Trotz Panzern fühlen sich die Menschen in Arish nicht sicher

Das ägyptische Militär verstärkt seine Präsenz auf dem Nord-Sinai. Dort herrscht ein Kleinkrieg zwischen Militanten und den Sicherheitskräften. Eine Reportage aus der Konfliktregion.

Die Stimmung in der Region Sinai ist angeheizt (Symbolbild). (Bild: Keystone/Hossam Ali, AP)

Das ägyptische Militär verstärkt seine Präsenz auf dem Nord-Sinai. Dort herrscht ein Kleinkrieg zwischen Militanten und den Sicherheitskräften. Eine Reportage aus der Konfliktregion.

Um die Mittagszeit schlängelt sich ein langer Militärkonvoi durch die Stadt al-Arish auf dem Nord-Sinai. Es ist nicht der einzige. Die ägyptische Armee zeigt Präsenz. Mit Dutzenden Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und Hunderten Soldaten hat sie in den letzten Tagen ihre Kräfte in der Unruheregion verstärkt. Die Lage ist angespannt, die Polizei nervös.

Die Polizisten versehen ihren Dienst mit kugelsicheren Westen und neuen kanadischen Mannschaftswagen. An neuralgischen Punkten wie Brückenköpfen stehen zusätzliche Kontrollpunkte, geschützt mit Wällen aus Sandsäcken. Ein Helikopter kreist in der Luft. Nur widerwillig hat der Offizier am Check-Point zur Sinai-Halbinsel die Ausländer einreisen lassen.

Tiefes Misstrauen gegen die Polizei

Ein  Anschlag unbekannter Militanter auf eine Polizeipatrouille in Arish mit drei Toten und Schüsse auf einen Militär-Inspektor waren in den vergangen Tagen die letzten Vorfälle in einer ganze Reihe von Attacken gegen Polizei und Sicherheitskräfte. Als Reaktion hat der Innenminister den Sicherheitschef der Provinz Nord-Sinai gefeuert, der Verteidigungsminister die Gegend besucht sowie eine Truppenverstärkung angeordnet. Einwohner von Arish demonstrierten gegen die Gewalt und die Ohnmacht der Sicherheitskräfte. «Wir sind müde, wir wollen ganz normal leben, wie andere Ägypter auch», sagt eine Passantin im Stadtzentrum.

Auf der Strasse vor dem Amtssitz des Gouverneurs steht zwar ein gepanzertes Fahrzeug, Kontrollen gibt es aber keine. Nicht einmal ein Portier hat ein wachsames Auge, wer das Gebäude betritt, das viel schäbiger ist als vergleichbare im Niltal.

Nach 40 Jahren Dienst beim Militär, darunter auch bei den Spezialkräften, habe er keine Angst, sagt Gouverneur Sayyed Abdel Fattah Harhua im Gespräch.  Harhua ist erst nach dem Grenzanschlag Mitte August in Rafah mit 16 toten ägyptischen Soldaten von Präsident Mohammed Morsi zum höchsten Staatsvertreter in Arish befördert worden, war aber bereits seit 2005 für die Sicherheit in der Region zuständig.

Gerüchte statt Informationen

Militärexperten bezweifeln zwar, ob die Armee mit schwerem Gerät etwas gegen Anschläge aus dem Hinterhalt ausrichten kann. Die lokale Bevölkerung misstraut aber der Polizei und den Kräften des Innenministeriums, die mit Razzien, Übergriffen und willkürlichen Verhaftungen die Einheimischen seit vielen Jahren gegen sich aufgebracht hat, statt zur Mitarbeit zu animieren.

Das ist auch nach der Revolution nicht besser geworden. «Ohne die Menschen auf dem Sinai, gibt es keine Sicherheit», meint Yehya Anzera, Mitglied der Demokratiebewegung Kifaya und der linken Karama-Partei.

