Trump treibt Flüchtlinge in eine tödliche Falle

Donald Trump will Migranten aus den USA fernhalten. Der Ausbau der Mauer zu Mexiko macht aber vor allem eines: das Land noch mehr zu einem Friedhof. Eine Reportage von der Grenze.

Donald Trump will Migranten aus den USA fernhalten. Der Ausbau der Mauer zu Mexiko macht aber vor allem eines: das Land noch mehr zu einem Friedhof. Eine Reportage von der Grenze.

Heute ist ein schlechter Tag für die Kojoten. Die Menschenschmuggler lehnen sich an ihre Pick-ups und rauchen, während «die Bestie» vor einer Fabrik im Ort Ramos Arizpe zum Stehen kommt. Auf den Waggons des «Zuges des Todes» kauern nur ein paar armselige Gestalten. Wie lange sie dort gesessen haben, lässt sich schwer einschätzen.

Vielleicht sind sie schon in der mexikanischen Stadt Tapachula an der Grenze zu Guatemala auf den Güterzug aufgestiegen, der Mais oder Maschinen transportieren sollte, aber keine Menschen. Oder ihr Weg führte sie ein Stück weit mit dem Bus Richtung Norden, bevor ihnen das Geld ausging und ihnen nichts anderes blieb als der Rücken der Bestie. 

Sie sehen alle abgerissen aus. Es ist für die Menschenschmuggler offensichtlich, dass sie kein Geld für den weiteren Transit in die USA haben. Die ersten Kojoten drücken also ihre Kippen mit den Stiefeln aus und steigen wieder in ihre Autos. Die Flüchtlinge auf den Waggons werfen ihre Habseligkeiten herunter und springen hinterher. 

Padre Pedro Pantoja liebt Gott im Land der Zetas. Seine Flüchtlingsunterkunft liegt in Saltillo, mit über 700’000 Einwohnern die grösste Stadt im nördlichen Bundesstaat Coahuila. Vor vier Jahren gelang es der Armee hier, die Kämpfer des grausamsten Kartells Mexikos zu vertreiben.

Der Padre atmet auf, als er hört, dass an diesem Tag weniger Flüchtlinge angekommen sind, als in den vergangenen Tagen. Seine «Casa de Migrantes» an einer staubigen Strasse im Süden von Saltillo platzt ohnehin schon aus allen Nähten. Die Betten im Schlafsaal sind voll, und die Unterkunft muss drei Mahlzeiten bereiten für immer mehr Münder, die hungrig sind.

«Alle wollen noch rüber über die Grenze, bevor Trump seine Mauer baut», sagt der Padre. Dabei gäbe es keine sinnlosere Weise, wie der neue US-Präsident Geld verschwenden könnte, sagt der Padre. Und nennt als Beispiel für die Sackgasse, in der die Flucht endet, den nächstgelegenen Grenzort Nuevo Laredo am Südufer des Rio Grande. Auf der amerikanischen Seite würden Drohnen über der Wüste fliegen und es gebe Sensoren im Boden, die Wärme registrieren. Auf der mexikanischen Seite hätten die Zetas das Sagen. Und die würden keinen Flüchtling auch nur in die Nähe der Grenze lassen, der nicht zahlen könne.

Wie viel die Zetas im Moment für einen Transit verlangen? 8000 Dollar, sagt der Padre, und es klingt, als könnte das Kartell auch genauso gut das Zehnfache verlangen, der Effekt bliebe gleich. Es ist das Geld, das im Moment nötig ist, damit die Zetas ihre Kontaktleute bei den US-Grenzbehörden bestechen können. «Das ist der einzige Weg in die USA.» Kaum ein Flüchtling, der es bis nach Saltillo geschafft hat, könne das aber im Moment bezahlen, fügt Padre Pedro hinzu.

Auf die Frage, wie es in den kommenden Wochen und Monaten weitergeht an der Grenze Mexikos zu den USA, antwortet der Padre mit einem Hinweis auf seinen Glauben. «Ich bin ein religiöser Mann. Ich trage meine Sorgen zu Gott.» Dann spricht er von einem Krieg, den der neue US-Präsident Mexiko erklärt habe.

Trump wolle zunächst 10’000 kriminelle Mexikaner ausweisen. Neue Soldaten für die Kartelle. Dann will er mit Massendeportationen der Illegalen beginnen. «Wenn er Ernst macht, landen bei uns demnächst Millionen Menschen, die wir nicht versorgen können. Wir sind ja jetzt schon mit den Flüchtlingen überfordert, die hier stranden.»

