Hans-Peter Walser ist als neuer Kommandant für die Truppen beider Basel zuständig. Er lobt das Milizsystem und warnt vor Katastrophen – durch die Natur und durch Menschenhand. Ein Gespräch über die letzte «sicherheitspolitische Reserve» der Schweiz.
Nach 17 Jahren im Hauptquartier in Bern kehrt Hans-Peter Walser zur Truppe zurück. Seit Jahresbeginn ist der 52-Jährige Kommandant der Territorialregion 2, die von der Innerschweiz bis nach Basel reicht.
Der Divisionär zeigt sich im Gespräch begeistert von seinem neuen Job, blickt zurück auf die Volltruppenübung Conex 15 und spricht über die Armeereform sowie die Bedrohungen und Gefahren für die Schweiz. Auch für Zivildienstleistende hat der Kommandant Verständnis, aber nur, wenn sich der Dienst mit der Waffe tatsächlich nicht mit dem Gewissen vereinbaren lässt.
Herr Walser, Anfang Jahr haben Sie das Kommando der Territorialregion 2 übernommen. Ist das der Höhepunkt Ihrer militärischen Karriere?
Absolut. Ich konnte das Hauptquartier in Bern nach 17 Jahren in verschiedenen Funktionen verlassen und bin jetzt wieder zurück bei der Truppe, bei der Miliz. Wir haben nur vier Territorialregionen in der Schweiz, und eine dieser vier führen zu dürfen, ist wahrscheinlich eine der schönsten Aufgaben, die es gibt.
War Kommandant schon immer ein Traumjob für Sie?
Bereits in der Offiziersschule habe ich mit dem Gedanken gespielt, ins Berufsmilitär zu wechseln. Ich wollte aber zuerst das Jus-Studium abschliessen, Berufserfahrung sammeln, und bin dann erst relativ spät mit 30 Jahren ins Berufsmilitär eingestiegen.
Kommandant einer Territorialregion, das ist nicht gerade ein 08/15-Job.
Unser Arbeitsalltag, würde ich sagen, ist ganz «normal». Man beginnt früh und arbeitet meist lange. So hat man oft auch noch am Abend oder am Wochenende eine Verpflichtung bei einer Offiziersgesellschaft, im Rahmen einer Offiziers- oder Wehrmännerentlassung darf man noch irgendwo ein Referat halten.
Keine geregelte 42-Stunden-Woche also.
Nein, das wäre auch gar nichts für mich. Ich bin es vom Hauptquartier her gewohnt, relativ lange Tage zu haben.
Ihr Vorgänger, Andreas Bölsterli, hat im September eine der grössten Truppenübungen der letzten Jahre in der Territorialregion 2 durchgeführt: die Conex 15. Was ist Ihre Bilanz?
Wir ziehen jetzt nach der Conex die Lehren aus der Übung und verarbeiten die «lessons learned». In gewissen Bereichen haben wir gemerkt, dass wir einiges besser machen können. Dort üben wir jetzt weiter.
Und was haben Sie gelernt?
Die Übungen haben in den letzten Jahren jeweils bloss zwei oder drei Tage gedauert. Bei einer achttägigen Übung kommen ganz andere Herausforderungen auf die Kader und Soldaten zu. Wir müssen das vernetzte Denken über die Bataillonsgrenzen hinweg wieder fördern. Heute leisten praktisch alle Bataillone den Dienst alleine. Man ist es sich nicht mehr gewohnt, dass verschiedene Bataillone gleichzeitig einen Einsatz machen, dass man auch auf die Hilfe des Nachbarbataillons setzen kann. So etwas kann man nur trainieren, wenn verschiedene Bataillone zusammen eine grosse Übung durchführen.
Warum sind längere Übungen für eine Armee so viel schwieriger?
