Gemäss aktuellen Zahlen ist jeder vierte Schweizer fremdenfeindlich. Doch wenn der Staat etwas zur Integration unternehmen will, ist es auch nicht recht, wie sich an der Frage der Imam-Ausbildung zeigt.
Wenig Neues gibt es zu sagen, das Alte muss uns indessen weiterhin beschäftigen. Das Neue der letzten Tage ist, dass wir dank einer Umfrage des Forschungsinstituts gfs.bern wissen, wie sich die helvetische Fremdenfeindlichkeit auf welche Gruppen verteilen. Zudem wissen wir jetzt, wie sich die Prozentanteile seit 2010 verändert haben. Im Mai 2014 gaben 27 Prozent an, dass es für sie eine Rolle spiele, welcher Nationalität die Arbeitskolleginnen und -kollegen angehörten, vier Jahre zuvor waren es erst 18 Prozent gewesen. 85 Prozent der Befragten können sich vorstellen, mit einer Italienerin oder einem Italiener zusammenzuarbeiten, mit albanischen Staatsbürgern wollte hingegen nur ein Viertel der Befragten beruflich zu tun haben.
Dieser Umfrage zufolge (den Kurzbericht finden Sie auf der Artikelrückseite) gab es nicht nur Verschlechterungen, sondern auch Verbesserungen: Die muslimfeindliche Einstellung habe zwischen 2010 und 2014 markant abgenommen. Im Nachgang zur Anti-Minarett-Initiative von 2009 sei die Stimmung stark aufgeheizt gewesen, damals habe noch fast die Hälfte der Befragten angegeben, Muslime würden Frauen unterdrücken, seien fanatisch und aggressiv. Jetzt seien es «bloss» noch 19 Prozent.
Medien, aber auch Medienkonsumenten und Politiker, eigentlich wir alle, interessieren sich vor allem für die Veränderungen im Perpetuum mobile unserer Gesellschaft. Bleiben Werte gleich, muss das weniger interessieren, etwa die elf Prozent der Befragten mit ihren unverändert antisemitischen Haltungen, das heisst ihrer Zustimmung zu den üblichen judenfeindlichen Klischees, die hier nicht wiederholt werden müssen.
Die Juden, die Muslime
Man darf sich fragen, was solche Umfragen bringen. Sie verstärken indirekt die Vorstellung von Kollektivgrössen. Die Juden, die Muslime, die Italiener, die Albaner … Die Kritik an solchen Umfragen kommt jedoch vor allem von denjenigen, die es überflüssig finden, dass dem Rassismus im Lande eine gewisse Beachtung geschenkt wird. Da wird sogleich von Verschleuderung «unserer Steuerfranken» gesprochen, während andere Erhebungen – vielleicht über die Vermehrung der Borkenkäfer –
kritiklos akzeptiert werden.
Es ist begrüssenswert, dass die Umfragen zu Diskriminierungstendenzen in der Schweiz systematisiert, das heisst nach wiederkehrenden Kriterien und in regelmässigen Intervallen durchgeführt werden. So gewinnt man wenigstens eine interne Vergleichbarkeit der Befunde. Jetzt müsste nur noch die internationale Vergleichbarkeit sichergestellt werden. Denn die Schweiz ist, weil nicht Mitglied der EU, in vielen Statistiken international inexistent.
Wirklich neue Einsichten haben wir mit den neuen Zahlen jedoch keine gewonnen. Aber sie zeigen denjenigen, welche die Probleme ernst nehmen wollen, dass weiterhin Anstrengungen nötig sind, um die erfassten Tendenzen in Grenzen zu halten. Beseitigen wird man sie nicht können.
Immer wieder: «Wir» und «die anderen»
Es gibt verschiedene Frontabschnitte, doch die Abwehr an einer Stelle kommt der Abwehr an anderen Stellen zugute. Überall geht es um die Gestaltung unseres Verhältnisses zwischen «uns» und den vermeintlich oder tatsächlich «anderen». Eine solche Unterscheidung scheint man stets nötig zu haben. Zurzeit betrifft sie, das zeigt ja auch die Umfrage, einmal mehr «die Muslime».
Das heisst eine Kategorie von Menschen, die von «uns» zum Teil unangemessen stark über den «anderen» Glauben wahrgenommen werden, wobei dieser Glaube völlig unangemessen in seiner fundamentalistischen und fanatischen Variante gesehen wird. Entsetzliche Vorkommnisse wie das mörderische Attentat auf «Charlie Hebdo» werden zum teilweise willkommenen Anlass genommen, in ihnen den «inneren Feind» zu sehen.
Eine typische Reaktion auch in der Schweiz war der Ruf nach mehr Überwachung und eine entsprechende Bereitschaft, den Nachrichtendienst auch personell aufzustocken, wobei es leichter ist, die erforderlichen Kredite als die benötigten Fachleute zu bekommen. Nicht oder zu wenig ernsthaft wurde eine andere Massnahme gefordert, die seit Jahren auf sich warten lässt: Eine landeseigene Ausbildung in islamischer Theologie als Voraussetzung für die religiöse Betreuung von in der Schweiz lebenden Muslimen durch Imame.
