Vor ihrem Auftritt am Stimmen-Festival erklärt Sophie Hunger, warum sie gerne im Ausland Musik schreibt, zum Sterben aber in die Schweiz zurückkehrt.
Frau Hunger, Sie haben die Songs für «Supermoon» in Kalifornien begonnen. Wie viel von Kalifornien, auch von der ganzen psychedelischen Tradition dieser Szene, steckt im neuen Album?
Nichts. Ich war einfach immer unterwegs und habe in verschiedenen Airbnb von Musikern gewohnt. In deren Wohnungen bin ich zwangsläufig über Instrumente gestolpert. Im Falle von «Love Is Not The Answer» war es in Austin eine «Gretsch»-Gitarre, und es war lustig, so etwas Schnelles darauf zu spielen, das klang gut. In einem anderen Airbnb war es ein Synthesizer, da habe ich dann das flächigere «Mad Miles» geschrieben. Es hing also immer davon ab, was gerade zufällig rumstand.
Unsere Vorstellung von Kalifornien ist die eines Sonnenstaates und der Freiheit – in Ihrem Song «Mad Miles» steckt aber die Zeile «you’re free cause you’re callous». Ist die kalifornische Freiheit eine trügerische?
Sie ist einfach dadurch bestimmt, dass die Natur noch immer so dominant ist. Alles ist sehr dünn besiedelt, man hat das Gefühl, es müsste nur ein Windstoss kommen und alles wäre dahingerafft. Die Naturgewalt ist das, was man dort am stärksten fühlt. Bevor man die Zivilisation empfindet oder irgendwelche politischen oder sozialen Bewegungen, empfindet man diese Grösse, diese Hitze, diese Dürre. Oder auch diese Üppigkeit, je nachdem, wo man ist. Das ist das, was Kalifornien so unbarmherzig macht. Es ist schwierig, für die Leute zu sorgen, wegen dieser Allmacht der Natur.
Das Titelstück «Supermoon» über die Vereinsamung eines leuchtenden Stars hört sich mit dem gigantischen Hall sehr kalt, geradezu eisig an. Dadurch, dass es gleich am Anfang steht und man da in den Weltraum hineingestossen wird, fordern Sie die Zuhörer schon sehr heraus.
Es war das erste Lied, das ich geschrieben und auch aufgenommen habe. Das war wirklich der Anfang der Platte. Ich wusste auch, dass die Platte so heissen wird, noch bevor ich die anderen Lieder hatte, es war die Tür für die anderen zwölf. Ich höre das Lied auch nicht unbedingt so gerne, auf mich wirkt es unheimlich.
Auf dem Cover sieht man Sie durch eine Art Folie leuchten und Sie halten eine E-Gitarre. Es ist so krass verschieden vom letzten, warmen Cover mit den Glühbirnen – spiegelt dieses Cover Ihr neues Lebensgefühl wider?
Wow, was für eine Frage! Ich glaube, es spiegelt einfach die Musik wider, die auf dem Album ist. Es hat mehr, naja, Gitarren (lacht). Wir haben das schwarz-weiss gemacht, und der Grafiker hat darüber gemalt und immer wieder die Farbe trocknen lassen. Er hat ziemlich lange daran gearbeitet, das ist alles analog.
«Ich bin im Dilemma, dass ich unheimlich gerne auf Französisch singe, meiner Ansicht nach aber nicht genug Französisch kann, um viel zu schreiben.»
Aber die Leaderjacke und diese Headbanging-Pose: Wollten Sie das Image der Songwriterin loswerden?
Wir haben nicht über ein Image nachgedacht, wir haben einfach Fotos gemacht, und von der Serie haben dann drei am stärksten gewirkt, die man sich immer wieder anschauen wollte. Aber das war nichts, was mein Image beeinflussen sollte.
Sie haben auf «Supermoon» sehr ungewöhnliche Strukturen gewagt: «The Age Of Lavender» löst sich ja fast ins Lautmalerische auf, ist mehr Klanggebilde als Song. Und «Die ganze Welt» ist für mich musikalisch einer der stärksten Songs, gerade weil er harmonisch so offen und eigentlich sehr traurig wirkt.
Bei «Die ganze Welt» habe ich mir eine obsessive Liebe vorgestellt. Alles, was man erlebt und sieht, bis hin zur Hinrichtung von Kurden, relativiert sich und löst sich auf in der einen Person, die sozusagen die ganze Welt einnimmt. Und «The Age Of Lavender» ist eine Hymne an all die unerklärlichen Wehwehchen, die uns immer mehr plagen, für die wir Erklärungen suchen, anstatt dass wir etwas Ordentliches machen. Ich hatte das Lied schon ganz fertig mit einer relativ konservativen Gitarrenbegleitung. Ich merkte aber schnell, dass es vielleicht was Besseres werden könnte. Der Produzent, John Vanderslice, hat erst mal die Gitarre rausgenommen, dann mit Alberto Malo eine Perkussion aufgebaut, und Alexis Anérilles hat Klavierphrasen reingesetzt. Es blieben nur noch Melodie und Text von meiner ursprünglichen Version.