Man braucht einen funktionierenden Ablösesrhythmus. Man kann nach zwei Tagen nicht einfach sagen, jetzt sind alle müde, gehen wir nach Hause. Wenn zum Beispiel in drei Schichten gearbeitet wird, hat man effektiv nur einen Drittel des Bestandes im Einsatz, das heisst auch weniger «Power». Zusätzliche Herausforderungen gibt es bei solchen Übungen aber auch im Bereich der Verpflegung oder Materialversorgung.
Warmes Essen gab es aber immer für alle Soldaten?
Selbstverständlich. Aber die Kader mussten wirklich planen und führen.
Eine andere Möglichkeit wäre, mit anderen zu kooperieren, zum Beispiel mit der Nato oder der EU.
Im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden oder auf bilateraler Grundlage arbeitet unsere Armee vor allem im Ausbildungsbereich immer wieder mit anderen Armeen zusammen. So trainiert unsere Luftwaffe zum Beispiel jedes Jahr insbesondere Nacht- und Tiefflüge im Norden oder über dem Mittelmeer. Unsere bewährte, in der Verfassung verankerte, bewaffnete Neutralität verbietet es aber, Verpflichtungen zum militärischen Beistand im Falle von Konflikten einzugehen. Zudem bin ich überzeugt, dass ein anderer Weg nicht günstiger wäre: Eine Partnerschaft besteht nicht nur aus «Nehmen», sondern ebenso aus «Geben».
Heute haben wir das Milizsystem. Müssten um der Sicherheit willen nicht längst Profis ran?
Der Souverän hat das Milizsystem mit der Abstimmung über die allgemeine Militärdienstpflicht bestätigt. Über 73 Prozent wollen daran festhalten. Eine professionelle Armee, in dem Umfang, wie wir sie benötigen würden, könnten wir uns gar nicht leisten. Zudem hätten wir nie die Kompetenzen, auf die man bei einer Milizarmee bauen kann.
Zurzeit beschränkt sich die Wehrpflicht auf Männer. Was halten Sie von einer Dienstpflicht für Frauen?
Die allgemeine Militärdienstpflicht gilt selbstverständlich für Männer. Frauen können aber freiwillig Dienst leisten. Ihnen stehen alle Funktionen in der Armee offen. Und wenn sie Dienst leisten, dann denselben wie die Männer. Ich finde das einen guten Ansatz.
Wie ist Ihre Haltung gegenüber dem Zivildienst?
Der Zivildienst ist verfassungsmässig geregelt. Wenn jemand den Militärdienst mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, soll er einen zivilen Ersatzdienst leisten dürfen. Ich finde das in Ordnung. Ich habe aber Mühe damit, wenn dieser Weg gewählt wird, weil es bequemer und einfacher ist.
Warum glauben Sie, der Zivildienst sei der bequemere Weg?
Seit es die Gewissensprüfung nicht mehr gibt, wählen relativ viele junge Männer den Weg Zivildienst. Gewiss, man kann auf verschiedene Arten den Zivildienst leisten. Im Vergleich zum Dienst als Soldat ist er aber sicher bequemer. Der Soldat muss am Sonntagabend einrücken, dann bis am Samstag in der Kaserne mit 14 bis 20 anderen Männern zusammen in einem Zimmer schlafen und hat lange Arbeitstage. Zudem riskiert er im Einsatzfall sein Leben für den Schutz des Landes und der Bevölkerung.
Ein Ernstfall, der noch nie eintrat.
Zum Glück nicht.
Wenn der Ernstfall aber nicht eintritt, ist der Nutzen des Zivildienstes um vieles grösser. Denken wir an das Gesundheitswesen oder auch an den Landschaftsschutz.
Jetzt argumentieren wir auf verschiedenen Ebenen. Wir haben in der Verfassung und im Gesetz die allgemeine Militärdienstpflicht. Diese Militärdienstpflicht brauchen wir, damit die Armee in der heutigen Grösse Bestand haben kann – als Versicherung für den Ernstfall. Diejenigen, die tatsächlich einen Gewissenskonflikt haben, können einen zivilen Ersatzdienst leisten. Ihre Argumentationskette geht in die Richtung einer allgemeinen Dienstpflicht. Das haben Sie bereits mit der Frage über die Dienstpflicht der Frauen angedeutet. Dann kommt aber die Frage hinzu: Sind es nur Schweizer Bürger oder sind es auch alle anderen, die irgendeinen Beitrag für diese Nation erbringen sollen? Zurzeit klärt eine Arbeitsgruppe auf Bundesstufe all diese Fragen.