Es sollen Seelsorger ausgebildet werden, die sich in unseren Sprachen, unserem Recht und unseren gesellschaftlichen Gegebenheiten auskennen.
Abgekürzt ist dann meistens von Imam-Ausbildung die Rede. Dem muss entgegengehalten werden, dass die Einsetzung von Imamen und die allfällige Ausbildung in der Ausübung praktischer Funktionen die Sache der Gemeinde der Gläubigen ist. Auch in den bei uns bekannten Varianten der katholischen und reformierten Geistlichen ist das so und beschränkt sich der universitäre Ausbildungsteil auf die wissenschaftlich betriebene Theologie. Damit verbunden gibt es allerdings auch praktische Ziele: Es sollen Seelsorger ausgebildet werden, die sich in unseren Sprachen, unserem Recht und unseren weiteren gesellschaftlichen Gegebenheiten auskennen.
Dem kann man eigentlich nur beipflichten. Andererseits hat es erstaunt, dass die Schweiz dazu Hand bot, dass seit Jahren aus der Türkei staatskonforme und von dieser Seite auch bezahlte Imame importiert werden, was für muslimische Gläubige, die ein kritisches Verhältnis zu ihrem Land haben, ein Problem ist.
Weiterbildung auch für Nicht-Muslime
Universitäre Ausbildungsangebote in muslimischer Theologie sind schon lange ein Thema. Bis vor Kurzem ist man aber nicht über lockere Absichtserklärungen hinausgekommen. So hat das Rektorat der Universität Basel bereits im November 2004 erklärt, einen Kursus für Imam-Ausbildung anbieten zu wollen. Im Frühjahr 2009 konnte man staunen, dass ausgerechnet SVP-Nationalrat Lukas Reimann, einer der Väter der Anti-Minarett-Initiative, in einer Motion eine Zertifizierung des Imam-Berufs verlangte. Bei genauerem Hinsehen wurde aber klar, dass es überhaupt nicht um Ausbildung, sondern bloss um Überwachung ging, um eine Art Gesinnungstest in Kombination mit Ausweisung derjenigen, die ihn nicht bestehen.
Um die ernst zu nehmende Ausbildungsfrage kümmerte sich in den letzten Jahren nicht die Gruppe der notorischen «Muslim-Fresser», sondern seit 2010 eine gemischte Arbeitsgruppe, die vom Basler Rektor Antonio Loprieno präsidiert wurde. Resultat dieser Bemühungen ist nun das seit Jahresbeginn an der Universität Freiburg arbeitende und gesamtschweizerische Funktion wahrnehmende Kleininstitut «Zentrum für Islam und Gesellschaft». Geleitet wird es vom katholischen Theologen Hansjörg Schmid, seine erste Vorlesung ist der Sicht islamischer Denker auf Europa gewidmet.
Neben einem ernst noch aufzubauenden Doktoratsprogramm ist ein Weiterbildungsangebot geplant, das sich an muslimische Personen richtet, die in islamischen Gemeinden arbeiten (etwa Jugendleiter, Vereinsvorstände oder Lehrkräfte in Moscheen) sowie an Nicht-Muslime, die in ihrer Arbeit mit Muslimen zu tun haben (in der sozialen Arbeit, in Schulen, Spitälern, Unternehmen, Verwaltung oder Hilfswerken).
Lieber Ärzte statt Imane
Nun kann man staunen oder darin auch eine leider bekannte Haltung sehen, dass politische Kräfte, welche sich ständig über die angeblichen oder tatsächlichen Integrationsdefizite von Ausländern im Allgemeinen und Muslimen im Besonderen aufhalten, dieses integrationsfördernde Angebot bekämpfen. Im September 2014 wollte die von der SVP angeführte Rechte des Freiburger Kantonsparlaments mit einer Ausnahmeregelung das Projekt zu Fall bringen. SVPler malten das Gespenst einer Koranschule an die Wand, CVPler fürchteten um den katholischen Charakter ihrer Uni, und ein FDPler argumentierte scheinheilig, man brauche Ärzte und nicht Imame.
Diese Attacke (auch auf die Universitätsautonomie) scheiterte im vergangenen Herbst im Grossen Rat nur knapp: Bei einem qualifizierten Mehr von 56 Stimmen unterstützten 52 Ratsmitglieder den Vorstoss und nur 38 hielten dagegen. Jetzt hat die kantonale SVP einstimmig beschlossen, mit einer Volksinitiative nichts weniger als eine Verfassungsänderung herbeizuführen, die diesem konstruktiven Kleinprojekt ein schnelles Ende bereiten soll. Die behäbig-besonnene NZZ dagegen würdigte das junge Institut als Bollwerk gegen den Fundamentalismus. Gemeint war natürlich der muslimische Fundamentalismus. In diesem Fall ist jedoch nicht der Islam, sondern der SVP-Fundamentalismus eine Gefahr für unsere schweizerische Gesellschaft.