Stellvertreterkrieg am Bruderholz – bis Wessels der Kragen platzt

Eigentlich ging es im Grossen Rat um einen Kredit für Tramschienen und Haltestellen auf dem Bruderholz. Daraus wurde eine emotionale Debatte um Lädelisterben, Parkplätze und hohe Trottoirs.

Eine Grundsatzdebatte um das Behindertengleichstellungsgesetz wurde Hans-Peter Wessels zu viel.

Hans-Peter Wessels ist nicht bekannt dafür, ein Griesgram zu sein. Bei der Grossrats-Debatte um die Sanierung der Tramschienen aufs Bruderholz und damit auch den Umbau der Haltestellen für knapp 24 Millionen Franken verfinsterte sich seine Miene aber zusehends, bis ihm am Ende der Kragen platzte: «Ich bin beschämt von Ihren Voten, die in diesem Haus fielen. Ich möchte Ihnen keine Behindertenfeindlichkeit unterstellen, aber Unwissenheit.»

Grund für die harschen Worte war eine zweistündige Debatte über die Haltestelle an der Airolostrasse auf dem Bruderholz. Soll diese behindertengerecht umgebaut oder aufgehoben werden? Welch exotischen Wendungen die Diskussion nahm, zeigte das ungewohnte Votum des FDP-Fraktionssprechers Erich Bucher, selbst Bruderholz-Bewohner: «Mit der Verschiebung der Airolostrasse-Haltestelle schaden Sie dem Service public. Wir wehren uns gegen den Abbau auf dem Bruderholz.»

Sein Plädoyer kam, nachdem Verkehrsdirektor Wessels vorgerechnet hatte, wie wenig die Airolohaltestelle von den ÖV-Benutzern benutzt wird: «Von den 92 Basler Tramhaltestellen gibt es nur eine, die noch weniger frequentiert wird als jene an der Airolostrasse.» Zeitenweise würden in zehn Trams insgesamt ein bis zwei Passagiere zu- oder aussteigen.

Dennoch kämpften die bürgerlichen Bruderholz-Parlamentarier dafür, dass alles so bleibt, wie es ist: Die Haltestelle an der Airolostrasse solle bestehen bleiben und – weil sie halt in einer Kurve steht – nicht umgebaut werden. Schliesslich seien an dieser Haltestelle so gut wie nie Rollstuhlfahrer zu sichten, hiess es aus dem Saal.

Schlechtes Beispiel aus Zürich

Das war der Moment, als es Hans-Peter Wessels zu bunt wurde: «Beim Gleichstellungsgesetz geht es nicht darum, dass einige Orte für beeinträchtige Menschen einfacher zu passieren sind. Sondern alle», sagte er sichtlich genervt. Und er warnte davor, es mit Ausnahmen zu versuchen. «Die Behindertenverbände haben in anderen Städten jeden fehlenden Umbau eingeklagt und recht bekommen.» Schmerzlich sei dies für Zürich gewesen, das seine Haltstellen doppelt umbauen musste – mit den entsprechenden finanziellen Folgen.

Der eigentliche Stein des Anstosses ist das Problem der behindertengerechten Haltestellen: An der Airolostrasse steht das Tram heute in einer Kurve. Dort kann man die Trottoirs nicht umbauen für einen ebenerdigen Umstieg – deshalb muss die Haltestelle verschoben werden. Dadurch läge sie nur noch 100 Meter von der Endstation entfernt – weshalb die Regierung findet, dass man sie gleich aufheben kann. Hier setzten die Bürgerlichen an, die für die ältere Bevölkerung und das Gewerbe weiterhin eine Haltestelle in dieser Kurve fordern.

Schelmische Anschuldigungen

Neben Hans-Peter Wessels war auch der Kommissionspräsident Michael Wüthrich (Grüne) überrascht von der scheinbaren Unwissenheit im Parlament. «Ihre Mitglieder in der Kommission wissen, wie das Behindertengleichstellungsgesetz umgesetzt werden muss – die hätten es Ihnen erklären können.» Wieder einer dieser Seitenhiebe. 

Der Ton im Saal war gehässig: Mit den Worten «Ein Schelm der Böses denkt» unterstellte Joël Thüring (SVP) der Kommission, dass sie das Geschäft schnell vorwärtsgebracht hätte, um die Referendumsfrist in die Sommerferien zu lenken und so die Unterschriftensammlung zu erschweren. Dominique König (SP) glaubte hingegen, dass es bei der ganzen Diskussion eigentlich nicht um die Haltestelle ging, sondern um die elf Parkplätze, die bei den Sanierungsarbeiten aufgehoben würden. Was die Ratsrechte unbedingt verhindern wolle.

Am Ende blieb alles so, wie es vorgespurt war: Der Rat stellte sich mit 59 zu 23 Stimmen hinter den Ratschlag der Regierung und die Gegner können während der Sommerferien Unterschriften für ein Referendum sammeln – wenn sie denn 2000 Leute finden, die unterschreiben wollen.

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