Vor allem möchten die Einheimischen wissen, was wirklich vor sich geht. Offizielle Informationen gibt es fast keine, dafür umso mehr Gerüchte und Vermutungen. «Wer hinter den Anschlägen steckt, wissen wir nicht. Die Aufklärung dauert an», sagt der Gouverneur. Harhua bestätigt, dass er im Dialog mit lokalen Beduinen-Scheichs und islamischen Extremisten steht. Der brauche aber Zeit, Erfolge gebe es noch nicht. Und er verhehlt auch nicht, dass in jüngster Zeit mehr Waffen aus Libyen und dem Sudan im Umlauf seien.

Vernachlässigte Region

Die Lage in der von beduinischer Stammeskultur geprägten Grenz-Provinz zum Gaza-Streifen und Israel ist kompliziert. Der Militäreinsatz durch den Camp-David-Vertrag massiv eingeschränkt. «Alle Probleme der Region werden auf unserem Rücken ausgetragen», ereifert sich Anzera. Die Region ist vernachlässigt. Es fehlt an Infrastruktur. Es gibt keine Investitionen in den Tourismus.

Beduinen dürfen kein Land besitzen, sind bei Staatsstellen diskriminiert, und vor allem wird ihre Loyalität dem Staat gegenüber in Zweifel gezogen. Neue Gesetze über ausländische Investitionen und die Möglichkeit für Beduinen, Land zu erwerben, soll es inzwischen zwar geben. Aber die Betroffenen wissen davon nichts.

Zulauf für extremistische Gruppen

Mit dem Zusammenbruch der Sicherheit nach der Revolution sei die Lage nur noch schlimmer geworden, betont Khaled Arafat, politischer Aktivist aus Rafah. Eine der schlimmsten Konsequenzen ist eine Jugendarbeitslosigkeit von 80 Prozent. «Die neue Regierung tut nichts dagegen. Am meisten Geld bringt derzeit der Benzinschmuggel nach Gaza», sagt Ashraf al-Hefni von der Revolutionären Sozialistischen Bewegung.

Hohe Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und eine repressive Sicherheitspolitik haben neuen extremistischen Gruppen, die den Staat herausfordern, Zulauf gebracht. Die Tatsache, dass auch die neue Regierung von Präsident Mohammed Morsi auf dem Sinai eng mit Israel zusammenarbeitet, gibt ihnen zusätzlichen Auftrieb.

«Und wenn es 100 Arten von Jihadisten gibt, die Innere Sicherheit kennt sie alle. Sie hat sie gemacht», sagt Anzera. Die  «alten» ägyptischen Jihadisten-Organisationen wie al-Gamaa al-Islamiya, die inzwischen am politischen Prozess teilnehmen und die zentralen salafistischen Gruppen haben sich von der Gewalt auf dem Sinai distanziert.

Sensible Nähe zu Israel

Assad al-Bek ist einer der einflussreichsten ultraorthodoxen Salafisten-Scheichs im Nord-Sinai. In einem unscheinbaren Wohnhaus steht er einem Sharia-Gericht vor. In fünf bis sieben Fällen fällt er täglich einen Spruch nach islamischem Recht. Nach der Revolution habe seine Organisation, die sich der religiöser Unterweisung und der Einführung der Sharia verschrieben hat, deutlich mehr Zukauf erhalten, sagt er im Gespräch.

Er findet, vom Sinai werde ein falsches Bild gezeichnet. Im ganzen Land gebe es Leute, die Probleme mit der Sicherheit hätten. Aber wegen der Nähe zu Israel sage man hier, das sei eine Gefahr für die Stabilität Ägyptens. Mit Religion habe das nichts zu tun. Bei der Suche nach den Urhebern müsse man sich die Frage stellen, wer profitiere. Das sei einzig Israel. Der Scheich ist deshalb überzeugt, dass Israel und Elemente von aussen die Krise schüren. Eine These, die auf dem Sinai immer wieder zu hören ist.

Ausser den vielen Militärfahrzeugen haben die Bewohner des Sinai bis jetzt keine Ansätze zu einem neuen Krisenmanagement gesehen. Politiker wie Mohammed al-Baradei rufen zwar nach politischen und wirtschaftlichen  Strategien, bis jetzt geben in Arish aber auch unter Präsident Morsi nach wie vor Generäle und Offiziere die Richtung vor.

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