Die Zeitung «Le Monde» nennt den Ausgang der französischen Gemeindewahlen ein «Beben». Die Erschütterungen sind bis ins Elsass spürbar, aber für einmal macht die Grenzregion keine negativen Schlagzeilen.
Frankreich zählt 36’600 Gemeinden – doch alle reden derzeit nur von einer Handvoll von ihnen: Fréjus, Perpignan, Saint-Gilles, Béziers, Tarascon oder Avignon, allesamt in Südfrankreich gelegen; dazu Forbach in Lothringen und Hénin-Beaumont in Nordfrankreich.
In diesen Städten hat der rechtsextreme Front National (FN) gute Chance, im zweiten Durchgang der Gemeindewahlen am kommenden Sonntag am meisten Stimmen zu erzielen, das heisst für die nächsten sechs Jahre den Bürgermeister zu stellen. Auch wenn keine Bürgermeisterin darunter ist: Hinter den Le Pen-Töchtern besteht «le FN» fast nur aus Männern.
Bescheiden, höflich, homosexuell – der erste FN-Wahlsieger
In Hénin-Beaumont, einem verelendeten Industrieort im einstigen Kohlerevier, ist der FN-Kandidat Steeve Briois mit 50,2 Prozent der Stimmen schon im ersten Wahlgang gewählt worden. Der höfliche, eher fast bescheidene und homosexuelle FN-Generalsekretär von 41 Jahren verkörpert eine neue Generation von Parteikadern.
Sie höhnen, spotten und schimpfen nicht wie FN-Gründer Jean-Marie Le Pen, sondern leben dessen Tochter Marine Le Pen nach, die sich in ihrer eigenen Parteifarbe «bleu marine» (marineblau) wohler fühlt als in der Nationalen Front. Der Stil hat sich geändert – das populistische Gedankengut bleibt indes dasselbe.
Nach diesem Schwenker hin zu einer wirtschaftsfreundlichen Politik kann der selbst erklärte «Sozialdemokrat» nicht von neuem Kurs nach links geben, wie das viele seiner Anhänger verlangen. Das würde dem Front National, der sich heute sehr «sozial» gibt, zwar etwas Wind aus den Segeln nehmen. Wirtschafts- und europapolitisch hätte Frankreich aber zunehmend Mühe, die Vorgaben aus Brüssel und Berlin einzuhalten.
Hollande sieht sich umso mehr in die Ecke gedrängt, als auch die bürgerliche Rechtsopposition im ersten Wahlgang gut abgeschnitten hat. In der Stichwahl könnte sie Dutzende von Städten – wie etwa Reims – zurückerobern, die sie bei den letzten Kommunalwahlen an die Linke verloren hatte.
In Strassburg holte die FN 10 Prozent
Dieser Trend zeigt sich auch im Elsass. In Strassburg liegt die UMP-Kandidatin Fabienne Keller mit 32,9 Prozent der Stimmen vor dem sozialistischen Bürgermeister Roland Ries (31,2 Prozent). Dieser machte klar, dass er sein schlechtes Abschneiden im ersten Wahlgang dem schlechten Image der Landesregierung zu verdanken sei. Allerdings rettet sich der FN-Kandidat Jean-Luc Schaffhauser mit 10,8 Prozent knapp in die Stichwahl, was Keller zusätzliche Stimmen kosten dürfte; Ries könnte hingegen vom Ausscheiden anderer Kandidaten wie etwa der Grünen profitieren.
In Colmar ist das Rennen schon entschieden: Der konservative «Maire» (Bürgermeister) Gilbert Meyer wurde im ersten Wahlgang mit 51,3 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Das sei «die beste Wahl aller Zeiten in Colmar», jubelte der 72-Jährige, der allerdings aus dem nationalen Rechtsdrall Kapital geschlagen hat.
Die «beste Wahl aller Zeiten in Colmar» für einen Konservativen.
In Mulhouse hat die Rechte noch nicht gewonnen, auch wenn sie arithmetisch im Vorteil ist. Der bisherige Bürgermeister Jean Rottner erhielt im ersten Wahlgang 42,2 Prozent der Stimmen, während der Sozialist Pierre Freyburger in dieser traditionell links regierten Stadt mit 31,4 Prozent vorlieb nehmen musste. Auch hier ist der Ausgang unsicher wegen der Präsenz einer FN-Kandidatin, Martine Binder, die ein überraschend gutes Resultat von 21,9 Prozent machte. Damit kommt es in Mulhouse wie andernorts in Frankreich zu einer Dreieckswahl.
Diese unwägbare Konstellation wird die französischen Wahlen in Zukunft immer mehr prägen. Das Elsass bildet keine Ausnahme von diesem nationalen Trend. Für einmal macht die Region an der Grenze zur Schweiz und zu Deutschland wenigstens keine Negativschlagzeilen in Sachen Front National – diese Ehre haben derzeit die Provence, Nordfrankreich und Lothringen.