Tod einer Vorlage

Gegen die versammelten Ärzte ist in der Schweiz kaum eine Abstimmung zu gewinnen. Managed Care ist da keine Ausnahme.

Patienten und Ärzte haben es nicht gerne, wenn man am System rüttelt. Managed Care hat auch darum keine Chance. (Bild: GAETAN BALLY)

Gegen die versammelten Ärzte ist in der Schweiz kaum eine Abstimmung zu gewinnen. Managed Care ist da keine Ausnahme.

Diese Abstimmung, sie ist verloren. Kein noch so flammendes Interview von SP-Gesundheitsminister Alain Berset in den Sonntagszeitungen, kein noch so rührender Appell des FDP-Kampagnenleiters, man werde jetzt «volle Hahne» bis zum 17. Juni um eine Kehrtwende kämpfen, ändert etwas an den Realitäten der politischen Schweiz im Frühsommer 2012.

Wäre der Abstimmungskampf um «Managed Care», um die Integrierung der Schweizer in bestehende und neu zu schaffende Ärztenetzwerke eine Vorabend-Fernsehserie aus einem Spital, es wäre der Moment gekommen für ein letztes Zucken der Herzfrequenz auf dem schwarzen Monitor und das unvermeidliche «Peeeep».
Managed Care ist tot.

Angst und Schrecken

Es war ein schneller Tod eines eigentlich virilen Patienten. Im Parlament hatten die Parteien bis weit in die Mitte der Gesundheitsreform zugestimmt, die Grünen haben erst kürzlich die Stimmfreigabe beschlossen, und selbst bei der SP gibt es etwa ein Drittel (darunter auch der vom Nein zum Ja konvertierte Berset) mit gros­sen Sympathien für Managed Care.

Das war allerdings, bevor die Vorlage die Kreise der Parteihonoratioren verliess und in den Niederungen der «Basis» Angst und Schrecken verbreitete.Toni Bortoluzzi kann diesen Vorgang besonders eingängig schildern. Der SVP-Nationalrat und Gesundheitsspezialist seiner Partei fuhr bei der Parolenfassung eine üble Niederlage ein. Eine Niederlage, die ihn jetzt noch schmerzt.

Die SVP stand am Anfang

Entgegen der Meinung der Parteileitung fasste die SVP-Basis eine deutliche Nein-Parole. Eine Haltung, die auch in den kantonalen Sektionen bestätigt wurde: Zuletzt haben sich diese Woche auch die Basler SVPler klar gegen Managed Care ausgesprochen. Bortoluzzi, einer der engagiertesten Kämpfer für Managed Care, hat spätestens seit der für ihn verheerenden Delegiertenversammlung von Anfang Mai in Klingnau den Glauben an einen Sieg verloren. Den Rest gab ihm die Abstimmungsumfrage des GfS-Forschungsinstitutes von vergangener Woche, die Managed Care eine deutliche Abfuhr prognostizierte.

Die Schuldigen hat Bortoluzzi ebenfalls bereits identiziert. «Die Sache ist relativ einfach», sagt der Nationalrat am Telefon und tönt wie jemand, der bereits Rückschau hält, «die Ärzte haben eingegriffen».

Mit «den Ärzten» meint Bortoluzzi die Spezialärzte um FMH-Präsident Jacques de Haller, die nicht nur für das Referendum verantwortlich sind (nachdem eine Urabstimmung in der Ärztevereinigung FMH eine grosse Ablehnung ergeben hat), sondern jetzt auch im Abstimmungskampf eine dominierende Rolle spielen. «Gegen die Glaubwürdigkeit der Ärzte kommt man nicht an», sagt Bortoluzzi. Dass die Hausärzte eigentlich für die Vorlage sind, das ändert nichs an der Einschätzung des SVP-Nationalrats. Denn noch schlimmer, als alle Ärzte gegen sich zu haben, seien uneinige Mediziner. «Das schafft Verunsicherung. Und im Gesundheitswesen ist nichts schlimmer als Verunsicherung. Dann haben Reformen erst recht keine Chance.»

