Tricksen, säubern, herrschen – ohne Skrupel

Silvio Berlusconi hat nie behauptet, sich einer besonderen Ethik verpflichtet zu fühlen. Vielleicht blieb er darum so lang in seinem Amt. 

Italiens Premier Berlusconi: Meister des Do-it-yourself-Populismus. (Bild: Keystone)

Silvio Berlusconi hat nie behauptet, sich einer besonderen Ethik verpflichtet zu fühlen. Vielleicht blieb er darum so lang in seinem Amt.

Viele Italiener haben sich Silvio Berlusconi lange leisten wollen, auch wenn ihn sich die Republik Italien schon lange nicht mehr leisten konnte. Dieses Urteil gilt nicht nur wegen der exorbitanten Staatsverschuldung und Misswirtschaft. Nein, es geht um viel mehr. Nämlich um den Eindruck, wie viel ein eloquenter Medien-Caudillo der repräsentativen Demokratie in quasi vier Amtszeiten und bald zehn Regierungsjahren zumuten kann und darf.

Berlusconi machte nie ein Hehl aus seinem unterentwickelten Sinn für politische Ethik. Er kostete ihn gern aus – er war Teil seiner medialen Mitgift und einer Magie der Unwiderstehlichkeit, die auf Einfluss, Wirkung und Faszination eines nur allzu willigen Publikums bedacht war. Dieser Premier empfand Amt und Mandat als Aufforderung, privaten Interessen zu dienen und Gesetze durchzusetzen, die ihm halfen, Anklagen und Prozesse an sich abtropfen zu lassen wie Herbst­regen von einer Hutkrempe. Byzantinismus als Staatsräson, wenn der Staat zur Firma eines Unternehmers degeneriert. Dazu kam das Credo: Herrsche, indem du teilst, trickst, säuberst und bei alledem keine Skrupel kennst.

Blamabel für einen EU-Staat

Gegen den glamourösen Showman konnten Seriosität, Glaubwürdigkeit, eine realistische Programmatik und vor allem die von der Wahl­niederlage 2008 lange erschütterten Mitte-links-Parteien wenig ausrichten. Das ist nicht nur tragisch, sondern blamabel für einen führenden Staat der Eurozone.

Wie vage und halbherzig blieben die Versuche, die permanenten Angriffe Berlusconis auf demokratische Institutionen abzuwehren – man denke nur an die absurden Denunziationen, denen Gerichte und Staatsanwaltschaften ausgesetzt waren. Welch primitiver Antikommunismus durfte sich da entfalten, ohne dass auch nur einer von Berlusconis EU-Partnern an diesen Unappetitlichkeiten öffentlich Anstoss genommen hätte. Es ist bei ­alledem keine Ironie der Geschichte, sondern eine böse Laune derselben, wenn der scheidende Regierungschef nun mit seinem mutmasslich letzten Sparprogramm in das Frühjahr 1994 zurückkehrt.

Als Berlusconi zum ersten Mal mit der damals noch offen neofaschistischen Alleanza Nazionale-MSI zu regieren begann, stand schon einmal der Abbau des Sozialstaats auf der Agenda. Man wollte die öffentliche Gesundheits- und Rentenversicherung schreddern und ist nach wenigen Monaten Regierungszeit prompt daran gescheitert. «Weniger Staat, weniger Steuern, mehr Eigenverantwortung», so hatte sich bei den Wahlen zuvor eine Liberali­sierung empfohlen, die der Ein-Mann-Partei Forza Italia ein stattliches Stimmenpolster verschaffte. Tatsächlich zielte sie aber auf nichts anderes als eine autoritäre Deregulierung.

Es war eben populär, sich vom  Do-it-yourself-Populismus und den Marketing-Phrasen dieses Cavaliere vereinnahmen zu lassen. Dessen Stammwähler kamen aus der sozialen Mitte, aber ebenso aus dem ärmeren Drittel der italienischen Gesellschaft. Im April 1994 war das nicht anders als im April 2008.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11/11/11

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