Schwingen im interkulturellen Sägemehl

In der Gossauer Schulaffäre sind zehn Schüler im Edelweiss-Hemd zum Unterricht erschienen. Dabei ist das «Hemli» an und für sich unschuldig, nicht aber sein Gebrauch als Gesinnungsdress.

Die SVP-Nationalraete Andreas Aebi, Peter Keller und Pirmin Schwander, von rechts, sitzen mit Bauernhemden auf ihrem Platz, neben Adrian Amstutz, rechts, waehrend einer Debatte im Nationalrat, am Donnerstag, 19. Maerz 2015 waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

(Bild: PETER KLAUNZER)

In der Gossauer Schulaffäre sind zehn Schüler im Edelweiss-Hemd zum Unterricht erschienen. Dabei ist das «Hemli» an und für sich unschuldig, nicht aber sein Gebrauch als Gesinnungsdress.

«Kommt  in einer aufgeheizten Situation eine Gruppe von albanischen Schülern mit dem Doppeladler in die Schule und eine Gruppe von Schweizern mit Schweizer Kreuzen, dann muss die Schulleitung eingreifen, damit die Situation nicht eskaliert.» Von der Presse befragt, musste Beat Zemp, als Dachverbandspräsident sozusagen der oberste Lehrer der Schweiz, kürzlich diese Verhaltensempfehlung abgeben.

Anlass für die Erörterung dieses hypothetischen Falls war ein konkreter Anlass der vergangenen Woche: In Gossau (ZH) hiess eine Sekundarschullehrerin Schüler, die am Morgen demonstrativ in blau-weissen Schwingerhemden zum Unterricht gekommen waren, am Nachmittag in anderer Kleidung zu erscheinen.

Was sich im Zürcher Oberland am letzten Freitag zugetragen hatte, wurde in der Sonntagspresse sogleich hochgespielt und zu einer Grundsatzfrage gemacht: Was dürfen sich Schüler und Schülerinnen bezüglich Kleidung alles erlauben, und was dürfen oder sollen die Unterrichtsverantwortlichen als unerlaubt taxieren? Müssen wir das nun schon wieder diskutieren?

Wiederkehrende Medienhypes

Wir müssen. Die wiederkehrenden Medienhypes um solche Zwischenfälle sind zwar bemühend, wir kommen aber nicht darum herum, sie immer wieder zum Anlass zu nehmen, uns erneut zu überlegen, welchen Umgang unsere Schulen mit den Herausforderungen der multikulturellen Gesellschaft pflegen sollen.

Die an den Gossauer Zwischenfall anknüpfende Debatte uferte sogleich aus und erfasste die ganze Bandbreite der Kleidungsproblematik: von den bauchnabelfreien Tops (eigentlich schon wieder vorbei) bis zu den Baseballmützen (wahrscheinlich noch nicht vorbei), vom Markenterror bis zu Schuluniformen, mit denen soziale Unterschiede neutralisiert werden sollen – was übrigens in einem Basler Schulhaus 2006/07 mit geringem Erfolg getestet wurde.

Im Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass Gruppenzugehörigkeit auch über Fussballclub-Accessoirs, Frisuren und Slangs markiert werde und man dagegen wenig ausrichten könne. Natürlich war dann sogleich auch vom Kopftuch die Rede. Doch um all das ging und geht es nicht im vorliegenden Fall.

Das «Hemli» sollte nationale Zugehörigkeit markieren und auch die Nichtzugehörigkeit der anderen zum Ausdruck bringen.

Auf die Schule bezogen lautet die einfache Antwort: Erlaubt ist, was den Unterricht nicht stört, wie umgekehrt nicht gestattet sein soll, was dem Unterricht schadet. Doch was stört den Unterricht? Und wer entscheidet das? Als störend ist einzustufen, was mit gezielten Provokationen bereits bestehende Konflikte verschärft. Der auf Demonstration und Provokation angelegte Auftritt der sich markant schweizerisch gebenden «Sennebuebli» ging in diese Richtung. Unzweifelhaft handelte es sich um eine organisierte Gruppenaktion gegen Teile des gleichen Klassenverbandes – und allenfalls auch gegen die Lehrerin.

Es ist sicher zu begrüssen, dass Lehrpersonen solchen Herausforderungen nicht alleine ausgesetzt sind, sondern sich auf bestehende Hausordnungen abstützen können. Diese sollten vermeiden, dass es zu Überreaktionen kommt, aber auch Verbote nicht ausschliessen. Der eingangs zitierte Beat Zemp erklärte denn auch, dass Kleidung mit NS-Symbolik auf keinen Fall statthaft wäre. Ein Teil der aktuellen Herausforderung situiert sich aber in schwieriger einzuordnenden Problemlagen.

Die Gossauer Schuldemonstranten erklärten, sie hätten mit ihrer Aktion zeigen wollen, dass sie «stolze Schweizer» seien. Das wollten bekanntlich schon andere an anderen Orten der Schweiz ebenfalls. Diese taten es zumeist etwas gröber mit den üblichen Schweizerkreuz-T-Shirts. Der Einsatz des urchigen «Hemli» war etwas subtiler, hatte aber die gleiche Funktion: Kleidung sollte nationale Zugehörigkeit markieren und damit zwangsläufig auch die Nichtzugehörigkeit der anderen zum Ausdruck bringen.

