«Remain or leave?», das ist seit dem 23. Juni nicht mehr die Frage. Alles andere hingegen schon. Eine Übersicht.
Warum wollten die Briten nochmals raus aus der EU?
Für die «Frankfurter Allgemeine» ist klar: Die Briten sind einer Illusion gefolgt. Sie gaben den EU-Migranten die Schuld für alle Missstände im Land und wollten deshalb den Brexit. Nur seien die Migranten erstens nicht für die Missstände verantwortlich. Und zweitens mache der Brexit alles nur noch schlimmer.
» FAZ: Die Brexit Illusion
Was kommt nun auf die Briten zu? Was meinen die Experten?
Die sagen noch viel, wenn der Tag lang ist. Manches davon ist pures Kaffeesatzlesen, manches haben Sie vermutlich schon vor der Abstimmung gelesen. Viele sind beunruhigt. «Die Welt» etwa, weil sich die Verantwortlichen selbst verdächtig still verhalten. Als hätte weder im In- noch im Out-Lager jemand mit dem Resultat gerechnet. Als hätte keiner einen Plan, wie es weitergeht.
Die EU ihrerseits hat sich hinter den Kulissen schon seit Monaten auf das Brexit-Szenario vorbereitet und auch eine entsprechende Taskforce auf die Beine gestellt. Diese wird die Austrittsverhandlungen mit Grossbritannien führen. Geleitet wird sie von einem 50-jährigen Belgier: Didier Seeuws. Ein EU-Spitzendiplomat prophezeit: «An Didier werden sich die Briten die Zähne ausbeissen». Das Porträt im «Tages-Anzeiger»:
Und für die britische Bevölkerung gilt die Volksweisheit: Man weiss erst, was man hatte, wenn man es nicht mehr hat. Konkret bedauern dürften einige Brexit-Befürworter bald dies: Mit den billigen Alk-Shoppingtouren, wie sie bisher auf der Fähre nach Frankreich oder Belgien möglich waren, dürfte es vorbei sein. Ebenso mit günstigen EU-Tomaten und heimischen Spargeln.
» blog.zeit.de: Was der Brexit die Briten kostet
Bereuen die Briten bereits den Austritt?
Einige schon. Per Online-Petition fordern sekündlich mehr Menschen, dass nochmals über den Austritt abgestimmt wird. Unterzeichnen dürfen eigentlich nur britische Staatsbürger oder Menschen, die in Grossbritannien leben. Wie viele unter den inzwischen rund vier Millionen diese Bedingung erfüllen, kann aber niemand genau sagen.
» tagesschau.de: Eine Petition mit zweifelhaften Zahlen
Wie könnte ein Weg zurück aussehen?
Streng genommen ist das EU-Votum rechtlich noch nicht bindend. Dennoch dürfte es Tatsache sein. Es sei denn, Noch-Premierminister David Cameron sollte tatsächlich auf den Tipp hören, den ihm Krisen-Kumpel Griechenland zuruft. Griechenland? Ja genau, dort gabs ja 2015 auch so eine Referendums-Geschichte. Und die hätte fast zu einem Grexit geführt, als das Volk «Oxi» zu neuen Sparmassnahmen sagte. Doch Premierminister Alexis Tsipras ignorierte schliesslich den Volkswillen. Es kam nicht zum Grexit. Daher der Tipp von dort: «Bend it like Tsipras».
«Spiegel Online»: Griechen raten David Cameron, das Referendum zu ignorieren
No Future? Oder wie reagieren die Popstars auf den Brexit?
Ja. Die bekanntesten unter ihnen zeigen sich wütend und fluchen, was die englische Sprache hergibt. Allerdings nur auf den Social-Media-Kanälen und nicht in ihrem Medium: der Musik. Die «Süddeutsche Zeitung» bedauert dies zutiefst – und geht der Frage nach warum es keinen Anti-Brexit-Pop gibt, wie er früher etwa von den Sex Pistols hätte erwartet werden dürfen.
Schauen wir noch auf die «grüne Insel»: Nordirland wollte ja bleiben. Was geht da jetzt ab?
Auf beide Landesteile der grünen Insel kommt eine Phase der Instabilität zu. Dies, nachdem das Leben unter dem Schirm der EU dort wesentlich leichter geworden sei, wie Colm Tóibín schreibt, einer der bedeutendsten irischen Autoren. Jetzt «ist die innerirische Grenze ein befremdlicheres Gebilde geworden denn je; und die nordirische Identität ist heute so ungreifbar, so befrachtet mit Ironien, Seltsamkeiten und offenen Fragen wie nie zuvor».
» Zum Gastbeitrag in der NZZ: Nordirische Grenzgänge
Manche fürchten, die EU falle jetzt auseinander. Wer wird sie retten?
Deutschland. Jedenfalls übernimmt Berlin die Initiative, schreibt die taz. Inoffiziell habe sich die Macht innerhalb Europas in Richtung Deutschland verschoben, wie auch die kommenden Berliner Gipfeltreffen zeigten. Dies komme nicht überall gut an.
» Gespräche nach dem Brexit: Berlin, heimliche Hauptstadt Europas
Zum Schluss ein Blick auf die Schweiz: Was geht uns der Brexit an?
Aus Schweizer Sicht interessieren momentan vor allem zwei Dinge: Das liebe Geld und die heikle Frage, wie man die SVP-Zuwanderungsinitiative umsetzen kann. Der Franken ist wieder erstarkt, die EU hat jetzt andere Sorgen, als mit der Schweiz über die Zuwanderungsinitiative zu verhandeln, und somit ist Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann gefordert. In der «Samstagsrundschau» von SRF hat er über die Herkulesaufgaben gesprochen – mit überraschender Zuversicht.
Die «Handelszeitung» nimmt die Folgen des Brexit auf die Schweizer Börse unter die Lupe. Die Verunsicherung ist demnach gross: Die Anleger setzen auf defensive Werte, etwa auf Gold. Ein Absturz ins Bodenlose sei jedoch nicht zu erwarten. Allerdings: Die Aktie der Credit Suisse ist auf ein neues Rekordtief abgesackt.
Dass die Schweizer Börse den Brexit verhältnismässig gut überstehen kann, glaubt auch Expertin Anja Hochberg von Credit Suisse. Im Interview mit finanzen.ch sagt sie: «Gelingt der SNB die Stabilisierung des Schweizer Frankens auf oder um das aktuelle Niveau herum, dürfte der Schweizer Markt relativ gesehen besser abschneiden.»