Sie schaden mehr, als sie nützen

Leerläufe, Pannen und Skandale: Die Schweizer Nachrichtendienste kosten viel, bringen wenig – und sie lassen sich von Nachbardiensten manipulieren.

Einer von vielen Skandalen des Schweizer Nachrichtendienstes war die Geheimarmee P-26. Im Bild der Eingang zu einer Bunkeranlage der Hobby-Armee. (Bild: Keystone)

Leerläufe, Pannen und Skandale: Die Schweizer Nachrichtendienste kosten viel, bringen wenig – und sie lassen sich von Nachbardiensten manipulieren.

Nicht von einem Schweizer Nachrichtendienst erfuhr der Schweizer Verteidigungsminister die schlimme Nachricht. Meldung machte ihm vielmehr ein grün livrierter Weibel: «Herr Bundesrat, Sie sollten jetzt wohl mal CNN schauen», sagte der Mann, nachdem er an die Tür geklopft und Samuel Schmid geöffnet hatte. Es ist der Nachmittag des 11. Septembers 2001. Der Tag, an dem arabische ­Terroristen mit Passagierflugzeugen zu Kamikaze­flügen in die New Yorker Twintowers ansetzten und diese zum Einsturz brachten. Der Tag, der als 9/11 in die Weltgeschichte eingehen sollte.

Millionen weltweit operierende Geheimagenten hatten nichts davon gewusst und ihre Regierungen nicht gewarnt. Die Schweizer Nachrichtendienste sowieso nicht. Noch nicht mal, dass da an diesem Dienstag im September 2001 etwas Schlimmes vor sich ging, worüber man die Landesregierung sofort informieren müsste, hatten die rund 400 Agenten gemerkt, die der Bund beschäftigt und bezahlt. Der Weibel in seiner Loge war schneller gewesen und effizienter.

Immer überrascht

Dasselbe galt zuvor schon beim Fall der Mauer in Berlin 1989. Es galt für das Platzen der Milliarden-Finanz­blase in den USA und weltweit. Und es bestätigte sich beim Ausbruch der arabischen Revolten von Nord­afrika über Ägypten bis Bahrain: Sogar Regierungen wie jene der USA, Chinas oder Russlands, die Hunderttausende Agenten und Spione beschäftigen, wurden überrascht. Der Schweizer Bundesrat sowieso. Dessen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) merkte im letzten Frühling noch nicht mal, dass Unmengen seiner gespeicherten Informationen im Rucksack eines seiner Mitarbeiter zur Tür des NDB-Hauptquartiers an der Papiermühlestrasse in Bern hinausrannen.

Ein GAU, ein «grösster anzunehmender Unfall» sei das gewesen, sagte Bundesrat Ueli Maurer, oberster Chef des NDB. Dann jedenfalls, wenn der schludrig kontrollierte EDV-Mann des NDB die geklauten Daten effektiv ins Ausland verkauft hätte, wie er es offenbar geplant hatte. Alarmiert hatte diesmal ein wachsamer Bankbeamter.

Banal, bekannt, belanglos

Doch es gibt begründete Zweifel, ob der massive Datenklau beim NDB für unser Land tatsächlich so üble Folgen hätte haben können, wie dies von vielen Medien hochgeschrieben wurde. Die Nachrichten, welche dieser Dienst ­regelmässig «vertraulich» an den Bundesrat weiterleitet, bewegen sich nämlich meist zwischen Banalitäten, längst Bekanntem und Belanglosem.

Das meiste ist für die Sicherheit der Schweiz irrelevant. Da kann man etwa lesen, in Gerlafingen (SO) finde ein «Tanzanlass» statt: «Es treten 4 junge Mädchen aus zwei srilankischstämmigen Familien zur Prüfung an.» Gleichentags sei der Papst in Libanon/Beirut zu Besuch. Und aus «Deutschland/Hillersleben» wird ein «Internationales Diskussions- und Aktionscamp gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) der Bundeswehr» vermeldet.