Der Stellenwert der Ärzte

Auf der Seite der Gegner von Managed Care und mutmasslichen Gewinner der Abstimmung wird das Ärzteargument nicht gleich hoch gewichtet. Natürlich sagt Jacques de Haller, nicht ohne eine Lächeln im Übrigen, dass seine Ärzte anscheinend über eine hohe Glaubwürdigkeit verfügten. «Das spricht für die gute Beziehung zwischen Arzt und Patient.»

Entscheidend für den Erfolg des Referendums sei allerdings, und hier nimmt das Gespräch mit de Haller die gleiche Wendung wie viele Gespräche mit Managed-Care-Gegnern, die überfrachtete Vorlage selbst. «Wir haben nichts gegen Managed Care. Aber es ist nicht statthaft, die Prämien für jene Patienten zu erhöhen, die nicht einem Ärztenetzwerk beitreten möchten.» Eine Bestrafung sei das und eine Ungleichbehandlung. Gleiche Leistungen würden plötzlich mehr Geld kosten. «Das ist es, was eine Mehrheit der Bürger nicht will.»

«Einfach schlecht»

Inwiefern de Hallers Szenario tatsächlich eintreten würde – es ist umstritten. Es sei eines der grossen Probleme der Vorlage, so die Basler Gesundheitspolitikerin und SP-Nationalrätin Silvia Schenker, dass vieles vage bleibe. «Viele Fragen können heute nicht klar beantwortet werden, weil verschiedene Interpretationen möglich sind. Auch daraus entsteht Unsicherheit.» Noch kürzer sagt es SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr, die heute Abend in der «Arena» gegen Bundesrat Alain Berset antreten wird. «Die Vorlage ist einfach schlecht.» Am Anfang habe das niemand wahrhaben wollen, es habe ein allgemeiner Mainstream geherrscht, dass das jetzt gut sein müsse. «Jetzt beschäftigen sich die Leute mit dem Inhalt der Vorlage. Und dieser Inhalt kommt gar nicht mehr gut an.»

So klar die Ausgangslage vor der Abstimmung am 17. Juni auch ist, so unklar bleibt, was danach geschieht. Treffen sich Gegner von Managed Care in der Erklärung für das Scheitern der Vorlage, gehen die Vorstellungen für die Zeit danach weit auseinander. Gesundheitsökonom Willy Oggier möchte danach gesondert über einen verbesserten Risikoausgleich abstimmen lassen; Jacques de Haller will Managed Care weiter vorantreiben (falls die freie Arztwahl gesichert bleibt) und Silvia Schenker macht sich Gedanken, wie die Lage von chronisch Kranken verbessert werden könnte.

Und auch die Gegenseite hat so ihre Vorstellungen, wie es nach dem 17. Juni und dem Scheitern einer ­weiteren von vielen Reformen im Sozialbereich weitergehen könnte. Toni Bortoluzzi will beispielsweise einen nächsten Anlauf gegen die Aufhebung des Vertragszwangs nehmen. «Da werden die Ärzte auch wieder gewinnen. Aber wenigstens kostet sie das ein paar Millionen.»

 

Abstimmungskampf in der «Arena»: Um 22.20 Uhr wird heute Freitag, 18. Mai 2012, über «Managed Care» diskutiert. Auf der Pro-Seite: Alain Berset (Bundesrat SP, Gesundheitsminister) und Carlo Conti (Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren, Gesundheitsdirektor BS, Regierungsrat CVP/BS). Auf der Contra-Seite: Jacqueline Fehr (Vizepräsidentin SP, Nationalrätin SP/ZH) und Jacques de Haller (Präsident Ärztevereinigung FMH).

 

Quellen

Alain Berset im Interview mit dem «Sonntag»

Informationsseite des Bundesamts für Gesundheit

Berichterstattung der NZZ über die SVP-Delegiertenversammlung in Klingnau

Das Newsnet über die «Kriegskasse» der FMH

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12

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