Schindlers Praktikanten

Mit welchen Tricks man Tiefstlöhne schön redet, beweist ausgerechnet der Weltkonzern Schindler. Tatkräftig unterstützt vom Messe-CEO René Kamm.

Polnische Schindler-Praktikanten, zwischen 25- und 38-jährig, bauen auf einer Baustelle im Baselbiet einen Lift ein.

Mit welchen Tricks man Tiefstlöhne schön redet, beweist ausgerechnet der Weltkonzern Schindler. Tatkräftig unterstützt vom Messe-CEO René Kamm.

Es war die vielleicht einzige kritische Frage des halbstündigen Interviews in der Sendung «061 live» auf Telebasel. Wie es denn möglich sei, dass der Schweizer Liftbauer Schindler auf der Messebaustelle polnische Praktikanten statt reguläre Monteure eingesetzt habe, wollte ein Zuschauer wissen (Video, Minute 15).

Die Frage brachte den Messe-CEO René Kamm aber nicht etwa in Verlegenheit: «Jetzt können sie sagen, das ist ja eine Frechheit, die verdienen 3000 statt 5000 Franken», sagte er, um dann nach einer überraschenden Wendung punktgenau zu landen: «Schindler nutzte die Messe-Baustelle für Ausbildungszwecke.» Die Aufzugsfirma habe die Praktikanten der Messebaustelle auf einem Liftsystem ausgebildet, das diese nachher in Polen einführen würden. Dies habe der Schweizer Konzern so gegenüber der Messe erklärt.

Erstaunlich viele Liftsysteme müssen offenbar in Polen eingeführt werden, denn auch die Kontrolleure der Zentralen Paritätischen Kontrollstelle stossen immer wieder auf solche polnischen Schindler-Praktikanten, wie Geschäftsführer Michel Rohrer gegenüber der TagesWoche bestätigt: «Diese Masche ist uns bekannt». Er selbst war vor drei Jahren auf einem Kontrollgang auf der Baustelle des Coop-Baumarktes in Oberwil vor Ort. Erwartet hatten die Kontrolleure als Praktikanten 16-, vielleicht 18-jährige Burschen, doch im Keller des Gebäudes trafen sie auf 25- bis 38-jährige Männer. Von einem Ausbildner weit und breit keine Spur. Dasselbe Bild auch auf der Baustelle der Überbauung ElcoPark in Allschwil oder dem Geschäftshaus Sternenfeldpark in Birsfelden. Zur Zeit ist in dieser Sache immer noch ein Verfahren hängig.

3022 Franken Lohn für einen Praktikanten

Auch Roland Schiesser von der Gewerkschaft Unia bekam von den polnischen Praktikanten auf der Messebaustelle dieselben Auskünfte: «Wir fragten die Praktikanten, wo denn ihr Ausbildner sei. Sie lachten nur und meinten: Einen solchen bräuchten sie nicht. Dieselben Lifte montierten sie in Polen schon lange.»

Schindler schreibt in einer Stellungnahme: «Nichts liegt uns ferner als ein Lohndumping zu Ungunsten unserer Mitarbeitenden.» Im Herbst 2012 habe die Unia nach einer Kontrolle auf der Messe-Baustelle eine Untersuchung bei der zuständigen Tripartiten Kommission des Kantons Basel-Stadt lanciert. An einer Sitzung habe sich Schindler mit der Unia geeinigt, den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten.

Der TagesWoche liegt eine Lohnabrechnung eines polnischen Betriebspraktikanten vor, der auf der Messebaustelle gearbeitet hat. Er verdiente 3022 Franken. Schindler bestreitet dies: «Die in den Medien herumgereichte Summe von 3000 Franken entspricht nicht entfernt den Tatsachen.» Allerdings nennt Schindler Personalchef Philipp Oberson keine Zahlen: Zu Details werde man sich aufgrund der laufenden Untersuchung nicht äussern.

Verfahren eingeleitet

3000 Franken Lohn für einen Liftmonteur wären im Kanton Baselland, in dem die Monteure dem Metallbaugewerbe-GAV unterstellt sind, ein klarer Fall von Lohndumping. Mindestlohn für einen 38-jährigen Liftmonteur, wie ihn die Kontrolleure auf der Baustelle in Oberwil angetroffen haben, wäre 4000 Franken (angelernt), respektive 4700 Franken für einen Gelehrten.

Im Kanton Basel-Stadt ist die Sache etwas komplizierter, weil die Liftmonteure hier keinem GAV unterstehen, zählt der ortsübliche Branchenlohn. Im Endergebnis dürften aber auch die Basler Löhne nicht wesentlich von den Baselbieter Mindeslöhnen abweichen. Voraussichtlich an der nächsten Sitzung im März wird das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) den Fall in die zuständige Tripartite Kommission einbringen und zwar «sobald alle notwendigen Angaben vorliegen», erklärt Hansjörg Dolder, Leiter des AWA.

Kaktus als Prämie

So lange will die Gewerkschaft Unia nicht warten und möchte am Donnerstag, 14. Februar 2013, dem Schindler-Konzern symbolisch einen Kaktus überreichen. Der Kaktus gehe an jenes Unternehmen, welches in der 22-monatigen Bauzeit am meisten enttäuscht habe, sagte Unia-Mann Schiesser an der Abschlussfeier der Gewerkschaft für die Messebaustelle letzten Freitag. «Schindler liess 40-jährige polnische Liftmonteure mit 10 Jahren Erfahrung und mehr als Praktikanten auf der Messebaustelle schuften – und entlöhnte diese mit knapp 3000 statt rund 5000 Franken. Das ist für ein weltbekanntes Schweizer Unternehmen einfach nur beschämend», sagte Schiesser.

Schindler hingegen zeigt sich erstaunt, dass die Unia «ohne neue Fakten die Vorwürfe wiederholt, bevor die laufende Untersuchung zu einem Ergebnis gekommen ist. Wir sind nicht bereit, einen unverdienten Kaktus entgegenzunehmen», schreibt der HR-Director der TagesWoche. Die Gewerkschaft hofft dennoch, dass irgendein Schindler-Mitarbeiter den Kaktus in Empfang nimmt – wenn nicht ein Geschäftsleitungsmitglied, dann wenigstens ein Praktikant.

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