Was AKW-Gegner seit Jahren fordern, will Doris Leuthard in ihrer Energiestrategie 2050 jetzt umsetzen: «Verpflichtende Stromeffizienzziele» für Stromunternehmen. Der Widerstand der Stromlobby ist absehbar.
Stromunternehmen trachten – wie alle Verkäufer – danach, ihren Absatz zu steigern. Die meisten Anbieter fördern den Stromkonsum obendrein mit Mengenrabatten und belohnen Elektroheizer mit Niedertarifen. Das widerspricht dem Ziel, Strom effizient und sparsam einzusetzen.
Diese Anreize möchte Energieministerin Doris Leuthard jetzt wenden. In ihrer Vernehmlassungs-Vorlage zur «Energiestrategie 2050» beantragt sie, den Energieversorgungs-Unternehmen (EVU) «verpflichtende Stromeffizienzziele» zu verordnen. Details zu diesem brisanten Vorschlag skizzierte Matthias Gysler, Chefökonom des Bundesamtes für Energie, am Freitag an der Jahrestagung der Schweizerischen Energiestiftung (SES).
Stromabsatz mit Zertifikaten begrenzen
Die Ziele für die einzelnen Stromversorger sollen individuell festgelegt werden, je nach Absatzmenge oder Kundenstruktur. Denkbar ist etwa, bei unveränderter Kundenstruktur jährlich einen Rückgang der Absatzmenge von einem Prozent vorzuschreiben. Oder einen Rückgang pro Haushalt oder Arbeitsplatz. Falls die Marktöffnung die Kundenstruktur verändert, kann das Ziel nachträglich individuell angepasst werden.
Die Begrenzung des Stromabsatzes soll mit handelbaren Zertifikaten geregelt werden, wie es zum Beispiel die EU mit ihrem CO2-Emissionshandel bereits praktiziert. So sollen die Zertifikate gemäss Effizienz-Ziel zugeteilt werden. Wer sein Ziel verfehlt, muss Zertifikate kaufen und wird damit finanziell bestraft. Wer das Ziel übertrifft, kann Zertifikate verkaufen.
Mit der Begrenzung des Absatzes erhalten Energieversorger einen Anreiz, ihre Kundschaft Beratung oder Mittel zum Stromsparen anzubieten. Zudem wächst damit der Druck, Mengenrabatte abzuschaffen oder Stromverschwendung mit progressiven Tarifen zu sanktionieren.
Widerstand der Stromwirtschaft
Auf Leuthards Vorschlag reagiert die Stromwirtschaft auf Anfrage mit Widerstand oder Skepsis: Als «marktwidrig» und «bürokratisch» beurteilt Dorothea Tiefenauer, Sprecherin des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), die vorgeschlagenen Effizienz-Ziele. Zudem widerspreche die vorgesehene Verbindlichkeit einer früheren Ankündigung, wonach die Energiewende anfänglich mit «freiwilligen Massnahmen» umgesetzt werden soll. «Grundsätzlich» begrüsse die Axpo zwar Energieeffizienz-Massnahmen, antwortet die Axpo-Medienstelle, kritisiert jedoch: «Mit diesem regulativen Instrument würde man sich von der beabsichtigten Marktliberalisierung weiter entfernen.»
Was Schweizer Stromverkäufer bekämpfen, ist in andern Staaten – in unterschiedlicher Form – längst realisiert: Kaliforniens Energiebehörde zum Beispiel hat die Marktregeln für die Energiekonzerne so festgelegt, dass die Tarife und Gewinne dann erhöht werden können, wenn sie weniger Strom verkaufen. Mit diesem vor 30 Jahren eingeführten «Decoupling» gelang es Kalifornien, den Stromverbrauch trotz Wirtschaftswachstum auf dem Stand von 1978 zu stabilisieren. Die Regierungen von Dänemark und Grossbritannien haben ihren Energieversorgern ebenfalls Einsparverpflichtungen auferlegt. «Effizienzverpflichtungen für die Strombranche», so folgerte die deutsche Energieexpertin Ulrike Saul an der SES-Tagung, «wären – richtig umgesetzt – ein vielversprechendes Instrument, um in der Schweiz innovative Effizienzmassnahmen im Stromsektor zu verwirklichen.»