Sibel Arslan in Istanbul: «Niemand wollte einen Putsch»

Die Nationalrätin Sibel Arslan hat den Putschversuch in Istanbul miterlebt. Wir haben mit ihr gesprochen.

«Erstmals solidarisiert sich die ganze Gesellschaft für eine Sache.» Die Grossrätin Sibel Arslan über die Kundgebungen in ihrer Heimat.

(Bild: Nils Fisch)

Die Nationalrätin Sibel Arslan hat den Putschversuch in Istanbul miterlebt. Wir haben mit ihr gesprochen.

Die Menschen in der Türkei haben eine chaotische und blutige Nacht hinter sich. Ein Militärputsch konnte von der Regierung Erdogan gerade noch abgewendet werden – so zumindest der aktuelle Stand der Informationen.

Die Basler Nationalrätin Sibel Arslan (BastA!) hält sich derzeit in Istanbul auf, um von dort in die USA weiterzureisen. Die TagesWoche konnte am Telefon kurz mit ihr über die hektischen vergangenen Stunden reden.

Frau Arslan, wie haben Sie die vergangene Nacht erlebt?

Wach. Es war eine sehr intensive Nacht, über unseren Köpfen flogen Kampfjets, die Menschen sind aufgewühlt. Doch jetzt ist es unüblich still. Normalerweise sind die Strassen in Istanbul um die Mittagszeit voller Menschen und Autos.

In der Nacht waren die Strassen doch noch voller Menschen?

Zuerst war die Unsicherheit gross und viele Menschen sind zuhause in Sicherheit geblieben. Doch dann hat Präsident Erdogan die Bevölkerung dazu aufgerufen, sich den Putschisten entgegen zu stellen. Um Mitternacht haben sehr viele Menschen ihre Häuser verlassen und sind auf die Strassen gegangen.

Um den Putsch zu verhindern?

Ja. Niemand will einen Putsch in der Türkei. Demonstriert haben zwar hauptsächlich Nationalisten und Anhänger von Erdogan. Aber auch viele Linke sind rausgegangen.

Sie waren also auch draussen?

Ja, ich war mit meiner Cousine unterwegs. Irgendwann wurde es aber zu chaotisch. Ganze Strassenzüge waren blockiert, die Taxis wollten niemanden mehr mitnehmen. Insbesondere dort, wo die Regierungspartei AKP ihre Büros hat, waren die Menschenmassen riesig. Dann sind wir wieder nach Hause gegangen, weil wir nicht abschätzen konnten, wie sich die Lage entwickelt.

Wurde es denn gefährlich?

Es wurde einfach sehr unübersichtlich. Die Stimmung und der Ton auf der Strasse wurde zunehmend aggressiv. Viele Leute wollten sich mitten in der Nacht mit Grundnahrungsmitteln eindecken, Teigwaren und Brot in den kleinen Läden waren ausverkauft. An den Bankomaten gab es kein Bargeld mehr.



In der Nacht versuchten sich die Menschen in Istanbul an den Bankautomaten mit Bargeld einzudecken.

In der Nacht versuchten sich die Menschen in Istanbul an den Bankautomaten mit Bargeld einzudecken. (Bild: Sibel Arslan)

Auf Twitter waren Videos zu sehen von Schiessereien und Kampfjets. Haben Sie auch solche Situationen beobachtet?

Wir hörten es immer wieder laut knallen. Aber wir wussten nicht, ob die Geräusche tatsächlich durch Explosionen verursacht wurden oder durch die wahnsinnig tief fliegenden Kampfjets.

Wie ist die Stimmung am Morgen danach?

Die Strassen sind wie gesagt unüblich ruhig. Das Leben steht still. Einige Läden haben zwar wieder geöffnet und auch die Taxis fahren wieder, doch die Stimmung bleibt angespannt. Es herrscht noch immer eine grosse Unsicherheit, vor allem über die Situation in der Hauptstadt Ankara. Alle, wirklich alle, sitzen vor dem Fernseher und verfolgen gespannt, wie sich die Lage entwickelt.

Sie waren eigentlich bloss auf der Durchreise und jetzt stecken Sie fest. Wie lange bleiben Sie noch in Istanbul?

Der Flughafen scheint wieder offen zu sein. Ich konnte meinen Flug auf Montag umbuchen, bis dahin bleibe ich hier.

Viel Glück, Sibel Arslan, und danke für den Bericht aus Istanbul.

Artikelgeschichte

16.07.2016, 12:45 Uhr: Die Aussage «Wir alle stellten uns dem Militär in den Weg» wurde wieder entfernt. Sibel Arslan habe nach eigener Aussage nicht aktiv an den Demonstrationen teilgenommen, sondern diese lediglich als Beobachterin mitverfolgt.

Nächster Artikel