Staub, Beton und Nationalstolz

In gut zwei Wochen beginnen die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Die Stimmung in der Bevölkerung ist gespalten: Manche freuen sich auf das sportliche Großereignis, andere können das Wort «Olympia» nicht mehr hören.

Die Landschaft in und um Sotschi verändert sich deutlich. Im Hintergrund der Bolschoi-Eispalast. (Bild: Vitus Saloshanka)

In gut zwei Wochen beginnen die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Die Stimmung in der Bevölkerung ist gespalten: Manche freuen sich auf das sportliche Großereignis, andere können das Wort «Olympia» nicht mehr hören.

Nur noch wenige Wochen müssen die Bewohner von Sotschi durchhalten, dann haben sie das Gröbste überstanden. Dann ist es erst einmal vorbei mit Staus, Staub und Baustellen. In den vergangenen vier Jahren ist in dem Kur- und Badeort kein Stein auf dem anderen geblieben. Im Zentrum wurden mehr als 20 Hochhäuser aus dem Boden gestampft, jede Menge Pflastersteine sowie Wasser- und Stromleitungen verlegt und zahlreiche Boutiquen eingerichtet.

Die 450.000 Einwohner haben das meist stoisch hingenommen. «Präsident Putin hat Sotschi als Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014 ausgewählt, also müssen wir da jetzt durch», sagt die 50-jährige Natalja Davitschik. Sie betreibt einen Kosmetikladen und glaubt, dass die Olympischen Spiele «die Nationen vereinen und Freundschaften fördern» werden. Natürlich sei sie auch müde von dem vielen Lärm und dem Dreck, aber man müsse langfristig denken. «Nach Olympia haben wir eine topmoderne Stadt», sagt sie und lächelt.

Darauf verweist auch Janna Grigorewa, die in der Stadtverwaltung das Referat zur Vorbereitung der Spiele leitet. Sie spricht von einer «konzeptionellen Veränderung» der Stadt. Aus einem verschlafenen Kur- und Badeort werde eine ganzjährige Touristenhochburg, weil man etwas habe, das einzigartig ist: die Kombination aus Meer und Bergen.

Reiche Touristen aus Moskau

Die Berge, damit ist Krasnaja Poljana gemeint, 70 Kilometer vom Zentrum entfernt. Hier werden zum Beispiel die nordischen und alpinen Ski-Wettkämpfe ausgetragen. Im Anschluss sollen die Skipisten vor allem reiche Touristen aus Moskau anlocken.

Die 19-jährige Alisa kann sich das nur schwer vorstellen. «Warum sollte man nach Sotschi in den Urlaub fahren?» fragt sie. «Hier ist es teuer – man kann für das gleiche Geld nach Thailand reisen!» Tatsächlich erinnern die Lebenshaltungskosten an Metropolen wie Moskau oder St. Petersburg. An den Tourismusboom nach Olympia glaubt Alisa nicht. Ihr Fazit: «Früher war Sotschi der Garten Eden – heute ist es eine Betonwüste.»

Früher, da war Sotschi ein Kurort für Arbeiter aus der gesamten Sowjetunion. In den 30er und 40er Jahren hatte Stalin in der Stadt am Schwarzen Meer viele Sanatorien bauen lassen – «Paläste für die Arbeiter», in denen sie sich für wenig Geld behandeln lassen und gleichzeitig erholen können. Viele der Einrichtungen wurden renoviert, manche mussten dicht machen.

Olympiade als Initialzündung

Der Kritik an dem Imagewandel setzt Janna Grigorewa aus der Stadtverwaltung entgegen: «Früher war Sotschi eine Rentnerstadt, jetzt gibt es immer mehr junge Menschen, die sich hier niederlassen wollen.» Die Olympischen Spiele seien so etwas wie eine Initialzündung gewesen, um viele Veränderungen in Gang zu setzen. Sie zitiert eine Umfrage, nach der 62 Prozent der Befragten diese Veränderungen positiv bewerten.

Dazu gehört auch die Rentnerin Galina Kochenko. Die 66-Jährige erklärt: Endlich könne Russland der Welt beweisen, dass es auch in der Lage sei, so ein Event auszurichten. «Ich bin stolz, dass wir die Olympischen Spiele haben!», ruft sie freudestrahlend. Patriotin sei sie, und die vielen Unannehmlichkeiten müsse man eben erdulden.

Wenn man die Menschen auf der Straße fragt, geben sich die meisten ähnlich optimistisch wie Galina Kochenko. Erst wenn man länger mit ihnen spricht, kommen sie auf die Schattenseiten der Winterspiele zu sprechen. Von denen kann der Aktivist Wladimir Kimajew ein Lied singen. Er ist einer der Wenigen, der diese Zerstörungen genau dokumentiert Der Umweltschützer erklärt: «Die olympischen Bauten haben der Stadt einen nicht revidierbaren ökologischen Schaden zugefügt.»

So mussten für die Skilifte unzählige Bäume weichen. Flüsse wurden begradigt, eine Autobahn wurde mitten durch ein Naturschutzgebiet gezogen. Egal ob Strand oder Steilhang – in Sotschi wurde vieles einfach zubetoniert.

Ein kleines Vermögen

Um alles noch rechtzeitig fertig zu bekommen, sind die Arbeiter auf den verbliebenen Baustellen Tag und Nacht im Einsatz. Sieben Tage die Woche schuften sie zehn bis zwölf Stunden am Tag. Sie kommen aus ganz Russland, aus Städten wie Saratow oder Tomsk, und verdienen in Sotschi gutes Geld. Nicht Wenige gehen mit 2.000 Euro im Monat nach Hause. Ein kleines Vermögen, wenn man normalerweise einen Lohn von kaum mehr als 500 Euro hat.

Der 46 Jahre alte Baggerführer Wladimir arbeitet schon seit vier Jahren auf dem Gelände des Olympia-Parks und sagt, man habe förmlich dabei zusehen können, wie die Gebäude in die Höhe schossen. Früher gab es auf dem Gelände «nur Feld und Wiesen», inzwischen wurde eine komplette Infrastruktur mit Kanalisation, Straßen und Hotels geschaffen.

Was die unzähligen ausländischen Arbeitskräfte, die auf den Baustellen den Löwenanteil dazu beigetragen haben, Sotschi für die Olympischen Spiele fit zu machen, von dem Wandel in der Stadt halten, kann man sie selbst nicht mehr fragen. Die sogenannten Gastarbeiter – die meisten von ihnen stammten aus Zentralasien, vor allem aus Usbekistan und Tadschikistan – wurden am 1. November 2013 alle nach Hause geschickt. Man habe Angst, dass sie auch nach Olympia in Sotschi blieben und kriminell würden, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

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