Mit der Frauenfrage ist es ein bisschen wie mit Sexspielzeugen. Braucht man sie, holt man sie aus der Schublade, braucht man sie nicht, schliesst man sie weg. So zumindest handhaben es die Freisinnigen momentan.
Für die Nachfolge von Bundesrat Didier Burkhalter hiess die Devise zuerst: Einen Tessiner braucht die Schweiz, die Frauenfrage ist zweitrangig. «Die Zeit ist noch nicht reif für eine Frauenkandidatur», sagte FDP-Frauen-Präsidentin Doris Fiala gegenüber dem «Tages-Anzeiger» – und erntete Kritik von linken Frauen und von den Medien.
Jetzt, ein paar Wochen später, will sie in der «NZZ am Sonntag» nun doch die Waadtländerin Isabelle Moret zur Wahl empfehlen.
Anders bei der Diskussion um die Rentenreform 2020, über welche die Schweiz am 24. September abstimmt. Dort galt die Frauenfrage den Freisinnigen von Anfang an als wichtiges Argument gegen die Neuerungen. So schrieben die FDP-Frauen, die Reform sei unbefriedigend, da insbesondere Frauen mit Teilzeitpensum in der Pensionskasse (PK) nach wie vor zu schlecht versichert würden.
Das machen sie am Koordinationsabzug fest: Die FDP wollte diesen in der Reform streichen, die Linke und die CVP hielten daran fest. Der Koordinationsabzug bedeutet, dass nicht der ganze Lohn einer Person durch die Pensionskasse versichert wird. Vielmehr wird eben ein bestimmter Betrag vom Lohn abgezogen und was übrig bleibt, bildet die Grundlage für die Pensionsabzüge. Allerdings würden Frauen mit eher geringem Einkommen künftig durchaus besser versichert: Neu soll der Koordinationsabzug auf 40 Prozent festgelegt werden; derzeit beträgt er fix 24’675 Franken.
Die Eckpunkte der Rentenreform 2020
– Das Rentenalter für Frauen beträgt neu 65 Jahre (bisher 64).
– Der Umwandlungssatz der Pensionskassen sinkt von 6,8 auf 6 Prozent. Er bestimmt, wie hoch die Rente aufgrund des angesparten Altersguthabens ist. Bei einem Altersguthaben von 100’000 Franken erhält man mit einem Umwandlungssatz von 6,8 Prozent eine lebenslängliche Altersrente von 6’800 Franken pro Jahr.
– Der Koordinationsabzug bei der Pensionskasse ist nicht länger auf einen festen Betrag fixiert, sondern beträgt neu 40 Prozent. Der Koordinationsabzug wird vom Lohn abgezogen, der übrigbleibende Teil ist beitragspflichtig.
– Die Renteneinbussen werden mit einer AHV-Erhöhung von 70 Franken pro Monat kompensiert (Ehepaare 140 bis 226 Franken).
– Die Mehrwertsteuer steigt zur Finanzierung der AHV um 0,3 Prozent.
Das wären die Auswirkungen auf Ihre Rente
Das alles ist verwirrend: Linke und CVP-Frauen behaupten, die Reform sei gut für die Frauen, FDP und SVP sagen das Gegenteil. Wie so oft, wenn es um «die Frau» geht, ist die Antwort so simpel wie kompliziert: Es gibt eben nicht nur die Frau. Es gibt Frauen, mit unterschiedlichen Arbeitspensen und Löhnen. Die Reform trifft sie nicht alle gleich.
Doch viele Medien helfen auch nicht weiter: Sie liefern zwar Rechenbeispiele, gehen aber vom Schweizer Durchschnittseinkommen von 77’000 Franken im Jahr aus. Das erhalten die wenigsten Frauen, wie die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen.
Deshalb haben wir ein paar Vor- und Nachteile für verschiedene Einkommensgruppen skizziert. Die Tendenz: Je weniger Sie verdienen, desto mehr profitieren Sie verhältnismässig von einer allfälligen Reform.
Sie sind über 65 Jahre alt und beziehen heute bereits Rente
Vorteil:
– Ihre Rente bleibt gleich.
Nachteile:
– Sie profitieren nicht von der AHV-Erhöhung um 70 Franken monatlich.
– Sie zahlen 0,3 Prozent mehr Mehrwertsteuer.
Fazit: Für Sie bleibt alles beim Alten, ausser, dass Sie beim Einkaufen wie alle anderen mehr Mehrwertsteuer bezahlen müssen.
