Verwaltungsangestellte arbeiten viel. Zu viel, wie eine Datenauswertung der TagesWoche zeigt. Diese widerspricht dem Klischee vom trägen Beamten, das sich in vielen Köpfen festgesetzt hat. Der Kanton Basel-Stadt ist ein wichtiger Arbeitgeber in der Region. Fast 6000 Stellen besetzten die Angestellten der kantonalen Verwaltung Ende 2015, was Personalkosten von über 1,2 Milliarden Franken entsprach.
Wir haben beim Finanzdepartement eine detaillierte Aufstellung aller Zeitguthaben angefragt, aufgeschlüsselt nach Dienststelle. Die ausgehändigte Tabelle zeigt die durchschnittlichen Zeitguthaben pro 100-Prozent-Stelle (sogenannte FTE oder Vollzeitäquivalent). So ist darin etwa zu sehen, dass am Stichtag 31. Dezember 2015 jeder Angestellte der Kantonspolizei 213 Stunden Überzeit auf seinem Konto hatte.
Dass die Polizei seit Jahren mit Überbelastung kämpft, ist ein bekanntes Problem. 2015 war das erste Jahr, in dem dieser Wert nicht mehr angestiegen ist. Zuvor haben die Überstunden im Polizeikorps fünf Jahre lang kontinuierlich zugenommen. Sicherheitsdirektor Baschi Dürr hat unter anderem aufgrund dieser Probleme sein Effizienzprogramm «Kapo2016» lanciert.
Doch die Polizisten sind bei Weitem nicht die Einzigen, die mehr arbeiten, als sie sollten. Jede einzelne der insgesamt 55 aufgeführten Dienststellen verzeichnet ein positives durchschnittliches Zeitguthaben. Darin eingerechnet sind Überstunden, Gleitzeitsaldi und nicht bezogene Ferientage. Insgesamt haben sich so bis Ende 2015 fast 600’000 Stunden angesammelt, die der Kanton seinen Angestellten schuldet. Im Schnitt hat damit jeder Kantonsangestellte 101 Stunden auf seinem Zeitkonto. Das entspricht rund 12 Ferientagen.
Zweieinhalb Wochen ohne Polizei, ohne Feuerwehr, ohne Abfallentsorgung.
Wie eindrücklich diese Zahl ist, zeigt ein Gedankenspiel: Müsste die gesamte Überzeit auf einen Schlag kompensiert werden, stünde die Basler Verwaltung für zweieinhalb Wochen komplett still. Zweieinhalb Wochen ohne Polizei auf der Strasse, ohne Feuerwehr, ohne Abfallentsorgung.
Die Angestellten haben also zu viel gearbeitet oder konnten ihre Ferientage nicht vollständig beziehen, und zwar über alle Departemente hinweg. Besonders auffällig sind die Zeitguthaben im Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) von Baschi Dürr und im Finanzdepartement (FD) von Eva Herzog.
Kerstin Wenk, SP-Grossrätin und Generalsekretärin beim VPOD Region Basel, vertritt die Interessen der Staatsangestellten. Sie ist mit den Arbeitsbedingungen bei der Verwaltung bestens vertraut. Die hohen Zeitguthaben überraschen sie keineswegs. «Unsere Mitglieder erzählen uns von sehr viel Arbeit die in sehr kurzer Zeit erledigt werden soll», sagt Wenk. Die Kantonsangestellten seien generell unter hohem Druck. «Aus gesundheitlicher Sicht ist die Lage ernst.» Viele Kantonsangestellte würden versuchen, ihre Pensen und damit die Belastung zu reduzieren.
Das liege daran, dass viele Dienststellen personell äusserst knapp aufgestellt seien, sagt Wenk. Doch die Grossrätin nimmt auch sich selbst und ihre Kollegen im Parlament in die Pflicht: «Die Politik gelangt mit immer neuen Forderungen an die Verwaltung.» Gleichzeitig würden Sparprogramme, Personalstopps und Budgetkürzungen durchgesetzt. «Es wäre sinnvoll, wenn der Grosse Rat etwas Druck rausnehmen könnte», sagt Wenk. Denn letztlich sei der Handlungsspielraum innerhalb der Verwaltung klein, der Spardruck dagegen hoch.
