Silvia Schenker: «Einige Menschen in der SP zu enttäuschen, tut mir weh»

Silvia Schenker tritt nicht vorzeitig als Nationalrätin zurück, um ihrem Nachfolger Mustafa Atici Platz zu machen. Sie wolle den Zeitpunkt selber bestimmen, sagt sie im Interview.

Silvia Schenker fühlt sich noch nicht bereit, Bern zu verlassen.

 

(Bild: Keystone/LUKAS LEHMANN)

Silvia Schenker tritt nicht vorzeitig als Nationalrätin zurück, um ihrem Nachfolger Mustafa Atici Platz zu machen. Sie wolle den Zeitpunkt selber bestimmen, sagt sie im Interview.

Silvia Schenkers Zeit als Nationalrätin läuft Ende 2019 ab. Trotzdem will die Basler SP-Politikerin nicht vorzeitig zurücktreten und somit Mustafa Atici Platz machen, der ihren Sitz übernehmen könnte. Damit löst sie in der Partei Unverständnis aus. Im Interview erklärt Schenker, was die Gründe für diesen Entscheid sind, und sagt, dass sie eigentlich gar nicht mehr für eine vierte Legislatur hätte kandidieren wollen.

Frau Schenker, weshalb haben Sie sich entschieden, nicht vorzeitig aus dem Nationalrat zurückzutreten und somit Mustafa Atici Platz zu machen?
 
Ich kenne selbstverständlich jene taktische Praxis, mit der die Parteien versuchen, ihre Sitze zu behaupten: Man nominiert für die regulären Wahlen eine Bisherige oder einen Bisherigen mit sehr grossen Wahlchancen. Vor den nächsten Wahlen tritt diese Politikerin dann ab, um den Sitz noch während der Legislatur dem Nachrückenden frei zu machen. Der wiederum hat dann bei den kommenden Neuwahlen bessere Chancen, weil er als «Bisheriger» antreten kann.

Was halten Sie von diesem Manöver?

Ich will diese Praxis nicht moralisch werten, denn Taktik gehört zur Politik. Aber für mich gehört zur Politik vor allem, den Auftrag der Wähler und Wählerinnen zu erfüllen. Niemand hat mich 2015 für ein oder zwei Jahre gewählt, sondern für eine ganze Legislatur von vier Jahren. Und diesen Auftrag will und werde ich erfüllen, auch wenn das aktuell nicht im Sinn der Parteiführung ist. Aber jene Wählerinnen und Wähler in Basel nicht zu enttäuschen, die mir mit ihrer Stimme bereits zu meinen Grossratszeiten und auf nationaler Ebene seit 2003 vertrauen und meine politische Arbeit schätzen, hat Priorität, steht auf meiner Pro-und-Contra-Liste zuoberst. Abgesehen davon: Ich bin gesund, motiviert, habe unveränderte Freude an meinen politischen Aufgaben, und die möchte ich jetzt nicht wie ein halbfertiges Puzzle als erledigt betrachten. 

Seit wann steht der Entscheid fest?

Diesen Entscheid fällte ich nicht am Tag X, er war die Konsequenz eines längeren Prozesses, eines Abwägens zwischen Partei-Disziplin und dem Wählerauftrag. Anfang dieser Woche habe ich nun der basel-städtischen Parteispitze und Mustafa Atici meinen Entscheid direkt kommuniziert. 

«Mir ist und war es wichtig, den Zeitpunkt der Beendigung meiner politischen Tätigkeit selber und im Sinn der Wählerschaft zu bestimmen.»

Gemäss Mustafa Atici halten Sie sich somit aber nicht an eine Abmachung.

Es gab nie eine schriftliche oder mündliche Abmachung in der Frage. Was ich bestätige, ist die Tatsache, dass mir die Parteiführung vor den Wahlen 2015 ihren Wunsch eines vorzeitigen Rücktrittes zugunsten des nachrückenden Mustafa Atici deutlich kommuniziert hat. Ich habe damals diese Möglichkeit absolut in Betracht gezogen, der Parteipräsidentin neben anderem aber mitgeteilt, dass ich mich als Wieder-Kandidierende nicht zeitgleich mit den Wahlen mit dem Thema «Rücktritt» befassen könne und möchte.