Für alle Frauen, die noch im Berufsleben stehen, gilt:
Vorteil:
– Sie erhalten 70 Franken mehr AHV pro Monat als bisher (Verheiratete 0 bis 113 Franken pro Person).
Nachteile:
– Sie müssen ein Jahr länger arbeiten.
– Sie zahlen höhere Rentenbeiträge an die AHV (0,15 Prozentpunkte).
– Sie zahlen mehr Mehrwertsteuer, wenn Sie einkaufen (0,3 Prozent).
Diese Punkte gelten für alle erwerbstätigen Frauen. Doch je nachdem, wie alt Sie sind und wie viel Sie verdienen, gibt es Unterschiede bei Vor- und Nachteilen. Falls Sie zum Beispiel mehr als 21’150 Franken pro Jahr verdienen und damit in eine Pensionskasse einzahlen, zahlen Sie künftig höhere Beiträge und erhalten im Verhältnis weniger Geld dafür als bisher, da der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent sinkt.
Wenn Sie über 45 Jahre alt sind und über 21’150 Franken verdienen
Vorteil:
– Sie erhalten die gleiche Pensionskassenrente wie bisher erwartet. Zwar sinkt der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent, was bedeutet, dass die Renten sinken (siehe oben). Bei Ihnen hat die Senkung des Umwandlungssatzes jedoch keine Auswirkung: Sollte Ihre Rente deshalb sinken, bekommen Sie eine Ausgleichszahlung.
Nachteil:
– Sie zahlen mehr Pensionskassenbeiträge (siehe oben).
Fazit: Sie haben Glück, dass für Sie die Übergangsregelung gilt und Sie garantiert die gleiche PK-Rente haben wie bisher erwartet, trotzdem aber mehr AHV erhalten. Aber auch Sie müssen ein Jahr länger arbeiten und höhere Abzüge in AHV und Pensionskasse einzahlen.
Wenn Sie unter 45 Jahre alt sind, aber deutlich über 55’000 Franken verdienen:
Nachteil:
– Sie bezahlen höhere Beiträge an die Pensionskasse.
– Sie erhalten nicht mehr Pensionskassenrente.
Fazit: Gut verdienende Frauen profitieren am wenigsten von der Reform. Auch diese Frauen müssen ein Jahr länger arbeiten und mehr einzahlen. Doch wenn man viel Geld im Portemonnaie hat, machen 70 Franken mehr AHV pro Monat wenig aus.
Wenn Sie unter 45 Jahre alt sind und zwischen 21’150 und 55’000 Franken verdienen:
Vorteil:
– Sie erhalten wahrscheinlich höhere Pensionskassenrenten, da der Koordinationsabzug neu auf 40 Prozent festgesetzt wird. Teilzeitlerinnen können darum einen grösseren Anteil ihres Lohns versichern und erhalten auch mehr Altersbeiträge vom Arbeitgeber.
Nachteil:
– Sie zahlen ebenfalls höhere Beiträge an die Pensionskasse (sh. oben).
Fazit: In dieser Gruppe hat es viele Frauen mit Teilzeitpensen. Gemäss Bundesamt für Statistik arbeiten sechs von zehn Frauen Teilzeit. Dadurch, dass sie länger arbeiten und mehr AHV und PK kriegen, haben sie unter dem Strich im Alter mehr Geld als ohne Reform. Diese Gruppe hätte tatsächlich noch mehr Pensionskassen-Guthaben angespart, wenn der Koordinationsabzug, wie von der FDP gefordert, ganz gestrichen und nicht auf 40 Prozent festgesetzt worden wäre. Dafür hätten sie aber dementsprechend während des Erwerbslebens weniger Geld im Sack.
Wenn Sie weniger als 21150 Franken im Jahr verdienen:
Nachteile:
– Sie erhalten weiterhin keine Pensionskasse, weil Firmen erst ab einem Lohn von 21’150 Franken verpflichtet sind, Sie in die Pensionskasse aufzunehmen.
– Sie erhalten eventuell weniger Ergänzungsleistungen als ohne Reform.
