Mazedonien steckt seit drei Jahren in einer politischen Krise. Jetzt drohen ethnische Konflikte den Balkanstaat vollends zu spalten.
Drei Monate nach den Parlamentswahlen steht Mazedonien weiter ohne Regierung da. Die sozialdemokratische SDSM hat es zwar geschafft, 67 von 120 Abgeordneten hinter sich zu bringen, doch der nationalkonservative Präsident Gjorge Ivanov weigert sich, den Sozialdemokraten einen Regierungsauftrag zu geben.
Die offizielle Begründung richtet sich deutlich gegen die albanische Minderheit im Land, die mehr als ein Viertel der Bevölkerung stellt. Weil die Sozialdemokraten mit drei albanischen Parteien koalieren wollen, behauptet Ivanov, sie würden das Land an die Albaner verkaufen: «Ich werde niemandem ein Mandat erteilen, der die Einheit und Staatlichkeit Mazedoniens gefährdet.»
Ein Vielvölkerstaat ohne das Verständnis dafür
In Wahrheit steht der Präsident hinter seinen nationalkonservativen Parteikollegen von der VMRO, die das Land in den vergangenen Jahren immer weiter in die Autokratie geführt haben und die Macht nicht abgeben wollen. Nicht zuletzt, weil vielen Abgeordneten und auch dem Ex-Premier Nikola Gruevski möglicherweise Haftstrafen drohen, wenn wieder eine unabhängige Justiz in Mazedonien etabliert wird.
Seit einem Jahr ermittelt eine Sonderstaatsanwältin gegen den Gruevski-Clan, ihr werden allerdings von den Behörden grosse Steine in den Weg gelegt. Dem Ex-Premier Nikola Gruevski werden Korruption sowie Gängelung von Medien und Justiz vorgeworfen. Ausserdem sollen 20’000 Bürger rechtswidrig abgehört worden sein.
Um nun eine Regierung mit einer klaren Mehrheit zu verhindern, schürt der Präsident nationalistische Stimmungen. Der Tenor seiner Begründung lautet: «Mazedonien den Mazedoniern». Ein Slogan, den auch nationalistische Demonstranten auf der Strasse skandieren. Mazedonien ist, wie viele andere Länder auf dem Balkan auch, ein Vielvölkerstaat. Doch Teile der slawisch-mazedonischen Mehrheit, die rund 64 Prozent der Bevölkerung stellt, wollen das nicht wahrhaben.
Brüssel und Washington fordern zur Einsicht auf
Die Koalitionsverhandlungen zwischen VMRO und albanischen Parteien scheiterten zuvor, weil Letztere gefordert hatten, Albanisch als zweite Amtssprache einzuführen und einen Abhörskandal rund um die VMRO weiter zu untersuchen. Zudem verlangten sie eine Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Land.
» Die Aufteilung der Ethnien grafisch dargestellt bei der NZZ
Die mehrheitlich von Albanern bevölkerten Teile des Landes sind tendenziell ärmer als diejenigen mit mazedonischer Bevölkerungsmehrheit. Den Nationalkonservativen gingen die Forderungen der albanischen Parteien zu weit.
Die politische Krise in Mazedonien hat auch internationale Player auf den Plan gerufen. Washington und Brüssel fordern von Präsident Gjorge Ivanov, die Ergebnisse der Wahl und der Koalitionsverhandlungen zu akzeptieren. Der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn appelliert: «Alle politischen Führungspersönlichkeiten, auch der Präsident, müssen das Ergebnis der Wahlen akzeptieren.»
Antisemitische Verschwörungstheorien
Unterstützung für die nationalkonservative VMRO kommt aus Moskau. Russland sieht seine Chance, eine EU-Integration Mazedoniens zu verhindern, und bläst in dasselbe Horn der Verschwörungstheorien wie die VMRO. Demnach versucht die albanische Minderheit, auf ein Grossalbanien hinzuarbeiten, das neben Albanien auch den Kosovo und weite Teile Mazedoniens, Serbiens und Griechenlands umfassen soll.
Die seit zwei Jahren andauernden Proteste in Mazedonien sind laut dieser Lesart das Machwerk des jüdischen Finanzinvestors George Soros, der eine «farbige Revolution» plane. Hinter den abgehörten Tonbandaufnahmen, welche die Nationalkonservativen in Misskredit bringen, stehen angeblich nicht näher definierte «ausländische Mächte». Der Antisemitismus hinter diesen Behauptungen ist offenkundig. Zudem verschweigt Präsident Gjorge Ivanov, dass er selbst einst im Vorstand von George Soros‘ Open Society Foundation sass und dass Minister der VMRO von dieser Förderungen erhielten.
Antialbanische Proteste
Auf der Strasse bekommt Gjorge Ivanov indes Unterstützung von nationalistischen Mazedoniern. Nachdem sich der Präsident weigerte, der Koalition aus Sozialdemokraten und albanischen Parteien das Mandat zu erteilen, gingen Tausende auf die Strasse, um ihn in seiner Haltung zu bestärken. Anfang März skandierten Demonstranten: «Mazedonien den Mazedoniern!» und «Wir wollen ein (ethnisch) sauberes Mazedonien!».
Die Demonstranten bezeichnen sich selbst als Patrioten und machen deutlich, dass sie nicht vorhaben, den Albanern im Land gleiche Rechte einzuräumen. Sie werfen dem sozialdemokratischen Parteichef Zoran Zaev Verrat und Ausverkauf an die Albaner vor.
Die nationalkonservative VMRO organisiert Busfahrten aus dem ganzen Land nach Skopje, um möglichst viele Demonstranten auf die Strasse zu bringen. Die Fahrt in die Hauptstadt ist für die Teilnehmer umsonst. Bei den Demonstrationen wurden Journalisten und Kritiker der VMRO attackiert. Viele haben mittlerweile Angst, dass die «patriotischen Proteste» zu nationalistischen Ausschreitungen führen könnten.
Im Jahr 2001 konnte ein Bürgerkrieg zwischen Mazedoniern und Albanern durch das Abkommen von Ohrid gerade noch verhindert werden. Die Lage zwischen den beiden ethnischen Gruppen hat sich seitdem sichtlich entspannt. Doch die Nationalkonservativen von der VMRO scheinen bereit zu sein, diesen Frieden aufs Spiel zu setzen, um sich weiter an der Macht zu halten.