Dann wieder warnt der NDB die Landesregierung vor einer «Strategischen Grossübung der Streitkräfte im Nordkaukasus». Und im Stade de Suisse spiele um 16.15 Uhr YB gegen den FC Basel: «Beurteilung: Erhöhtes Risiko.» Ganz brisant ein Tag im letzten Herbst: Da drohe eine «Karawane für die Freilassung inhaftierter Aktivisten» in Lenzburg, berichtet der NDB. Und vergessliche Mitglieder der Landesregierung werden von den Geheimagenten immer wieder gemahnt: «Bern/Bundesratssitzung».

In den Papierkorb

Was Wunder, berichten Mitarbeiter der Bundesräte, solche Berichte schaue niemand je an, die wanderten stets «direkt in den Papierkorb». Jacques Pitteloud, der bis 2006 als Nachrichtenkoordinator des Bundesrates arbeitete, stellte bald schon entnervt fest, beide Dienste brächten wenig Brauchbares: «Die lesen einfach Zeitungen

Das hat auch Vorteile: Im Unterschied zu grösseren Geheimdiensten, wie jenen der USA oder Russlands etwa, die mitunter im Stile krimineller Vereinigungen Gesetze brechen, Leute entführen, foltern und gar ermorden, respektieren Berns harmlose Agenten meist den Rechtsstaat. Passieren ihnen Pannen, sind diese zudem eher amüsant als bedrohlich für die Schweiz.

Die NDB-Agenten wollen wieder flächen­deckend schnüffeln.

Das begann schon vor 100 Jahren, als zwei Schweizer Geheimdienst-Oberste die deutsche Botschaft mit Informationen belieferten, eine Affäre generierten – und umgehend geschasst wurden. Es folgte dann im Zweiten Weltkrieg ein kleines Zwischenhoch, in dem der Schweizer Geheimdienst sehr gut und eigenständig im Interesse unseres Landes arbeitete – und weitherum Respekt genoss.

Skandale, Schlag auf Schlag

Doch bald folgten die Skandale Schlag auf Schlag: 1979 wird der Schweizer Spion Kurt Schilling von der Polizei festgenommen, weil er sich im Felde beim Ausspionieren des Österreichischen Bundesheeres auffällig unauffällig benimmt. 1980 zeigte ein Bericht die Machenschaften des Geheimdienst-Obersten Alfred Bachmann auf. Bachmann hatte in Irland Exilresidenzen für den Bundesrat orga­nisiert und im Inland illegale Geheimzellen gegründet. Schon dieser Bericht hätte die heimliche Umsturzarmee P-26 enthüllen können. Doch der Geheimdienst selbst erklärte den Bericht für geheim. 1990 flog die Geheimarmee doch noch auf – im Nachgang zum «Fichenskandal»: 900 000 Schweizer Bürger und Organisationen waren illegal von den Geheimdiensten ausspioniert und fichiert worden.

Durch einen Zufall kam gleich danach die Geheimarmee P-26 ans Licht. Eine kleine Gruppe bürgerlicher Milizmilitärs hatte eine klandestine Kampfgruppe aufgebaut, nach Vorbild der von US-Geheimdiensten und Nato-Generälen damals in Europa implementierten Umsturzarmeen wie «Gladio» in Italien. Hinter dem Rücken von Bundesrat und Parlament waren dabei Millionen aus der Bundeskasse abgezweigt und für den Kauf von Waffen und Sprengstoff sowie den Bau von Unterständen verwendet worden. Bis heute halten die überlebenden Geheim-Armisten die Legende aufrecht, sie hätten mit der P-26 nicht den Umsturz gegen linke Mehrheiten vorbereiten wollen, sondern den Widerstand im Falle einer Besetzung der Schweiz.

