Das Zerwürfnis mit Russland könnte den Kurdenkonflikt in der Türkei anfachen. Es gibt erste Hinweise auf einen möglichen Schulterschluss Moskaus mit der PKK. Historisch wäre das kein Novum.
«Null Probleme mit den Nachbarn»: Das war die politische Maxime von Ahmet Davutoglu, als er 2009 das Aussenministerium in Ankara übernahm. Sechs Jahre später – Davutoglu ist inzwischen Ministerpräsident – könnte man sagen: Die Türkei hat nicht null, sondern nur Probleme mit ihren Nachbarn. Mit fast allen liegt sie im Streit, darunter frühere Verbündete wie Israel und Ägypten.
Im Nahen Osten und Nordafrika hat sie ihren Einfluss weitgehend verloren. Die vielleicht folgenschwerste aussenpolitische Entwicklung ist der Bruch mit Russland, den die Türkei Ende November mit dem Abschuss des russischen Kampfbombers im syrisch-türkischen Grenzgebiet heraufbeschworen hat. Führt das Zerwürfnis jetzt zu einem Schulterschluss Moskaus mit der kurdischen Guerillabewegung PKK? Für Ankara wäre das ein Albtraum.
Die Türkei und Russland haben nach dem Ende des Kalten Krieges enge wirtschaftliche Beziehungen geknüpft. Russland ist der wichtigste Energielieferant der Türkei, die ihrerseits wiederum den Russen als Korridor für Gaslieferungen nach Westeuropa dienen könnte. Für die türkischen Exporteure und Baukonzerne ist Russland ein wichtiger Markt. Auch politisch kam man sich näher. Viele Beobachter glaubten sogar eine Wesensverwandtschaft des «Sultans» Recep Tayyip Erdogan mit dem «Zaren» Wladimir Putin zu erkennen. Unähnliche Charaktere sind die beiden jedenfalls nicht – was ihre neue Feindschaft jetzt so unerbittlich macht.
Gemeinsame Interessen rücken für die eigenen in den Hintergrund
Der Syrienkonflikt hat die jahrhundertealte Rivalität beider Länder um den Einfluss im Nahen Osten und Mittelasien wieder erwachen lassen und gemeinsame Interessen in den Hintergrund gedrängt. Präsident Erdogan hat sich früh auf den Sturz des Assad-Regimes festgelegt, vor allem, weil Assad nicht in sein Konzept einer «sunnitischen Achse» passt, die er unter Führung der Türkei im Nahen Osten und Nordafrika zu schmieden versucht. Russland stützt dagegen seinen traditionellen Verbündeten in Damaskus, um seine Militärstützpunkte in Syrien zu verteidigen, darunter die einzige russische Marinebasis im Mittelmeer.
Aus diesen gegensätzlichen Interessen ergeben sich unterschiedliche Allianzen. Die Türkei versteht sich als Schutzmacht der syrischen Turkmenen, die gegen das Regime in Damaskus kämpfen – und deshalb Ziel russischer Luftangriffe werden. Der brisanteste Faktor in diesem Geflecht widerstreitender Interessen sind die syrischen Kurden und ihre dominierende politische Bewegung, die Partei der Demokratischen Union (PYD). Ihr Ziel ist eine kurdische Selbstverwaltung im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei.
Die Aussage des russischen Aussenministers, die aufhorchen liess
In Ankara fürchtet man, dass dies neuen Autonomiebestrebungen der türkischen Kurden wecken könnte – zumal die PYD ein direkter Ableger der verbotenen PKK ist. Die PYD gilt in Ankara deshalb als genauso grosse Bedrohung wie die IS-Terrormiliz, wenn nicht sogar als noch gefährlicher. Zusätzlich kompliziert wird die Gemengelage dadurch, dass die bewaffneten Kämpfer der PYD sich in Syrien erfolgreich dem IS entgegenstellen. In der türkischen Hauptstadt horchte man daher auf, als der russische Vizeaussenminister Alexei Meschkow jetzt erklärte, die Kurden dürften von den Verhandlungen über einen Friedensprozess in Syrien nicht ausgeschlossen werden, zumal sie «in Syrien und im Irak der terroristischen Bedrohung so erfolgreich begegnen».
Meschkows Äusserung kann als Unterstützung für die PYD und damit für die PKK interpretiert werden. Das ist historisch kein Novum. Schon in den 1980er-Jahren unterstützten die damalige Sowjetunion und das Assad-Regime, Moskaus engster Verbündeter im Nahen Osten, die PKK. Nordöstlich von Moskau unterhielt die PKK sogar noch in den 90er-Jahren ein Trainingslager. Die Frage ist, ob es jetzt bei politischen Solidaritätsadressen bleibt. Würde Russland darüber hinausgehen und die PKK militärisch unterstützen, bekäme der gerade wieder aufflammende Kurdenkonflikt in der Südosttürkei eine ganz neue Dimension.