Dennoch sei das Problem erkannt, weiss Wenk. «An manchen Orten in der Verwaltung wird sehr genau darauf geschaut, wie sich die Zeitguthaben entwickeln.» Dort müsse jede Überstunde gerechtfertigt werden und alle seien gehalten, ihre Zeitguthaben möglichst zu reduzieren. Dies führe leider nicht zu einer Entlastung. Im Gegenteil steige damit der Druck aufs Personal zusätzlich.
Rüffel von der Finanzkommission
Auch der Grosse Rat weiss, dass sich beim Kanton die Überzeit anstaut. Die Finanzkommission (FKom) hat sich in ihrem letzten Bericht zur Staatsrechnung 2015 sorgenvoll zur Überstundenpraxis in der Verwaltung geäussert und dabei konkret die oberen Kader kritisiert. «Die Finanzkommission hat festgestellt, dass der Umgang mit der Arbeitszeit (insbesondere den Überstunden) der obersten Kader nicht in allen Departementen gleich gehandhabt wird.» So würden diese je nach Abteilung unterschiedlich aufgeschrieben und entsprechend kompensiert.
Die FKom stört sich an dieser Praxis und verlangt, dass die obersten Kader künftig Überstunden weder aufschreiben noch kompensieren dürfen, da diese bereits mit dem Lohn abgegolten seien. Eine entsprechende, einheitliche Regelung werde derzeit vom Regierungsrat ausgearbeitet.
Abgesehen von einer neuen Kaderregelung sind in der Verwaltung jedoch keine weiteren Massnahmen zur Reduktion der Zeitguthaben vorgesehen, wie eine Nachfrage bei Andrea Wiedemann, oberste Personalchefin beim Kanton, zeigt. «Die durchschnittlichen 101 Stunden entsprechen 12 Arbeitstagen und beinhalten alle Zeitguthaben, wie Gleitzeit, Überzeit, Ferien und Dienstaltersgeschenke [zusätzliche Ferientage, die Red.].» Das sei kein besonders hoher Wert. «Wir sehen keinen Handlungs- oder Diskussionsbedarf», sagt Wiedemann.
Überzeit kostet den Kanton über 30 Millionen
Doch die Zeitguthaben der Kantonsangestellten schlagen sich ganz konkret in der kantonalen Buchhaltung nieder. Da diese Zeitguthaben aus Sicht der Kantonsfinanzen eine Schuld darstellen, müssen jedes Jahr entsprechende Rückstellungen getätigt werden. So wird sichergestellt, dass die Überzeit ausbezahlt werden kann. Diese Schulden entsprachen Ende 2015 einem Wert von rund 30,5 Millionen Franken.
Thomas Geiser, Arbeitsrechtler an der Hochschule St. Gallen, sagt zu den hohen Zeitguthaben beim Kanton Basel-Stadt: «Der durchschnittliche Wert von 101 Stunden pro Mitarbeiter scheint mir eher hoch. Wenn sich dieser aber über die Jahre nicht gross verändert, hat man die Lage wohl im Griff.» Problematischer seien diejenigen Dienststellen, bei denen die Zeitsaldi kontinuierlich wachsen, sagt Geiser: «Wenn die Zeitguthaben aus dem Ruder laufen, kann das auf Führungsprobleme hindeuten.»
Eine übermässige Belastung der Angestellten berge ein erhebliches Gesundheitsrisiko. Doch auch aus unternehmerischer Sicht seien hohe Zeitsaldi ein Problem. «Überzeit ist ein finanzielles Risiko und kann erhebliche Mehrkosten bedeuten, etwa wenn die Angestellten spätabends oder am Wochenende arbeiten müssen», so die Einschätzung von Geiser.