Ich stellte Parteipräsidentin Brigitte Hollinger und Mustafa Atici einen vorzeitigen Rücktritt als eine Möglichkeit in Aussicht, aber ich habe ganz sicher nie etwas versprochen. Seither habe ich im bereits erwähnten Prozess eine Güterabwägung vollzogen und mich dann entschieden. Ein Kompromiss war und ist ja in diesem Fall nicht möglich: Ich musste mich entscheiden zwischen Rücktritt oder Auftragsbeendung. Punkt. Ein «bisschen» zurücktreten aus dem Nationalrat geht ja nicht.

Haben Sie kein schlechtes Gewissen der Partei und Atici gegenüber, dass Sie nun nicht vorzeitig zurücktreten? Zumal Ihre Partei im Februar 2015 Ihre Amtszeitbeschränkung extra aufgehoben hat – nur deshalb konnten Sie nochmals für den Nationalrat kandidieren.

Die SP hat die Amtszeitbeschränkung nicht meinetwegen aufgehoben, sondern sie hat im Fall von Ständerätin Anita Fetz und in meinem Fall legitimen und legalen Gebrauch von einem Statut gemacht, das unter besonderen Umständen eine vierte Amtszeit erlaubt. Wenn ich jetzt auf mein «Gewissen» überprüft werde, ist das für mich nur schwer erträglich. Denn ehe ich auf dieser Ebene begutachtet werde, und das zudem aus einer aktuellen Enttäuschung heraus, sollte man das wohl auch wissen: Mein ursprünglicher Plan im November 2014 war glasklar der, dass ich nicht mehr für eine vierte Amtszeit kandidieren werde. Diese Absicht, nein, vielmehr diesen Entschluss teilte ich der Parteiführung auch mit. Ein entsprechendes Communiqué, mit dem ich das Ende meiner parlamentarischen Tätigkeit kommuniziert hätte, lag bereits pfannenfertig in meiner Schublade.

Und was geschah dann?

In der Folge hat mich meine Parteileitung richtiggehend beschworen, nochmals anzutreten, um für die Linken einen dritten Sitz zu gewinnen. Und irgendwann habe ich mich doch überzeugen lassen nochmals zu kandidieren. Ich sage «überzeugen», um nicht das Wort «überreden» gebrauchen zu müssen …

Zur Enttäuschung von Mustafa Atici …

Dazu kann ich nur das sagen: Ich enttäusche niemanden gerne, schon gar nicht einen geschätzten Parteigenossen. Aber was ist denn eigentlich passiert? Nicht mehr, als dass er nicht jetzt, sondern halt erst in drei Jahren Nationalrat werden kann. Denn nichts hindert ihn daran, für 2019 nochmals ganz regulär und mit völlig intakten Wahlchancen zu kandidieren. Ich jedenfalls werde ihn dann garantiert wählen, weil ich ihn für sehr fähig halte.

«Ist es nicht ein wenig eigenartig, dass ich mich für die ‹Normalität› rechtfertigen soll? Denn normal ist doch, dass ein Wählerauftrag zu Ende geführt wird.»

Ihr Entscheid kann auch als egoistisch bezeichnet werden.

Der Entscheid ist nicht egoistisch, sondern wie gesagt das Ergebnis eines durchaus langen Abwägens. Und bei Licht betrachtet: Ist es nicht ein wenig eigenartig, dass ich mich für die «Normalität» rechtfertigen soll? Denn normal ist doch, dass ein Wählerauftrag zu Ende geführt wird. Einen taktischen Rücktritt inmitten einer Amtsperiode gab es immer mal wieder und das wird weiterhin vorkommen, aber es wird und soll die Ausnahme bleiben.

Gibt es an Ihrem Entscheid noch etwas zu rütteln?

Meine Antwort ist die, die ich am 19. Dezember auch dem Partei-Präsidium und Mustafa Atici persönlich und absolut transparent mitgeteilt und begründet habe: Es ist ein definitiver Entscheid. Damit besteht ab sofort für alle Klarheit: für die Partei, eine Nachfolge-Kandidatur für 2019 mit viel Zeit und ohne Hektik zu regeln. Und für mich persönlich ebenfalls. Mir ist und war es wichtig, den Zeitpunkt der Beendigung meiner politischen Tätigkeit selber und im Sinn der Wählerschaft zu bestimmen. Immerhin erzielte ich bei den letzten Wahlen das zweitbeste Ergebnis im Kanton.

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Das Interview mit Silvia Schenker musste aus zeitlichen Gründen schriftlich geführt werden.

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