Asymmetrischer Kulturkampf

Dass die Lehrerin dagegen einschritt, war unter diesem Aspekt richtig. Und dass sie die Aktion als rassistisch bezeichnete, ist im Kern ebenfalls nicht ganz unzutreffend, obwohl das von den meisten nicht verstanden und als überrissener Vorwurf abgetan wurde. Die Aktion betrieb via diffuse kulturelle, aber auch latent rassistische Zugehörigkeitsvorstellungen kollektive Aufwertung und Abwertung. Es ging nicht um eine Manifestation von horizontaler Andersartigkeit, sondern um vertikale, hierarchische Differenz.

Der in den Schulstuben geführte Kulturkampf könnte insofern symmetrisch sein, als ausgrenzende Provokation durchaus auch von Jugendlichen aus Einwanderungsfamilien kommen kann. Zugleich ist sie jedoch asymmetrisch, weil sich die eine Seite  – warum eigentlich? – auf alteingesessene Zugehörigkeit und Geburt berufen kann. Die «Hemli»-Schüler fühlen sich in ihrem Schulhaus möglicherweise als in der Defensive befindliche Minderheit, zugleich verstehen sie sich aber auch als Angehörige einer anspruchsberechtigten Mehrheitsgesellschaft.

Es könnte einem sogar darum leid tun, dass dieses «Hemli» zu einem Gesinnungsdress gemacht wird.

Die sich als einheimisch gebenden Schüler griffen nach einer Symbolik, die nur ihnen zur Verfügung stand. In Kommentaren wurde gesagt, dass man diese Kleidung mit den schönen Edelweissmotiven, die bei Schwingern, Bauern und Jodlern so beliebt sei, doch nicht dämonisieren dürfe. Das Hemd ist sicher unschuldig, nicht aber ein gewisser Gebrauch. Es könnte einem sogar darum leid tun, dass dieses «Hemli» von einer bestimmten Partei okkupiert und zu einem Gesinnungsdress gemacht wird.

Als Verlängerung der Gossauer Schulaffäre traten prompt einige SVPler im Zürcher Kantonsrat wie auch einige Parteikollegen im Nationalrat mit dem gleichen Outfit auf, um so die Zurechtweisung durch die Lehrerin zu denunzieren und zu unterlaufen. Indem sie das Schulproblem auf dieser Weise in die politische Arena trugen, machten sie deutlich, welche politische Haltung die Schüler zuvor in ihre Schule getragen hatten.

Die Schülerdemonstration dürfte übrigens, wie das «Hemli» ursprünglich selber, nicht zufällig mehrheitlich eine Männersache gewesen sein. Nebenbei kann man sich auch fragen, woher die mit dieser helvetischen Uniform aufmarschierenden Schüler ihre Ausstattung eigentlich hatten. Hinter den Schülern gibt es bekanntlich Elternhäuser, denen für solche Vorfälle auch eine gewisse Verantwortung zugeschrieben werden muss.

Unterrichtsziel Respekt

Aus der Distanz lässt sich leicht sagen, dass man auf Provokationen nicht autoritär reagieren und dass man solche Aktionen – natürlich teilweise auf Kosten von Rechnen und Schreiben und anderen wichtigen Fächern – zum praktischen Anlass für soziales Lernen nehmen soll. In einem solchen Gespräch käme dann zwangsläufig auch die sogenannte Kopftuchfrage wieder hoch. Nicht überraschend machte die in Schwingerhemden daherkommende Schuljugend ihrerseits in der Tat geltend: «Ein Kopftuch darf man in der Schule tragen, aber mit einem Edelweisshemd kriegt man einen Anpfiff.» Zufällig oder nicht zufällig fiel die Aktion mit einem Bundesgerichtsurteil zusammen, das ein in St. Margrethen (SG) erlassenes Kopftuchverbot für unzulässsig erklärte.

In einer offenen Auseinandersetzung mit dem «Problem» sollte es möglich sein, zwischen kulturell und religiös gegebener Eigenart und einer vorsätzlichen Manifestation mit politischer Absicht zu unterscheiden. Das Kopftuch wird in der Regel für sich selber und nicht gegen andere (den Rest der Klasse) getragen, während die «Hemli»-Aktion, so weit sich das auseinanderhalten lässt, schweizerische Identität nicht bloss für sich selbst ausdrücken wollte, sondern sich trotzig vor allem gegen andere richtete. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass das Kopftuch aus einem traditionellen Religionsverständnis heraus getragen wird, während die anderen, zumeist nur temporären Kleiderauffälligkeiten auf weitgehend freiwilligen Entscheiden beruhen.

Aus aktuellem Anlass dürfen wir uns daran erinnern, dass die Volksschule bisher eine wichtige Basis unserer Gesellschaft bildete und weiterhin bleiben sollte. Während man in ihr früher gerne einen Schmelztiegel sah, der Gleichheit herstellte, muss in unserer Zeit neben der ordentlichen Fachausbildung der respektvolle Umgang mit vermeintlich oder tatsächlich Andersartigen ein zentrales Unterrichtsziel sein – und zwar in allen Richtungen.

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