Der Nationalrat empfiehlt dem Volk, die grüne Atomausstiegs-Initiative abzulehnen. Vor diesem Entscheid führte die grosse Parlamentskammer nochmals eine engagierte Atomdebatte.
Die Atomausstiegs-Initiative der Grünen verlangt, dass die Lebensdauer aller bestehenden Atomkraftwerke in der Schweiz auf 45 Jahre befristet wird. Die ältesten AKW in Beznau und Mühleberg müssten damit ein Jahr nach Annahme dieser Volksinitiative abgeschaltet werden. Das jüngste AKW, Leibstadt, würde 2029 pensioniert. Damit ginge das Atomzeitalter in der Schweiz in 15 Jahren zu Ende.
Druck auf den Ständerat
Die Abstimmungs-Parole war voraussehbar. Denn die Energiekommission des Nationalrats hatte mit 16 bürgerlichen gegen 8 linksgrüne Stimmen beantragt, die Ausstiegsinitiative abzulehnen. Mit 120 gegen 71 Stimmen fiel die Nein-Parole am Dienstag im Nationalrat aber weniger deutlich aus als erwartet. Grund: Neben SP und Grünen unterstützten auch die Grünliberalen die Ausstiegs-Initiative; dies zumindest «vorläufig».
Mit ihrem vorläufigen Nein wollen die Grünliberalen den Ständerat dazu bewegen, im Rahmen der Energiestrategie die Bestimmungen über den Atomausstieg gegenüber dem Nationalrat zu verschärfen. So hat der Nationalrat am Montagabend beschlossen, die Laufzeit der AKW Gösgen und Leibstadt überhaupt nicht zu befristen und die alten AKW in Beznau noch bis 2029 (Beznau I) und 2031 weiter laufen zu lassen.
Obwohl das Resultat also feststand, führte der Nationalrat am Dienstag eine engagierte, teils witzige, oft gefühlvolle Debatte. Diese erinnerte an die heissen Auseinandersetzungen, die kurz nach den Atomkatastrophen in Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) stattfanden. Nachstehend eine Auswahl an Zitaten aus diesem vierstündigen rhetorischen Schaulaufen.
Die Debatte im Kompaktformat:
Stefan Müller-Altermatt (CVP), lehnt die Initiative als Sprecher der Energiekommission ab: «Die Befristung auf 45 Jahre käme einem Eingriff in die Wirtschafts- und Eigentumsfreiheit gleich.»
Bastien Girod (Grüne), Initiant des Ausstiegs: «Eine Mehrheit dieses Rates hat gemäss Smartvote versprochen, dass man die AKW nach einer Laufzeit von 50 Jahren abstellen will. Unsere Initiative ist näher bei diesem Versprechen als der Vorschlag der Mehrheit, der in der Energiestrategie durchgekommen ist.»
«Nach zig Stunden Energiedebatte ist wahrscheinlich unser aller Energie langsam am Ende.»
Doris Leuthard (CVP), Bundesrätin mit Erschöpfungszeichen
Daniel Fässler (CVP), Volksvertreter mit Glauben ans Volk: «Die Initiative der Grünen ist in diesem Saal nicht mehrheitsfähig und hat daher – davon gehe ich aus – auch bei Volk und Ständen keine Chance.»
Christian Wasserfallen (FDP), nuklearer Heisssporn und Gegner der Energiestrategie, freut sich auf eine baldige Abstimmung, denn: «Ein Nein zur AKW-Initiative ist ein grober, ein sehr grober Dämpfer für die Energiestrategie 2050.»
Martin Bäumle (GLP), Cheftaktiker der Grünliberalen, winkt mit dem Zaunpfahl: «Wenn das Langzeit-Betriebskonzept nicht massgeblich verschärft wird, werden die Grünliberalen die Initiative auch im Abstimmungskampf unterstützen.»
Andy Tschümperlin (SP): «Solange die Gesetzgebung erlaubt, aus der Schweiz ein Experimentierfeld für uralte AKW zu machen, unterstützt die SP die Atomausstiegs-Initiative.»
«Sicher bei der Atomenergie ist nur das Restrisiko.»
Martina Munz (SP), Grenzgängerin aus Schaffhausen
Josias Gasser (GLP), Bündner Unternehmer mit Show-Talent: «Leider haben wir es in der gestrigen Debatte verpasst, das Kernenergiegesetz nach dem Prinzip ‹Sicherheit zuerst!› zu revidieren. Das macht mich ungehalten und kämpferisch», sagt er und bläst in die mitgebrachte Trillerpfeife.
Hans Killer (SVP), Verwaltungsrat des KKW Leibstadt: «Wer unsere sichere Stromversorgung an die Wand fahren will, soll diese Initiative unterstützen.»
Doris Leuthard zum zweiten: «Unsicherheit gibt es nicht, weil man in allen europäischen Staaten in den nächsten zwanzig Jahren eine genügende Stromproduktion haben wird. Die Schweiz hat in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr produziert, als sie selber konsumiert hat.»
Jacquelin Badran (SP), kettenrauchende Unternehmerin: «Welcher Unternehmer, der bei Trost ist, würde in ein Unternehmen einsteigen, dessen Risiken nicht versicherbar sind?»