Putin gibt den gütigen Zaren

Nächster Akt im Schauspiel, das Putins bekanntesten Kritikern plötzlich Freiheit beschert: Nach Michail Chodorkowskis überraschender Begnadigung durften am Montag auch Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina von der Punkband Pussy Riot ihre Straflager vorzeitig verlassen.

Wladimir Putin spielt in Russland den wohlwollenden Machthabe – nach Sotschi dürfte die Lage anders sein. (Bild: Keystone)

Nächster Akt im Schauspiel, das Putins bekanntesten Kritikern plötzlich Freiheit beschert: Nach Michail Chodorkowskis überraschender Begnadigung durften am Montag auch Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina von der Punkband Pussy Riot ihre Straflager vorzeitig verlassen.

Mit bunten Wollmasken hatten sie im Februar 2012 in einer Moskauer Kathedrale gegen Wladimir Putin protestiert und waren daraufhin wegen «Rowdytums aus religiösem Hass» zu je zwei Jahren Haft verurteilt worden. Erst vor wenigen Tagen beschloss die russische Staatsführung eine Massenamnestie, die nun auch den Pussy-Riot-Frauen die Freiheit zurückgibt.

Nach ihrer Entlassung sagte Aljochina dem Fernsehsender Doschd: «Ich halte die Amnestie nicht für einen Akt der Humanität, sondern für einen PR-Trick.» Hätte sie eine Möglichkeit gehabt, «die Freilassung abzulehnen», hätte sie das getan.

Auf die Frage, was zu Putins überraschender Milde geführt hat, gibt es keine klare Antwort, nur Erklärungsversuche. Die positive Aufmerksamkeit kurz vor den Olympischen Spielen in Sotschi, dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen.

Der gütige Zar

Aljochina und Tolokonnikowa wären offiziell im kommenden März freigekommen. Chodorkowski hätte seine umstrittene Strafe im August verbüsst. Dann aber hätte sich Putin kaum als gütiger Zar in Szene setzen können. Alexandra Hildebrandt, Leiterin der Gedenkstätte am Checkpoint Charlie, wo Chodorkowski am Sonntag zur Pressekonferenz lud, dankte Putin für seine Entscheidung. Chodorkowski lächelte dabei nur höflich, er sagte, es falle ihm schwer von Dankbarkeit zu sprechen. In Berlin verkündete er, auf eine Karriere in der Politik und auf den Kampf um sein ehemaliges Yukos-Imperium verzichten zu wollen. Für Putin geht also kaum mehr Gefahr von Chodorkowski aus.

Der Präsident, so sehen es die meisten Beobachter, habe seine Entscheidung über Chodorkowski und Pussy Riot aus einer Position neuer Stärke heraus getroffen. In den vergangenen Monaten konnte Russland bei der Vermittlung im Syrien-Krieg und bei den Atomgesprächen mit dem Iran international punkten. Putin führte die USA vor, indem er Whistleblower Edward Snowden Asyl gewährte. Sein Einfluss war es ausserdem, der das lange geplante Abkommen der Ukraine mit der Europäischen Union plötzlich platzen liess. Stattdessen bindet Putin den Nachbarn nun enger an Moskau.

Negativ-Schlagzeilen

Das Forbes-Magazin kürte den Kreml-Herrn vor Kurzem zum mächtigsten Mann der Welt. Putin ist einflussreich wie nie. Auch in der Heimat sitzt er längst wieder fest im Sattel, von der Opposition geht keine Gefahr für ihn aus. «Die Proteste sind weitgehend im Sand verlaufen», erklärt Dmitri Trenin, Direktor des Moskauer Carnegie Centers. Und Putin sei der Gewinner.

Da kann er sich erlauben, ein wenig Gnade zu zeigen. Wobei kaum die von Putin genannten humanitären Gründe ausschlaggebend sein dürften, wohl aber Kalkül. Die umstrittenen Urteile gegen Chodorkowski und Pussy Riot führten immer wieder zu Kritik aus dem Westen. Diesen Altlasten hat sich Putin nun entledigt. Und auch die Greenpeace-Aktivisten, die im Herbst gegen Ölbohrungen in der Arktis protestierten, sorgen künftig nicht mehr für Negativ-Schlagzeilen. Sie profitieren ebenfalls von der Amnestie.

Sotschi im Fokus

Russlands Nummer eins wagt eine Imagepolitur vor den im Februar startenden Winterspielen. «Putin zeigt dem Westen ein freundliches Gesicht», kommentiert die oppositionelle Journalistin Masha Gessen. Dieses präsentiere er nach aussen, damit die Spiele reibungslos über die Bühne gehen. Mehrere hochrangige Politiker hatten in den vergangenen Tagen einen Besuch in Sotschi abgesagt.

Nach innen laute Putins Botschaft Gessen zufolge jedoch weiterhin: Protest wird hart bestraft. Sie verweist auf die weniger bekannten Angeklagten, die im Mai 2012, am Vorabend Putins Vereidigung, in Kremlnähe protestierten. Ein paar von ihnen kommen durch die Massenamnestie frei, die meisten aber bleiben in Haft, ebenso Chodorkowskis Geschäftspartner Platon Lebedew.

Auch andere Beobachter sind sicher: Chodorkowski und Pussy Riot bedeuten keinen Kurswechsel zu Rechtsstaatlichkeit und liberaler Politik in Russland. «Putin wird nach Sotschi seine Ehre wiederherstellen wollen», glaubt Jelena Kostjutschenko, Journalistin der kremlkritischen «Nowaja Gaseta». Sie meint damit: «Die Gefangenen, die heute freigelassen wurden, bedeuten neue Verhaftungen morgen.»

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