Sie haben mit dem Ex-Fussballer Eric Cantona auch ein Chanson adaptiert, «La Chanson d’Hélène» von Jean-Loup Dabadie, der mit Romy Schneider bekannt wurde. Ist Ihre Begeisterung für die französische Sprache, die ja schon auf der ersten Platte präsent war, trotz aller Weiterorientierung ungebrochen?
Ja, auf jeden Fall. Ich bin ein bisschen im Dilemma, dass ich unheimlich gerne auf Französisch singe, meiner Ansicht nach aber nicht genug Französisch kann, um viel zu schreiben. Also bin ich verdammt dazu, Cover-Versionen zu machen. Und dann suche ich mir halt immer Lieder, zu denen ich musikalisch eine Idee habe, die vielleicht etwas Neues reinbringt. «La Chanson d’Hélène» wollte ich schon sehr lange machen. Ja, ich fühle mich sehr nahe an Frankreich, ich bin auch sehr oft da. Im Februar habe ich in Paris in der Philharmonie bei einem Tribut an David Bowie mitgemacht. Die Franzosen laden mich immer für sehr lustige, spezielle Sachen ein.
Über die Bowie-Show müssen Sie ein bisschen mehr erzählen.
Da ging es um die Ausstellung über Bowie, die erst in Berlin war und dann nach Paris gewandert ist. Die Philharmonie in Paris hat entschieden, dass sie das musikalisch begleiten will und hat dafür Philip Decouflé engagiert, den Tanzregisseur, der auch die Olympischen Spiele choreografiert hat. Für das Tanzstück «Wiebo» hat Decouflé drei Sänger engagiert, darunter mich, um «Queen Bitch», «Starman», «Heroes», den Refrain von «Andy Warhol», «Space Oddity» und «Changes» zu interpretieren. Für mich waren das die aufregendsten Wochen meines Lebens!
Zurück zum Album. Fast am Ende begegnet man dann Ihrem einzigen Stück auf Züridütsch, «Heicho». Sie sprechen davon, in die Heimat erst zurückzukehren, wenn alles vorbei ist. Ist die Schweiz für Sie nur noch zum Sterben gut?
Nein, so würde ich es nicht sagen! Ich würde es umkehren. Es ist eigentlich eine Liebeserklärung an die Schweiz, denn ich komme ja fürs Wichtigste wieder nach Hause. Ich muss da aufpassen, denn ich weiss, dass es viele gibt, die denken, das sei bösartig gemeint, aber so ist das gar nicht. Das «cho stärbe», diese besondere grammatikalische Konstruktion, gibt der Schwere der Situation etwas Leichtes, dadurch aber vielleicht auch Zynisches. Das Hochdeutsche «zum Sterben» klingt da viel schwerer.
«Ich würde es gerne sehen, wenn junge Schweizer sich am Aufbau der Europäischen Union beteiligten. »
Haben Sie Angst vor der aktuellen Schweiz, zum Beispiel vor den vielen Deutschen, aber auch vor der Enge der Musikszene?
Nein, davor habe ich überhaupt keine Angst beziehungsweise das ist einfach der Lauf der Dinge. Wovor ich Angst habe, das ist die fehlende politische Führung, was die Zukunft anbelangt. Wir sind ja in einer ganz komischen Siutation jetzt: Wir haben die Verträge mit der EU, gleichzeitig haben wir Volksinitiativen, die diese Verträge ständig unterwandern und verfassungwidrig sind. Trotzdem muss der Bundesrat diese Initiativen ernst nehmen. Es ist eine ganz, ganz zwiespältige und verflixte Situation. Und in der fehlt es an einer klaren Vision. Wir brauchen einen Plan für die nächsten 50 Jahre und dürfen uns nicht verzetteln. Das ist den Schweizern nicht bewusst.
Wie müsste für Sie eine Schweiz aussehen, die zukunftsfähig ist?
Sie müsste sich sicher auf ihre Stärken konzentrieren, und aus dieser Konzentration heraus wäre eine Bindung an Europa die logische Konsequenz. Man muss verstehen, dass wir keine Rohstoffe haben, wir sind angewiesen auf unsere Dienstleistungen und unsere industriellen Produkte, ähnlich wie Deutschland. Da werden wir um den Aufbau enger Partnerschaften nicht herumkommen. Und ich sehe nicht, wie wir das tun können, wenn wir ständig unsere Nachbarländer vor den Kopf stossen. Das ist ein widersprüchliches Verhalten, und da wird mir angst und bange. Ich finde es auch schade für meine Generation, denn wir haben ja gute Universitäten und sind gut ausgebildet. Man kapselt uns da ab. Ich würde es gerne sehen, wenn junge Schweizer sich am Aufbau der Europäischen Union beteiligten.
