Dänemark ist Nordseeferien und Kopenhagen. Aber Aarhus, europäische Kulturhauptstadt 2017, gewinnt an Popularität. Trendgastronomie, Start-Ups und Kunstszene boomen – Katalysator dafür ist nicht zuletzt die Universität mit rund 50’000 Studierenden.
Man hört oft Aarhus habe keine Ellbogen. Im Gegensatz zur Hauptstadt Kopenhagen scheuen die Dänen hier den Augenkontakt nicht, Senioren grüssen Jugendliche und selbst in den schäbigsten Kneipen nickt der Wirt freundlich.
Die zweitgrösste dänische Stadt (230’000 Einwohner) liegt in einer unaufdringlichen Gemütlichkeit an der Ostsee-Küste (oder Nordsee oder weder noch, je nach dem wen man fragt). Und das obwohl jetzt im Winter, wo fast siebzehn Stunden des Tages in Dunkelheit getaucht sind, das Meer rau an die Hafenmauern schlägt.
Oft wirft der vom Wind ergriffene Eisregen horizontale Gefrierstreifen über das Gesicht. Auch die dänische Mode wirkt nicht gerade stimmungssteigernd: Schwarz mit weissen Akzenten. Hauptsache 95 Prozent monoton. Spätestens nach einer Stunde im Freien weiss man, Aarhus ist kein Winterdomizil.
Dokk1 ist nur eine der neuen architektonischen Prestigebauten. Prominent im Hafen liegend, findet sich hier eine moderne Bibliothek und das Kundencenter der Stadtverwaltung. (Bild: Livio Marc Stoeckli)
Und dennoch, Aarhus, das 2017 zusammen mit dem zypriotischen Paphos Kulturhauptstadt Europas ist, hat den gewissen Reiz einer werdenden Trendstadt. In den letzten Jahren hat sie den Arm um die Hauptstadt geschlungen und sich in Sachen Innovation näher an das rund 200 Kilometer entfernte Kopenhagen herangezogen.
Die Gastroszene boomt. Drei Michelin-Sterne in den letzten zwei Jahren – «Gastromeé», «Frederikshøj» und «Substans» –, dazu kommen mit dem Aarhus Central Food Market am Sankt Knuds Torv und Aarhus Street Food in einer ausrangierten Halle beim Busbahnhof gleich zwei kulinarische Spielwiesen.
Ein neues Museum, das in die Top 20 weltweit strebt
Mit dem Kunstmuseum ARoS hat Aarhus zudem ein neues nordisches Kulturepizentrum geschaffen. Gemäss Direktor Erlend Høyersten soll ARoS in den nächsten 20 Jahren zu den besten Kunstmuseen weltweit gehören. Nebst den 17’700m2 Ausstellungsfäche erhält man von der Regenbogen-Dachinstallation «Your Rainbow Panorama», entworfen vom dänisch-isländischen Künstler Olafur Eliasson, einen guten Ausblick auf die Innenstadt – auch auf Godsbanen (dt. Güterbahnhof). Am besten lässt sich das Alternativareal an einem Samstagnachmittag erleben: Floh- und Biogemüsemärkte gemischt mit Hipster-Cafés und einem Skatepark verleihen der Anlage einen berlinerischen Vibe.
Nach Grossstadt fühlt sich die dezentrale Innenstadt nicht an – ist deshalb aber umso charmanter und lädt zum Entdecken ein.
(Bild: Livio Marc Stoeckli)
Zunehmend trendig sind auch die im Süden der Stadt liegende Viertel Frederiksbjerg und Trøjborg im Norden. Entlang der Tordenskjoldsgade, die sich mitten durch Trøjborg bohrt, erlebt man den Mikrokosmos dieses Quartiers: Barbershops, Cafés, Secondhand-Läden und Kinos reihen sich. Hier kreuzen hauptsächlich Studierende herum – tatsächlich ist die rund 50’000 Studenten beherbergende Universität Aarhus gleich nebenan und einen Besuch wert.
Die von den Architekten C.F. Møller und Kay Fisker entworfenen aufs Meer weisenden Bauten aus gelbem Ziegelstein, umgeben vom Universitätspark, defnieren den Charakter der Eliteunviersität. Dies liegt einer melodramatische Vision der Architekten zugrunde: Am Hügel liegende Schiffe, die aufs Meer hinaus segeln.
Zur raschen Entwicklung der Stadt hat nicht zuletzt die Universität beigetragen. 1928 als Privatuni gegründet ist sie heute mit rund 50’000 Studierenden die grösste Universität Dänemarks und weltweit unter den Top 100.
(Bild: Livio Marc Stoeckli)
Wer genug umherspaziert ist, kann sich im Latinerkvarteret mit «Hygge», der dänischen Selbsttherapie gegen wochenlange Wetterenttäuschung und Dunkelheit kurieren. Zuletzt auf dem britischen Lifestylemarkt hemmunglos ausgeweidet beinhaltet das Prinzip Brettspiele, Lesestoff, Kerzen, literweise Tee und nicht wenig Alkohol.
In den Café-Restaurants «Drudenfuss», «Lecoq» oder «Løve’s Bog- og VinCafé» vergehen die Abende rasch. Spaziert man danach über die Kopfsteinpflasterstrassen des aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammenden Kernviertels der Stadt – übrigens benannt nach der Pariser Vorlage am linken Seine-Ufer –, stören auch die von der Kälte tauben Finger nicht mehr so stark. Wer trotzdem nochmals einen Aufwärmungsstopp einlegen möchte: In der Kellerbar «Café Under Masken» sind die Dekorationen ausgefallen und der Wein süffg.
- Aufwärmen: Den besten Kaffeeort in Aarhus gibt’s nicht, aber mit der Klostergade die beste Strasse dazu. Empfehlenswert sind das Café Gemmestedet oder das Great Coffee.
- Anbeissen: «La Rossa» im Street Food Aarhus – das junge Eigentümerpaar eröffnete die Steinofenpizzeria aus Nostalgie für die italienische Küche.
- Abschweifen: Im Sommer am Strand von Moesgård – verbunden mit einem Besuch im nahen gleichnamigen Museum. Im Winter beim Spaziergang im umwerfenden Botanischen Garten (Botanisk Have).
- Abdampfen: Vom Fährhafen aus erreicht man die Hauptstadt Insel Sjælland und Kopenhagen in zwei Stunden. Nebenbei gibts hier Fährverbindungen zu Inseln wie Samsø oder zum Nationalpark Mols Bjerge.