Der Padre verweist auf die mexikanische Wirtschaft, die seit dem Wahlsieg Trumps im November in die Knie gegangen ist. Der Padre sieht einen regelrechten Sturm auf sein Land zukommen. Und in dessen Auge würden die Schwächsten feststecken, die Flüchtlinge aus Zentralamerika.

Die Bestie rollt auch durch Saltillo. Sie macht halt am Güterbahnhof im nahegelegenen Ramos Arizpe und setzt dann ihre Fahrt fort durch die Stadt und wieder hinaus in die Wüste. Der BBC-Reporter Alberto Najjar hört, wie der Güterzug über die Gleise rattert, denn er sitzt auf der Terrasse eines Lokals im Zentrum von Saltillo unweit der Bahnstrecke. Der Zug und die Stadt haben den Journalisten schon lange beschäftigt.

Najjar berichtet für den spanischsprachigen Kanal der BBC über die Kartelle und den Menschenhandel. Ein gefährlicher Job in einem Land, das in allen Rankings als eines der gefährlichsten für Journalisten gilt. Sein Büro ist in Mexiko-Stadt. Aber Najjar ist oft im Norden des Landes unterwegs, der heissen Zone, in der der Krieg der Kartelle auf die Tragödie der Flüchtlinge trifft.

Auf dem Bistrotisch liegt vor ihm aufgeschlagen die Zeitschrift «Proceso». Sie titelt mit dem Konterfei von Donald Trump und der Schlagzeile: «Der Krieg, der kommt». Najjar stimmt der Wahrnehmung des Padres Pedro Pantoja in Saltillo und seiner Kollegen von «Proceso» zu: Donald Trumps erster Krieg werde in Mittelamerika geführt.

Najjar meint damit nicht, dass bald US-Marines in Mexiko-Stadt landen. Er fürchtet aber, dass Donald Trump Mexiko und seine Nachbarländer in eine Spirale der Gewalt stürzen wird. Neben den Deportationen mit allen ihren Auswirkungen auf die Sicherheit und die wirtschaftliche Stabilität sieht Najjar ausbleibende Zahlungen von abgeschobenen Migranten an ihre Familien in den Heimatländern als Gefahr. Trump würde mit der von ihm angekündigten Politik nur eines erreichen, glaubt der Reporter: Noch weit mehr Menschen als bisher werden aus Zentralamerika in Richtung USA nach Mexiko flüchten, wo sie dann festsitzen, ist Najjar überzeugt.

Najjar prophezeit endloses Blutvergiessen

Es drohe ein Teufelskreis, in dem Mittelamerikaner, die abgeschoben werden oder ohne Geldüberweisungen aus den USA auskommen müssen, sich den Maras anschliessen. Um dann andere zu vertreiben, die in Mexiko in der Falle landen und in die Arme der Kriminellen getrieben werden. «Nutzniesser der Politik von Donald Trump werden die mexikanischen Kartelle sein, die am Menschenschmuggel immer mehr verdienen», sagt Najjar.

Die Zetas verlagern sich darauf, mit Hilfe loyaler Maras die Bevölkerung auf die Flucht zu zwingen und daran zu verdienen, sagt Najjar. Er prophezeit endloses Blutvergiessen, damit der flüchtenden Bevölkerung das Letzte aus den Taschen geraubt werden könne.

«Eigentlich bräuchten wir das UN-Flüchtlingshilfswerk hier. Aber dann müssten die USA zugeben, dass es Flüchtlinge sind und keine Migranten, und Mexiko, dass Krieg herrscht», sagt Najjar. Der Reporter glaubt nicht, dass die internationale Gemeinschaft sich in der geschundenen Region engagieren wird. Eher werde die sich selbst befeuernde Hölle aus Terror und Vertreibung brennen, bis niemand mehr da ist, der Schutzgeld bezahlen kann.

Die Verschwundenen-Aktivistin Diana Iríz würde eine Mutter aus Guatemala, Honduras oder El Salvador gern in den Arm nehmen, nur käme keine. «Ich würde ihr sagen, dass mir leid tut, was Mexikaner ihrem Kind angetan haben», sagt das Mitglied der Hilfsorganisation Fundec (Fuerzas Unidos por Nuestros Desaparecidos).

Sie sitzt mit Lourdes Herrera auf Klappstühlen in einem Raum im Menschenrechtszentrum der katholischen Kirche unweit der prächtigen Kathedrale von Saltillo. Die beiden Frauen haben den leidvollen Blick der Muttergottes im Rücken. An der weissen Wand hinter ihnen hängt ein Marienbild. Es ist vielleicht kein Zufall, denn Iríz und Lourdes haben wie die Madonna ihre Söhne verloren.

