Teile der Linken haben sich beim neobliberalen Gesellschaftsumbau die Hände schmutzig gemacht. Um der AfD etwas entgegensetzen zu können, müssen die linken Parteien kooperieren und offensiv werden.
In Deutschland ist man verwundert, bestürzt und auch verwirrt über den Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD). Die Verwirrten haben im «Spiegel» einen medialen Ansprechpartner. Er widmet dem Aufstieg der rechtspopulistischen AfD einen langen Artikel (Ausgabe 12/2016). Das Geraune von der «Lügenpresse» hätte erneut Nahrung gefunden, wenn der «Spiegel» es nicht getan hätte.
Mein eigentliches Problem besteht aber im Titel des Leitartikels: «Herzlich Willkommen». Das ist auch so gemeint. Die AfD sei eine Partei der Mitte, so der in dieser Hinsicht wohl etwas bescheidene Autor Dirk Kurbjuweit. Der Grund: Weil so viele sie gewählt hätten. Wie bitte? Ohne einen Vergleich in der Sache auch nur nahelegen zu wollen: War die NSDAP dann auch eine Partei der Mitte? Es waren ja auch nicht so wenige, die sie wählten.
Seit der Finanzkrise war in Deutschland alles Mögliche Thema öffentlicher Auseinandersetzung – ausser Fragen der Verteilungsgerechtigkeit.
Diejenigen, die verwundert sind, haben offenbar übersehen, dass in Deutschland seit 2008, also seit der Finanzkrise, alles Mögliche Thema öffentlicher Auseinandersetzung gewesen ist, aber nicht Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Seit dem Jahr 2009 ist es gewissermassen auch amtlich, nämlich in Gestalt von Wahlergebnissen: Das «linke Lager» (das heisst alle, die links von Liberalen und Konservativen wählen) schrumpft.
Dass es im Bundestag seit 2013 eine hauchdünne rot-rot-grüne Mehrheit gibt, die aber politisch nicht wirksam ist, liegt an der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug einer Partei in den Deutschen Bundestag. Diese verzerrt die Realität. Insbesondere, wenn wie 2013 Liberale und AfD nur knapp an dieser Hürde scheitern.
Dass es der AfD gelingen konnte, weiter zu wachsen, hat zwei mögliche Gründe: Erstens einen weiteren Rechtsruck. Dafür ergeben jedoch die Langzeitstudien, die sich rechten Einstellungen widmen, keine Anhaltspunkte. Der zweite mögliche, und offenbar wahrscheinlichere Grund, liegt in einer Polarisierung der gesellschaftlichen Debatten. Mit diesem Argument kann man auch den starken Zustrom zur AfD aus dem Nichtwählerlager erklären.
Verwundert muss man darüber sein, dass es so lange gedauert hat, bis sich eine rechtspopulistische Partei von nennenswerter Grösse auch in Deutschland bilden konnte.
Wenn überhaupt, muss man über etwas anderes verwundert sein: Dass es, verglichen mit vielen anderen europäischen Ländern, so lange gedauert hat, bis sich eine rechtspopulistische Partei von nennenswerter Grösse und Mobilisierungsmacht auch in Deutschland bilden konnte. In West- und Nordeuropa ist man mit dem Rechtspopulismus schon lange konfrontiert. In Ungarn und in Polen bilden rechtspopulistische Parteien die Regierung und bauen den Staat hemmungslos autoritär um.
Für die Bestürzung gibt es allemal Grund. Schlechte Prognosen sind das eine. Schlechte Prognosen, die auch wahr werden, sind etwas anderes. Es gibt Situationen, in denen man sich gern geirrt hätte.
Die Polarisierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung bei struktureller Schwäche des linken Lagers erklärt zwar die Wahlergebnisse, aber sie wirft eine andere Frage zusätzlich auf: Warum polarisiert sich die Debatte überhaupt und warum gerade auf dem rechten Spielfeld?
Multiple Krise
Die Polarisierung hat mit der multiplen Krise zu tun, der wir ausgesetzt sind. Kriege und Bürgerkriege sind an die Haustür der EU herangerückt. Zwischen Syrien und der EU liegt nur ein Land: die Türkei. Zwischen Nordafrika, das ebenfalls krisengeschüttelt ist, und der EU liegt das Mittelmeer. Die Ukraine liegt auch an der EU-Aussengrenze. Das soll bei niemandem Unruhe auslösen?
Vor einem Jahr noch dominierte die Auseinandersetzung zwischen Griechenland und Deutschland über die Bewältigung der Euro-Krise die Nachrichtenlage. Deutschland kündigte die Solidarität auf, was sich andere Staaten gemerkt haben. Es ist doch allen klar, dass diese Krise für die EU keine Kleinigkeit ist. Nun streben Teile des britischen Establishments den Austritt aus der EU an.
Die Regierung lässt die Bundesländer und Kommunen weitgehend hängen. Sie verstärkt so Ängste, die nicht sein müssen.
Natürlich verunsichert auch der Zustrom von Geflüchteten viele Menschen. «Wir schaffen das!», ist eine notwendige Aussage gewesen. Was hätte Angela Merkel denn sonst sagen sollen? Aber es fehlt an Ideen, wie das zu schaffen sein soll, gerade aus der Bundesregierung. Es ist leider wahr, dass die Regierung die Bundesländer und Kommunen weitgehend hängen lässt. Sie verstärkt so Ängste, die nicht sein müssen.
Aber warum artikuliert sich das Unwohlsein rechts und nicht links? Das hat mit der Verantwortung eines grossen Teils der sogenannten gemässigten Linken für die Durchsetzung des neoliberalen Staats- und Gesellschaftsumbaus zu tun. Die radikalere, linkssozialistische Linke hat wiederum wenig machtpolitische Durchsetzungschancen. Diese Mischung aus Desavouierung und Chancenlosigkeit ist für die linke Artikulation von Protest wenig hilfreich.
Das könnte man jedoch positiv wenden. Es zeigt die Aufgaben an, denen sich die Linke als Ganzes stellen muss. Sie muss intern kooperationsfähig werden (bei Sozialdemokraten, Linkspartei und Grünen in Deutschland eine komplizierte Sache) und sie muss offensivfähig werden. Das heisst, sie muss eine überzeugende Alternative zur gegenwärtigen Gesellschaftsentwicklung vorlegen können und diese auch wollen. Hier liegt eine Bringschuld insbesondere, aber nicht nur, bei der Sozialdemokratie.
Gelingt das nicht, versagt die Linke. Dann wird sie ihrer Verantwortung für ein demokratisches Gemeinwesen nicht gerecht.