Wieder zehn Jahre später zweigte der Geheimdienst-Mann Dino Bellasi Millionen für fiktive­ WK-Truppen ab. Damit kaufte er «sichere» Häuser im Ausland und finanzierte ein Waffenlager. Als er aufflog, behauptete sein Vorgesetzter Divisionär Peter Regli, er habe von all dem nichts gewusst. Bellasi wanderte ins Gefängnis. Regli, er zuvor mit eigenmächtigen und dubiosen Kontakten zum Apartheidregime in Südafrika einen Skandal provoziert hatte, musste den Dienst quittieren.

Naive Schweizer Beamte

Derlei dubiose Aktionen bedrohten die Sicherheit unseres Landes meist mehr, als dass sie etwas dazu beitrugen. Und stets entstand der Eindruck, da seien naive Schweizer Agenten nicht im Interesse ihres Landes aktiv geworden, sondern am Gängelband «benachbarter Dienste» – vorab jenem der USA. Mit solchen Diensten müssten sie zusammenarbeiten, argumentieren die NDB-Leute stets, sonst bekämen sie «keine wichtigen Informationen» mehr.

Doch die Schweizer Nachbarschaft zu fremden Diensten ist ein doppeltes Sicherheitsrisiko: Zum einen brauchen Partnerdienste diese «Zusammenarbeit», um die Regierungen kleiner Länder zu manipulieren und für ihre Interessen einzuspannen. Aktuell etwa will der NDB dem Bundesrat allen Ernstes weismachen, auch die neutrale Schweiz könne sich am Raketenabwehrsystem beteiligen, das die USA und die Nato in Osteuropa aufbauen wollen.

Zum anderen aber nutzen die Nachbardienste ihre Partnerschaft mit dem Schweizer Geheimdienst immer wieder als Freipass für illegale Aktionen und ungeahndete Verstösse gegen das Strafgesetz in unserem Land: Da werden ­Telefonleitungen angezapft, Botschaften und Gewerkschaften ausspioniert und ganze Gerichtsverfahren manipuliert wie im Fall Tinner. Es kam sogar zu Anschlägen durch Geheimdienste mit Spezialsprengstoff auf eine Fabrik in Wald (ZH), die nie aufgeklärt wurden. «Folterflieger» der US-Geheimdienste verletzten unseren Luftraum.

Das ewig gleiche Lied

Und jedes Mal, wenn eine ihrer Pannen oder ein Skandal auffliegt, singen die Agenten das alte Lied: Sie bräuchten halt mehr Geld, mehr Personal und mehr Freiräume. Auch jetzt wieder: Mit dem neuen Nachrichten­gesetz wollen die NDB-Agenten künftig wieder flächendeckend schnüffeln – inzwischen aber elektronisch aufgerüstet. Mit Trojanern möchten sie Computer von Firmen und Privaten hacken. Sie wollen Telefone und Handys abhören, die Post kontrollieren. Auch möchten sie mit Privaten, also mit Denunzianten, zusammenarbeiten, ihre eigene Identität mit gefälschten Papieren verschleiern – und sich bewaffnen.

Kurzum: Wie zur Fichenzeit möchten sich die Agenten einen rechtsfreien Raum schaffen. Und die Daten, die sie so sammeln, möchten sie «in Abweichung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen» auch an «ausländische Behörden» weiter­geben – an jene halbkriminellen «Nachbardienste» also, die Leute entführen, foltern und ermorden.

Es folgt eine Zusammenfassung der aktuellsten Peinlichkeit. Einen Direktlink zur Storify-Zusammenstellung gibt es hier.


Quellen

Interview mit einem ehemaligen Spion in der WOZ.

Der «Blick» zur Libyen-Affäre.

Die Recherchen der «Sonntagszeitung» brachten den jüngsten Nachrichtendienst-Skandal ans Licht.

Ehemalige Mitglieder von P-26 brechen ihr Schweigen, DOK des Schweizer Fernsehens.

Der «Infosperber» über P-26.

Chronologie des Fall Tinner von Schweizer Radio SRF.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.11.12

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