein Anhänger von Ferad schwenkte eine Flagge mit dem inhaftierten Kurdenführer Abdullah Öcalan, es kam zu einem Handgemenge und Protestnoten an den Verband.
Der hat reagiert, hat alle Vereine angeschrieben und auf das Verbot hingewiesen, politische Symbole zu zeigen. Kanber wirkt nicht allzu optimistisch, dass es nach der Winterpause ruhig bleibt: «Nach unserem Brief gab es keine weiteren Vorfälle, aber ein mulmiges Gefühl bleibt. Die Leute spielen ja nicht nur zusammen Fussball, sie arbeiten auch in denselben Betrieben. Wie soll das funktionieren bei all den Gehässigkeiten?»
Nervosität steigt
Kanber fragt sich oft, wie es so schnell zu dieser irreparabel scheinenden Trennung der türkischstämmigen Gesellschaft kommen konnte. Er sagt: «Religiöse Gräben gab es schon immer, das konnten auch alle akzeptieren. Aber seit dem missglückten Putschversuch haben sich Religion und Nationalismus vermischt.»
Er fragt sich auch, wie der Hass wieder aus den Köpfen verschwindet. Seine Hoffnung: Dass das türkische Volk am 16. April die Verfassungsreform ablehnt und Erdogan seine Rhetorik abschwächt und Allmachtsansprüche aufgibt. «Jede Minute wird der Konflikt stärker, steigt die Nervosität, die Angst vor Repressalien», beschreibt Kanber die Lage in Basel. «Wir brennen darauf, endlich abstimmen zu gehen.»