Fazit: Diese Gruppe besteht vor allem aus Personen mit Kleinstpensen oder Angestellte mit Tiefstlöhnen. Das sind vor allem Frauen. Sie erhalten im Alter oft eine Minmalrente von 1775 Franken. Sie würden eine AHV-Erhöhung von 70 Franken pro Monat besonders spüren. Für diese Gruppe gilt das FDP-Argument nicht, dass Frauen ohne Koordinationsabzug besser versichert wären, da sie gar nicht in eine Pensionskasse einzahlen dürfen. Nur Angestellte, die über 21’150 Franken (1760 Franken pro Monat) verdienen und das bei einem einzigen Arbeitgeber, können sich bei einer Pensionskasse versichern.
Linke streiten auch
Diese Auflistung zeigt, dass also vor allem Frauen, die Teilzeit arbeiten oder Tiefsteinkommen haben, von der Reform profitieren würden. Das ist typischerweise die Klientel der linken Parteien. Dennoch sind nicht alle Linken für die Reform, das sah man anhand einer Facebook-Diskussion letzte Woche. Der Basler SP-Präsident Pascal Pfister postete:
«Ich stimme aus Überzeugung 2 x Ja bei der Altersvorsorge. Z.B. weil die Mehrheit der Frauen von der Reform profitieren.»
BastA!-Sekretärin Franziska Stier ist damit nicht einverstanden. Sie prognostiziert Nachteile für diejenigen Frauen, die am wenigsten Geld haben: Bezügerinnen von Ergänzungleistungen. Diese Leistungen bekommen Leute, die allein von der Rente nicht leben können, häufig handelt es sich um Leute in Altersheimen, die hohe Kosten haben. Stier befürchtet: Wenn die Renten steigen, bekommen die Betroffenen weniger oder keine Ergänzungsleistungen mehr.
Das wiederum lässt aber Silvia Schenker nicht als Argument gegen die Reform gelten. Die Basler SP-Nationalrätin schreibt: «Ich finde es seltsam, wenn wir als Linke plötzlich gegen Rentenerhöhungen sind, wegen dem Effekt auf die Ergänzungsleistungen.» Wenn man die Rente erhöhe, habe das immer zur Folge, dass die Ergänzungsleistungen sinken.
Tatsächlich ist es so, dass sich für die Mehrheit der Bezüger von Ergänzungsleistungen nach der Reform finanziell nichts ändert, wie der zuständige Bundesrat Alain Berset (SP) auf eine entsprechende Frage in der Fragestunde in der Sommersession 2017 ausführte. In 76 Prozent der Fälle führt der AHV-Zuschlag zu einer Reduktion der Ergänzungsleistungen. Diese Reduktion wird aber durch den Zuschlag ausgeglichen.
Allerdings betrifft das nur wenige Menschen. Lediglich acht von hundert AHV-Neurentnern beziehen Ergänzungsleistungen. Die meisten würden auch nach der Reform noch Ergänzungsleistungen bekommen: «Nur zwei Prozent der Bezüger würden neu keine mehr erhalten», sagte Alain Berset.
Bei einem Nein ist alles ungewiss
Ein weiterer Streitpunkt: Gemäss der Rentenreform müssen Frauen ein Jahr länger arbeiten und werden erst mit 65 Jahren pensioniert. Auch das stösst Linksaussenparteien wie der BastA! sauer auf. Ihr Argument: Solange Frauen 15 Prozent weniger verdienen als Männer und den grössten Teil der Kinder- und Altenbetreuung leisten, darf das Rentenalter nicht erhöht werden.
Die Lohnungleichheit ist auch für SP-Nationalrätin Silvia Schenker inakzeptabel, sollte ihrer Meinung nach aber auf anderem Weg bekämpft werden. Für Schenker ist klar: Die AHV rutscht in die roten Zahlen, die Pensionskassen haben Probleme, deshalb braucht es die Reform. «Das Rentenniveau wird erhalten und der Preis, den die Versicherten in Form von Mehrbeiträgen bezahlen, ist vertretbar», schreibt sie auf Facebook.
«Und das allerwichtigste zum Schluss: Wir haben es geschafft, dass die zusätzlichen Beiträge der Versicherten auch in die AHV fliessen.» Für Frauen ist die AHV die sozialere Versicherung. Frauen, die nicht berufstätig sind, weil sie Kinder aufziehen oder kranke Verwandte pflegen, erhalten im Alter dafür eine Entschädigung, sogenannte Erziehungs- und Betreuungsgutschriften.
Was wenn?
Und wenn die Reform abgelehnt wird? Dann braucht es eine neue Reform, und zwar schnell, sonst geht der AHV bis ins Jahr 2030 das Geld aus.