Wäre denn eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen für Sie eine Option?
Für mich ist ganz entscheidend, wenn es eine allgemeine Dienstpflicht geben sollte, dass der notwendige Bestand für die Armee sichergestellt ist.
Welche Bedrohungen und Gefahren sehen Sie für die Schweiz?
Gefahr sehe ich bei Naturkatastrophen. Aber auch Katastrophen, die durch den Menschen verursacht werden, können in der Schweiz nicht ausgeschlossen werden trotz der relativ hohen Sicherheitsstandards, die wir diesbezüglich haben. Zudem haben wir in Paris, in Brüssel und in Istanbul gesehen, wie schnell Bedrohungen, auch durch Terror, das Leben der Gesellschaft beeinflussen und verändern können. Man hat in Paris und in Brüssel auch gesehen, wie schnell die Polizeikorps an ihre Grenzen stossen und die Armee die Polizei unterstützen musste. Nur mit Hilfe der Armee konnte ein halbwegs funktionierender Courant normal hergestellt werden. Die Schweiz ist keine heile, vom Rest der Welt ausgeklammerte Insel. Mit unserer vernetzten Gesellschaft sind wir Teil dieser Weltgemeinschaft.
Wie gut wäre die Schweiz für Attentate wie in Paris gerüstet?
Ich habe hier grosses Vertrauen in die kantonalen Polizeikorps. Sie wären es, die die ersten Herausforderungen meistern müssten. Über längere Zeit können die Polizeikorps aber nicht durchhalten, da solche Aufgaben sehr personalintensiv sind. Wenn sie in einen Ablöserhythmus gehen und dann auch noch die Grundversorgung aufrechterhalten müssen, bin ich mir sicher, dass man relativ schnell auf die Armee zurückgreifen müsste.
Welche Gefahren sehen Sie für Basel?
Basel, insbesondere der Kanton Basel-Stadt, hat sehr viel Infrastruktur, die geschützt werden muss. Gerade auch die Rheinhäfen und die Pharmaindustrie. Einerseits stehen hier Menschen und ihre Arbeitsplätze sowie Wertschöpfung auf dem Spiel, andererseits bergen auch die Chemikalien an sich Gefahren, wie das Schweizerhalle-Unglück zeigte.
Sie kennen sich nicht nur mit der Schweizer Armee aus. Über ein Jahr lang waren Sie in Washington.
Ich durfte an der National Defense University in Washington D.C. einen Masterabschluss in National Resource Strategy absolvieren. Die Ausbildung, die Leute aus 38 unterschiedlichen Ländern – das war eine grosse Bereicherung, ein spannender Austausch. Ich konnte viele interessante Kontakte knüpfen. Und ich hatte davor vier Jahre lang einen sehr intensiven Job. Da wir die Möglichkeit hatten, als Familie in die USA zu gehen, hatte ich auch wieder mehr Zeit für meine beiden Kinder und meine Frau. Es war eine einmalige Erfahrung. Man sieht die Schweiz dadurch einmal von aussen.
Was konnten Sie so besser erkennen?
Man bekommt einen breiteren Fokus und realisiert, dass die Schweiz ein hervorragendes Land ist. Ich lernte dadurch, die Schweiz noch viel mehr zu schätzen. Bei uns funktioniert wirklich alles, selbst wenn wir uns zwischendurch beklagen. Man merkt auch, dass die Schweiz Teil einer vernetzen Welt ist. In den USA hört man machmal wochenlang nichts über die Schweiz, obwohl wir hier oft das Gefühl haben, wir seien der Nabel der Welt.