Der verwahrte Sexualstraftäter M.W. steht erneut vor Gericht. Er soll drei weitere Frauen betäubt und missbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft will ihn lebenslang verwahren – auch die Gutachten zielen in diese Richtung.
Die drei Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein. Eine Klägerin ist dutzendfach am Rücken operiert worden, steht unter Morphium, wirkt schüchtern und zerbrechlich. Vom Auftreten her ist die zweite Frau, eine Mittvierzigerin, das Gegenteil: selbstsicher, klar, Typ Powerfrau. Dann gibt es noch die dritte Frau, eine mehrfache Mutter aus dem Mittelland, unscheinbar.
Die Frauen haben sich vor dem heutigen Dienstag nie gesehen. Was sie verbindet ist die zufällige Bekanntschaft mit demselben Mann – und eine Geschichte, die praktisch identisch ist. Doch alle wissen nicht, was das genau für eine Geschichte war. In Erinnerung ist ihnen das «Durcheinandersein» nach einem mehrstündigen Blackout. Und das Gefühl, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. Nur bei der Mittvierzigerin konnte das Einschlafmittel Dormicum nachgewiesen werden. Und nur an ihrem Körper wurde Sperma des verwahrten Serienvergewaltigers M.W. (56) gefunden.
«Rückfallgefahr markant erhöht»
Als einzige Klägerin ging diese Frau unmittelbar nach dem Erlebten zur Polizei. Bei den anderen Frauen dauerte dieser Schritt länger, aus Angst und Schamgefühl. Doch auch für sie ist klar: Der Mann hat sie betäubt und sexuell missbraucht. Es spricht sehr vieles dafür, das halbnackte Erwachen bei ihm, die grundlosen und starken Kopfschmerzen – und die Vorgeschichte des Mannes, die damals keine der Frauen kannte. Es gibt nur etwas, was dagegen spricht: der Beschuldigte selber. Er streitet alles ab. Und legt seine Version der Geschichten so zurecht, dass sie stimmen könnte.
Für die Staatsanwaltschaft ist dennoch bereits zu Prozessbeginn klar: Sie plädiert auf lebenslange Verwahrung. Auch für den forensischen Psychiater Thomas Knecht besteht «in überschaubarer Zeit» kaum Hoffnung auf eine erfolgreiche Therapie. Er hat sein Gutachten aufgrund etlicher vorhergehender Beurteilungen über den Mann erstellt. Und kommt zum Schluss: «Die Rückfallgefahr ist markant erhöht.» Ein zweiter Gutachter argumentiert ähnlich.
Vom Gefängnis in die eigene Wohnung
Für den Beschuldigten sind Gutachten, Opfer und Gerichtsverhandlungen Routine – entsprechend gefasst trat er vor Gericht auf. Er hatte auf alle Fragen eine Antwort, so auch auf die Frage, weshalb die Frauen lügen sollten: «Sie konnten nicht fassen, mit wem sie es zu tun hatten, als sie meine Geschichte in der Zeitung lasen.» Der «Blick» titelte im Februar 2012: «Gefährlichster Vergewaltiger im Freigang – M.W. holte sich sein 23. Opfer». Für ihn selber scheint alles eine grosse Verschwörung gegen ihn zu sein. Die Artikel im «Blick», die Beschuldigungen der Frauen, die Gerichte im Allgemeinen.
Tatsache ist aber: Der Mann ist wegen über zwanzig Sexualdelikten vorbestraft und befand sich auch schon in einer Verwahrung. Zum Zeitpunkt der Taten, die ihm für 2011 und 2012 angelastet werden, befand er sich in einer Reha-Klinik und in einer Wohnung in Basel. Unter Auflagen hatte er das Gefängnis verlassen und mit einer elektronischen Fussfessel allein in der Wohnung leben dürfen. Für Basel hatte er sich wegen der Nähe zu seinem in Deutschland lebenden Sohn entschieden.
Nun stellt sich die Frage: Wie ist es möglich, dass der Täter scheinbar massiv unterschätzt wurde? Die SRF-Sendung «10vor10» stellte diese Frage in einem Beitrag am Montag Fachleuten – eine eindeutige Antwort konnte allerdings niemand geben. Vieles wird aber mit dem Charakter und der Intelligenz des Mannes zu tun haben.
Vertrauen schamlos ausgenützt
Mit seiner «gewinnenden Art», die ihm mehrfach attestiert wurde, hat es der Beschuldigte immer wieder geschafft, Menschen um den Finger zu wickeln. Gutachter Knecht spricht von «Manipulation» – und auch der Therapeut der Reha-Klinik erinnert sich an die einnehmende Art seines ehemaligen Patienten. In der Klinik hatte dieser die jüngste Klägerin getroffen und ihr bei Alltäglichkeiten geholfen. Die Frau ging an Krücken, war einsam und in schlechtem Zustand. M.W. gewann ihr Vertrauen – um dieses schamlos auszunützen. So steht es in der Anklageschrift – und so soll es auch in den anderen Fällen passiert sein. Der einzige, der von «Freundschaften ohne sexuelle Kontakte» spricht, ist der Angeklagte selber.
Das Gericht wird das Urteil voraussichtlich am Donnerstagabend bekannt geben. Bis dahin bleibt M.W. in Sicherheitshaft.