Wladimir Putin und Tayip Erdogan haben das Heu nicht in allen Belangen auf der gleichen Bühne, dennoch demonstrieren sie Harmonie beim Besuch des russischen Präsidenten in Ankara. Warum? Eine Analyse.
Diese beiden Präsidenten können miteinander, das merkte man schon an der herzlichen Begrüssung, die Wladimir Putin am Montag in Ankara durch seinen türkischen Gastgeber Recep Tayyip Erdogan zuteil wurde. Gewiss, es gibt Meinungsverschiedenheiten zwischen der Türkei und Russland. In der Syrienpolitik gehen die Ansichten beispielsweise weit auseinander: Erdogan arbeitet auf den Sturz des Assad-Regimes hin, Putin ist hingegen der engste Verbündete des Despoten von Damaskus. Ein weiterer Streitpunkt ist Russlands Annexion der Krim – die Türkei sieht sich als Schutzmacht der muslimischen Krimtataren.
Aber Erdogan und Putin sind entschlossen, diese Differenzen auszuklammern. Es ist nicht nur eine politische Wesensverwandtschaft, die diese beiden Machtpolitiker miteinander verbindet. Es geht um handfeste Interessen. Russland ist der grösste Energielieferant der Türkei. Rund 65 Prozent ihres importierten Erdgases beziehen die Türken aus Russland, womit die Türkei für den Staatskonzern Gazprom der zweitwichtigste Abnehmer im Westen nach Deutschland ist.
Russland baut bei Akkuyu ein AKW
Ankara will zwar unabhängiger von Energie-Importen werden, aber auch da hat Russland bereits den Fuss in der Tür: Der Staatskonzern Rosatom baut gegenwärtig für rund 20 Milliarden Dollar das erste türkische Atomkraftwerk bei Akkuyu an der Mittelmeerküste. Rosatom wird den Atommeiler auch betreiben. Im vergangenen Jahr belief sich das bilaterale Handelsvolumen zwischen der Türkei und Russland auf knapp 33 Milliarden Dollar. Putin und Erdogan haben ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2020 soll sich der Warenaustausch auf 100 Milliarden Dollar verdreifachen. Das muss keine Utopie sein. Im Oktober erreichten die russischen Ausfuhren in die Türkei eine neue Rekordmarke.
Die Türkei profitiert davon, dass sie nicht Mitglied der EU ist und sich daher nicht an die Sanktionen halten muss.
Auch in der Gegenrichtung brummt das Geschäft. Die Türkei profitiert davon, dass sie nicht Mitglied der EU ist und sich daher nicht an die Sanktionen halten muss, die Brüssel wegen des Ukraine-Konflikts gegen den Kremls verhängt hat. Nicht nur die türkischen Obst- und Gemüseexporte verzeichnen einen starken Anstieg. Nach Angaben des türkischen Agrarministers Mehdi Eker hat die Türkei ihre Ausfuhren von Fisch und Geflügel nach Russland in den ersten neun Monaten des Jahres um 447 Prozent gesteigert.
Vor dem Hintergrund der Kriege und Konflikte in Nahost und Nordafrika, die der Türkei spürbare Export-Einbussen bescherten, werden die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland umso wichtiger. Aber auch politisch entdecken Putin und Erdogan Gemeinsamkeiten. Beide haben als Politiker international nicht mehr viele Freunde, ihre Länder sind aussenpolitisch zunehmend isoliert. Das spricht dafür, zusammenzuhalten. Da trifft es sich aus Putins Sicht auch gut, dass die Türkei 2015 den Vorsitz in der G20-Staatengruppe übernimmt und das Gipfeltreffen ausrichten wird. Erdogan wird schon dafür sorgen, dass sein Freund Putin nicht am Katzentisch sitzen muss.