Aber Sie leben jetzt momentan in Berlin?
Ja, aber auch in Paris. Ich lebe ein bisschen ohne Lebensmittelpunkt.
In Berlin, so kann man eine Äusserung von Ihnen lesen, «haben die Männer Angst vor eleganten Gesten, weil sie denken, sie würden damit die Frauen bevormunden». Was ist denn da in der Emanzipation schief gelaufen bei den Deutschen?
Ich glaube nicht, dass das was mit Emanzipation zu tun hat. Das fing einfach so an, dass wir an einem Abend mit Franzosen und Deutschen zusammengesessen haben, und dann kam die Frage auf, ob man einer Frau Feuer geben darf. Und ich meinte sofort: Natürlich darf man einer Frau Feuer geben. Dann gab es ein paar deutsche Jungs, die sagten: Nein, das ist ja herablassend, die Frau kann sich doch selbst Feuer geben. Wir haben dann den ganzen Abend heiss diskutiert, was das Problem ist. Ich fand das sehr lustig und auch ein schönes Beispiel. Ich komme aus einer eher französischen Tradition, ich finde es nicht schlimm, wenn mir jemand Feuer gibt, aber ich fand den deutschen Ansatz auch ganz interessant. Ein bisschen geziert, aber warum nicht.
«Wir wollen uns dem Abend hingeben, den Menschen und der Musik.»
Ist Berlin ein besonders gutes Pflaster zum Schreiben?
Ich finde es super hier, ich bin überrascht, wie gut es mir hier gefällt. Es ist sehr einfach, hier zu arbeiten, weil man so schnell jemanden findet, egal, worum es geht. Wenn ich ein ganz ausgefallenes Instrument suche, finde ich sofort jemanden, der das beherrscht, ich finde Studios, Fotografen, Videokünstler. Das macht das Arbeiten sehr leicht. Es hat viel Platz, viele Ideen, es ist eine Stadt, in der die Strukturen noch nicht so eingefahren sind wie in Paris oder London; hier hat man das Gefühl, dass man aus dem Nichts heraus etwas verwirklichen kann. Und es ist unheimlich international geworden, man hört auf der Strasse kaum noch Deutsch.
Welches sind die Vorteile Ihrer neuen Band im Vergleich zu den Musikern, mit denen Sie noch die ersten Platten eingespielt haben?
Wir haben das immer so gemacht, dass wir uns vor der Tour zum Proben treffen, und dann muss man das können, das ganze Jahr hindurch. Da spielt es dann keine Rolle, dass wir über Lausanne, Paris, Gent und Berlin verstreut sind. Teils entsteht die Bandzusammensetzung auch aus ganz banalen Überlegungen. Da auf «Supermoon» so viele Gitarren sind, hat es keinen Sinn mehr gemacht, ein Cello mitzunehmen, also musste ein neuer Gitarrist her.
Ich würde Sie gerne noch etwas zur Live-Situation fragen. Alle Besucher eines Sophie-Hunger-Konzerts wissen, dass Sie wie wenige andere die Aufmerksamkeit fesseln: Bei Ihnen gibt es kein Gequatsche und kaum mitfilmende Smartphones. Die Leute schauen nicht aufs Display, sondern wirklich auf die Bühne. Wie schaffen Sie das?
Vielen Dank, das ist mit das Schönste, was man einem Musiker sagen kann. Ich habe keine Erklärung dafür. Wenn wir rausgehen auf die Bühne, haben wir einfach ein grosses Berufsethos. Wir wollen uns dem Abend hingeben, den Menschen und der Musik; vielleicht merkt man uns an, dass wir bereit sind, so weit zu gehen. Dass wir nicht mit den Händen in den Hosentaschen auf die Bühne kommen.
Ganz intensiv ist die Kommunikation mit dem Publikum am Ende von «Train people». Es gibt die berühmte Szene aus «La Cigale» in Paris, wo die Zuhörer nach dem Schlussakkord noch über eine Minute still sind.
Diesen Moment, den machen wir nicht. Den macht das Publikum, und wir brauchen diese Minute dann alle zusammen. Mit dem Lied hat das dann gar nichts mehr zu tun. Es ist eine gemeinsame Erfindung, und es braucht nur einen, der nicht mitmacht, und alles ist dahin. Man schliesst für diesen Moment einen Vertrag. Es ist eine Form von Vertrauen. Oder Liebe.
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Stimmen-Festival: Sophie Hunger, Samstag, 18. Juli, Lörracher Marktplatz.