Thailands starke Frau zeigt Schwächen

Nach der grossen Flut, die fast 400 Menschen das Leben kostete, steht die Regierung unter Druck. Von effizientem Krisenmanagement ist sie weit entfernt.  

Nach der grossen Flut, die fast 400 Menschen das Leben kostete, steht die Regierung unter Druck. Von effizientem Krisenmanagement ist sie weit entfernt.  

Tuk-Tuks knattern über den Asphalt, Händler bieten gefälschte Marken-T-Shirts feil, aus den Bars wummern Bässe. In der Silom-Road in Bangkok herrscht buntes Treiben. Vor einem Jahr noch zeigte sich hier ein anderes Bild. Damals tobten heftige ­Auseinandersetzungen zwischen regie­rungs­treuen und regimekritischen Demonstranten. Autoreifen brannten, Schüsse peitschten durch die Strassen, Panzer fuhren auf. Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. «Das war eine schwere Zeit», erinnert sich ein Verkäufer. «Das Geschäft ist komplett eingebrochen.»

Erneut schwere Zeiten bringen die schweren Fluten, die Thailand heimgesucht haben. Über 380 Menschen haben das Leben verloren, das öffentliche Leben in weiten Teilen des Landes steht still. Schlimm ist vor allem die Situation der Landwirte. Grosse Teile der Ernte wurden vernichtet. Die neue Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra kündigte an, eine Entschädigung von 2222 Baht (rund 65 Franken) pro Betrieb auszuzahlen. Die Bauern protestierten. Eine Einmalzahlung hätte bedeutet, dass ihre Versicherungsbeiträge, die sie noch unter dem System des Demokraten Abhisit Vejjajiva entrichteten, nicht berücksichtigt worden wären. Yingluck lenkte nach einigem Hin und Her ein.Auch in den Lagebeurteilungen während der Flut zeigte sich die Ministerpräsidentin unsicher. Ihre öffentlichen Erklärungen wechselten zwischen Panikmache und Verharmlosung. Das missglückte Krisenmanagement steht stellvertretend für den Schlingerkurs der Regierung. «Yingluck betreibt einen noch grösseren Populismus als ihr Bruder Thaksin», kritisiert der Politologe ­Thiti­nan Pongsudhirak von der Chu­lalongkorn-Universität in Bangkok. Es brodelt unter Thailands Eliten. Yingluck fehle nicht nur die Erfahrung, polterte die «Bangkok Post», sie sei auch nicht in der Lage, Verwaltung und Kabinett zu kontrollieren.

Thaksin mischt noch immer mit

Die Regierung ist gespickt mit Millionären, die Partikularinteressen vertreten. Ein Beispiel: Der stellvertretende Ministerpräsident Chalerm, ein impulsiver Haudrauf, setzte vor geraumer Zeit Polizeichef Potephorsree ab und brachte damit den Nationalen Sicherheitsrat gegen sich auf. Diesem Gremium steht wiederum Kowit Wattana vor, der ebenfalls stellvertretender Ministerpräsident und damit direkter Wider­sacher von Chalerm ist. Der eigentlich besonnene Wattana schäumte vor Wut und konsultierte Thaksin Shinawatra, Yinglucks Bruder und einst selbst Premier. Was zeigt, dass der milliardenschwere Mäzen im Hintergrund noch immer die Fäden zieht.

Yingluck Shinawatras Amtsübernahme im vergangenen Sommer war von grossen Hoffnungen begleitet – hatte sie im Wahlkampf doch ein Füllhorn an Wahlgeschenken versprochen. Jeder Schüler sollte einen ­eigenen Computer bekommen. Uni-­Abgängern wurde ein Gehalt von 15 000 Baht in Aussicht gestellt, und es sollten landesweite Min­destlöhne eingeführt wer­den. Allein: Die Pläne sind in der Realität noch nicht angekommen. In der «Standard School» in Kanchanaburi, im Norden Bangkoks, kalkulieren die Schüler weiter mit dem Rechenschieber, in der Umgebung durchpflügen Bauern mit Harken die Äcker – eine harte Arbeit, die wenig einbringt. Umgerechnet zwei, drei Franken bekommen die Bauern auf dem Markt für ein Kilo Süsskartoffeln. Das reicht knapp zum Leben.

«Wer trägt eigentlich die Verantwortung hier?», fragte in bissiger Ironie die englischsprachige Zeitschrift «Asia News». Yingluck jedenfalls schweigt beharrlich. Wohl auch, weil sie selbst zu schwach ist, um in dem Gezänk zu vermitteln. In den Boulevardblättern wird bereits spekuliert, ob sie hinter ihren Haaren ein Headset mit Verbindung zu ihrem Bruder Thaksin verberge.Die Ministerpräsidentin scheint die willfährige Statistin in einem grotesken Politiktheater zu sein. «Ein Land, drei Premierminister», spottete unlängst «The Nation». Noch sehen Investoren über das Possenspiel hinweg. Doch die Führungsschwäche könnte Thailand langfristig in seiner Entwicklung bremsen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04/11/11

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