Seit einem Jahr regiert ex-General Abelfattah al-Sisi als Präsident in Ägypten. Er führt das Land wie eine Armee. Autoritäre Züge sind unverkennbar; die Politik ist tot. Mit Mega-Projekten will er den wirtschaftlichen Aufschwung erzwingen.
Jeder Tag beginnt mit einem Foto von Präsident Abdelfattah al-Sisi auf der Titelseite der Tageszeitung. Die Nachrichten im Radio sind eine inhaltslose Aufzählung seiner Aktivitäten über den Tag. Ein Jahr nach der Amtsübernahme ist der ex-General und ehemalige Armeechef und Verteidigungsminister omnipräsent. Er kümmert sich nicht nur um die grossen Themen, sondern versucht auch im internen Gezänk einer Partei zu schlichten.
Der Fokus auf einen einzigen Mann und der Personenkult erinnern an die jahrzehntelange Regentschaft von Hosni Mubarak, der in der Revolution vom Frühjahr 2011 gestürzt wurde. Dazu passt auch die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Corvinius Universität in Budapest anlässlich von Sisis Ungarnbesuch letzte Woche.
Sisi hat nahezu absolute Macht
Kritische Geister warnen vor den autoritären Zügen, die unverkennbar sind: Sisi regiert ohne Parlament und hat deshalb fast absolute Macht. Noch immer gibt es keinen Termin für die Parlamentswahlen. Grund sind zwar juristische Geplänkel um das Wahlgesetz, aber der Präsident hat keine Eile. Im Durchschnitt ein Mal pro Tag unterschreibt er ein Dekret.
Wichtige Gesetze werden ohne öffentliche Debatte in Kraft gesetzt und dann auch wieder geändert. Bis eine Volkskammer je ihre Arbeit aufnimmt – das wird im besten Fall gegen Jahresende der Fall sein – werden die wichtigsten Pflöcke eingeschlagen, die staatlichen Strukturen definiert sein. Das neue Parlament wird zwar zwei Wochen Zeit haben, die Dekrete zu ratifizieren, für eine Überprüfung reicht das aber nicht aus.
Der Präsident ist kein Freund von kontroversen Diskussionen und Debatten. Er führt das Land eher wie eine Armee, unterstützt von Beratern und engen Mitarbeitern, die fast alle Offiziere sind. Sisi hat etwa befohlen, dass der neue Suez-Kanal in einem Jahr fertiggestellt werden müsse und nicht wie geplant in drei Jahren.
Bereits drei Mal hat er versucht, alle wichtigen Parteien inklusive den erzkonservativen Salafisten dazu zu bewegen, sich auf eine Einheitsliste zu verständigen. Den Parteien wird ohnehin nur ein Fünftel der Sitze zugestanden. Die grosse Mehrheit wird über Einzelwahlkreise verteilt, die mit Geld und Beziehungen leicht zu beeinflussen sind. Etwas anderes als ein Sisi-Ja-Sager-Parlament ist deshalb nicht zu erwarten.
Sicherheit auf Kosten der Menschenrechte
Eine politische Vision hat Sisi nicht, das hat er von sich aber auch nie behauptet. Er ist angetreten, um nach dem gewaltsamen Sturz der Muslimbrüder Sicherheit und Stabilität wieder herzustellen und die Wirtschaft anzukurbeln. Sein Sicherheitsdenken beherrscht sein ganzes Wirken. Er hat auch kein politisches Konzept, wie mit dem politischen Islam umgegangen werden soll.
Der Preis sind massive Menschenrechtsverletzungen. Ägypten erlebte die gewalttätigste Periode seit 30 Jahren, hat der nationale Menschenrechtsrat über die Periode zwischen Mitte 2013 – der Entmachtung der Muslimbrüder – und Ende 2014 kürzlich festgestellt. In dieser Zeit gab es 2600 Tote, darunter 100 in den Gefängnissen. Unabhängige Menschenrechtsorganisationen sprechen deshalb offen von einer «Republik der Angst».
Die radikale Unterdrückung der Islamisten mit allen Mitteln hat die extremen Elemente in deren Reihen gestärkt. Anschläge auf Sicherheitspersonal und Sabotageakte auf Infrastruktureinrichtungen gibt es nach wie vor fast täglich.
Die Repression trifft jede Art von Opposition, auch die Aktivisten, die in der vordersten Reihe der Revolution von 2011 gestanden sind. Diesen Geist und auch jenen des 30. Juni 2013, das heisst der Massendemonstrationen gegen die damals regierenden Muslimbrüder, will eine neue Bewegung wieder erwecken, die sich al-Bidaya (der Anfang) nennt. Auch einige bekannte Persönlichkeiten, wie der Schriftsteller Alaa al-Aswany haben sich hinter den Slogan «Schweigen ist nicht mehr möglich» gestellt. Von den Medien, die alle Sisis Politik verteidigen, wurde die Bewegung sofort verunglimpft, sie würde den Interessen der Muslimbrüder dienen.
Zwei bis drei Jahre Geduld hatte der Präsident bei seinem Amtsantritt verlangt. Noch kann er sich auf die Bevölkerung stützen, die laut Umfragen zu über 80 Prozent hinter ihm steht. Jeden Monat wendet er sich mit oft populistischen Aktionen an die Öffentlichkeit. Beim letzten Mal hat er über die Verteilung von 10’000 Stück Vieh an arme Familien berichtet. Einen neuen E-Mail-Briefkasten hat er kürzlich eingerichtet, um mit der Bevölkerung direkt zu kommunizieren In 24 Stunden sind über 8’000 Fragen, Beanstandungen und Vorschläge eingegangen.
Lebensnerv aus den Golfländern
Von der leichten wirtschaftlichen Erholung, die von über 20 Milliarden Dollar aus den Golfländern gestützt wurde, hat die grosse Masse der Ägypter noch nichts gespürt. Auch unter Mubarak gab es hohe Wachstumsraten, aber bei der Bevölkerung kam davon nichts an. Sisi setzt auf Mega-Projekte wie den Suez-Kanal, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Auch hier fehlt eine Vision, die für Ägypten passt und nicht von Dubai inspiriert ist.
Einhelliges Lob erntet der Präsident dagegen für seine Aussenpolitik. Sisi setzt nicht nur auf die USA sondern hat sich auch andern Ländern wie Russland und China zugewandt. Sein Besuch in Deutschland letzte Woche war der letzte Beweis, dass die Vorbehalte gegen ihn wegen der fehlenden demokratischen Entwicklung in der westlichen Welt der Realpolitik und den wirtschaftlichen Interessen gewichen sind.
Ägypten als stabilisierender Faktor in einer von Krisen geschüttelten Region ist unverzichtbar. Schweissgebadet hat Sisi in der Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel alle Fragen zu den Menschenrechten relativiert. Unterstützt wurde er auf seiner Reise von „Sisi-Ultras“, Loyalisten, etwa Schauspielerinnen, die alle kritischen Stimmen übertönten.