Tayyip Erdogan will Präsident werden

Die türkische AKP hat Recep Tayyip Erdogan zum Präsidentschaftskandidaten erklärt. Als Premier hat er die Türkei ins Wirtschaftswunder geführt, Kritiker werfen ihm selbstherrliches Herrschaftsgebaren vor. Wird Erdogan im August gewählt, will er den Einfluss des Präsidentenamtes deutlich ausweiten.

In wessen Fussstapfen sich Erdogan sieht, ist augenfällig: dem Begründer des modernen türkischen Staates, Kemal Atatürk. (Bild: UMIT BEKTAS)

Die türkische AKP hat Recep Tayyip Erdogan zum Präsidentschaftskandidaten erklärt. Als Premier hat er die Türkei ins Wirtschaftswunder geführt, Kritiker werfen ihm selbstherrliches Herrschaftsgebaren vor. Wird Erdogan im August gewählt, will er den Einfluss des Präsidentenamtes deutlich ausweiten.

Recep Tayyip Erdogan hat lange gewartet, bis er seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten der türkischen Republik bekanntgab. Erst zwei Tage vor Ablauf der Anmeldefrist für die Präsidentenwahl am 10. August war es soweit: Seine Partei AKP erklärte ihn am Dienstagmorgen zum offiziellen Kandidaten.

Wirkliche Spannung kam dennoch nie auf. Denn seit langem war klar, dass Premierminister Erdogan nach Höherem strebt. In den vergangenen Monaten wurden die Vermutungen zur Gewissheit: Erst die Ankündigung Erdogans vom April, er werde «ein Präsident des Volkes» sein, dann seine Wahlkampfauftritte in Köln und Wien, wo er um die Stimmen der Auslandstürken warb – an Erdogans Kandidatur gab es zuletzt keinen Zweifel mehr.

Aus dem Hafenviertel in die Villa

Damit nähert sich eine bemerkenswerte politische Karriere ihrem Höhepunkt. Der 1954 als Spross einer Seemannsfamilie geborene Erdogan wuchs im schäbigen Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa auf, musste sich sein Taschengeld mit dem Verkauf von Limonade und Sesamkringeln verdienen. Eine vielversprechende Karriere als Profifussballer schlug er auf Geheiss des strengen Vaters aus. Der schickte ihn auf eine Imamschule. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften ging Erdogan in die Istanbuler Stadtverwaltung und gewann 1994 als Kandidat der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei die Wahl zum Oberbürgermeister.

Auf den Strassen von Kasimpasa hat Erdogan gelernt, wie man sich behauptet. Nach Rückschlägen steht er umso kampfeslustiger wieder auf. Eine Haftstrafe wegen islamistischer Hetze Ende der 1990er Jahre hielt ihn ebenso wenig auf wie ein politisches Berufsverbot. 2003 wurde er Premierminister. Unter Erdogan erlebte die Türkei ein beispielloses Wirtschaftswunder. Das statistische Pro-Kopf-Einkommen hat sich binnen zehn Jahren verdreifacht. Vor allem deshalb fuhr Erdogans Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) bei jeder Wahl ein höheres Stimmenergebnis ein.

Auf den Strassen von Kasimpasa hat Erdogan gelernt, wie man sich behauptet.

Erdogan regiere «selbstherrlich wie ein Sultan», sagen seine Gegner. Menschenrechtsorganisationen prangern Repressionen gegen regierungskritische Medien an. Doch Erdogan scheint immun gegen alle Vorwürfe. Die Massenproteste gegen seinen autoritären Regierungsstil vom Sommer 2013 haben seine Karriere ebenso wenig durchkreuzt wie die jüngsten Korruptionsvorwürfe. Seine Kernwähler, die frommen, konservativen Anatolier, stehen zu ihm.

Könnte im ersten Wahlgang gewählt werden

Das wird sich auch bei der Präsidentenwahl zeigen. Meinungsumfragen zufolge kann Erdogan mit 55 bis 56 Prozent der Stimmen rechnen. Er hat somit gute Chancen, bereits im ersten Durchgang gewählt zu werden. Der Kandidat der Oppositionsparteien, der Universitätsprofessor Ekmeleddin Ihsanoglu, liegt in den Umfragen abgeschlagen bei 35 Prozent.

Offen ist, was aus dem bisherigen Staatspräsidenten Abdullah Gül werden soll. Er muss für seinen alten politischen Weggefährten Erdogan das Präsidentenamt räumen. Spekulationen über einen Ämtertausch nach russischem Vorbild und einen Wechsel ins Amt des Premierministers hat Gül bereits eine Absage erteilt. Er will kein Premier von Erdogans Gnaden sein.

Gül will kein Premier von Erdogans Gnaden sein.

Wer auch immer Erdogans Rolle als Ministerpräsident übernimmt, viel wird er nicht zu sagen haben. Schon im April kündigte Erdogan an, er werde seine Befugnisse als Präsident «voll ausschöpfen». Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass er Kabinettssitzungen unter seinem Vorsitz einberuft. Darüber hinaus gibt es Pläne, mit einer Verfassungsreform das Präsidentenamt aufzuwerten. So könnte sich Erdogan eine Machtfülle verschaffen, wie sie lateinamerikanische Präsidenten geniessen.

Der 60-jährige Erdogan hat noch viel vor. Bis zum Jahr 2023, wenn sich die Gründung der Republik zum 100. Mal jährt, will er die Türkei unter die zehn grössten Wirtschaftsnationen der Welt führen. Wenn ihn die Türken am 10. August wählen und ihn 2019 im Amt bestätigen, könnte er dann immer noch Staatspräsident sein.

Nächster Artikel