In der Altstadt von Saltillo mit ihren frisch verputzten Kolonialhäusern weist keine Schussspur mehr auf das Gemetzel hin, das sich hier bis zur Einnahme der Stadt durch die Armee 2012 abgespielt hat. Mauern erzählen keine Geschichten. Diana Iríz und Lourdes Herrera tragen die ihre auf Plaketten am Revers: Es ist der Fundec über den Konterfeis ihrer Söhne. Sie sind während der Kämpfe spurlos verschwunden.

Die beiden Mütter sind Teil eines Netzwerks, das sich über ganz Mexiko erstreckt und das mit ähnlichen Organisationen in anderen mittelamerikanischen Ländern zusammenarbeitet. Die Arbeit funktioniert wie der Suchdienst des Roten Kreuzes. Doch die Suche nach den Mittelamerikanern bleibe vergebens, sagen sie. Eine Delegation von Frauen aus Guatemala sei 2012 zu Besuch in Saltillo gewesen, sagt Herrera.

Die guatemaltekischen Frauen übergaben persönliche Gegenstände, auf denen sich DNA befinden könnte. In der Hoffnung, dass sie zu Knochen passen, die in einem Massengrab gefunden werden. «Kaum jemand aus unseren Nachbarländern kann es sich leisten, auf legalem Weg hierher zu kommen. Also schicken sie alle paar Jahre eine Delegation. Aber die Polizei interessiert sich nicht für Ausländer. Sie sagt, das sei Aufgabe der Behörden in den Herkunftsländern. Also gibt es keine Ermittlungen», erzählt Herrera.

Das Herz einer Mutter werde gespalten, wenn ein Angehöriger verschwindet, sagt Diana Iríz. Es sei ein Leben in einem Nichts, das nie enden wolle. Für sie sei es unerträglich, dass die Familien aus Zentralamerika nicht einmal die Hoffnung haben können, jemals etwas über das Schicksal ihrer Angehörigen zu erfahren. «Für sie ist unser Land nur noch ein namenloses Grab.»

Vielleicht endet die Reise auf der Bestie fernab aller Gleise an diesem Ort. Entlang eines ausgetrockneten Kanals ausserhalb des Dorfs Patrocinio – rund 260 Kilometer von Saltillo entfernt – hat die Polizei gelbe Absperrbänder an Büschen befestigt. 43 Abschnitte auf einer Länge von rund zehn Kilometern werden so unterteilt. Helfer sieben den Sand nach Tausenden von Knochenfragmenten, die in der obersten Erdschicht liegen.

Sylvia Elida Ortíz kniet auf dem Boden und gräbt Knochensplitter aus. Die oberste Erdkrume ist vor Trockenheit gerissen. Wenige Zentimeter darunter ist der Wüstensand feucht und fühlt sich seifig an – von menschlichem Fett, erklärt die freiwillige Helferin: 




«Sie haben die Menschen erst mit Macheten zerhackt. Dann haben sie sie in Fässer gesteckt und Diesel rein geschüttet. Wenn das brennt, wird es so heiss, dass die Knochen nach ein paar Stunden zerplatzen. Dann haben sie das Ganze ausgekippt und mit neuen Leichen weitergemacht. Wir nennen das Leichenkochen», erklärt Sylvia Elida Oríz. (Bild: Cedric Rehman)

Die Mexikanerin schildert sachlich, was vielleicht ihrer eigenen Tochter zugestossen ist. Sie verschwand zu Beginn des Drogenkriegs. Dreimal in der Woche siebt Ortíz seither Knochenfragmente und verrät nicht, in welchen Winkel ihrer Seele sie ihren Schmerz versenkt, um diese Arbeit zu tun.

Vor ihr breitet sich die Wüste aus, die in noch unbekannter Entfernung vom Kanal gespickt ist mit den Überresten von Mexikanern und Zentralamerikanern. 90 Personen sind seit der Entdeckung des Massengrabs im Frühjahr 2015 identifiziert worden – alles Mexikaner. Auch Ortíz ist überzeugt, dass Familien aus Guatemala oder Honduras keine Chance hätten jemals etwas über ihre Angehörigen zu erfahren.

Wie viele Menschen hier ermordet wurden?

Sylvia Elida Ortíz zeigt mit der Hand in Richtung Wüste. «Da draussen liegt die Antwort. Wir finden ja immer mehr Abschnitte», sagt sie, «inzwischen ist ganz Mexiko ein Massengrab. Für Mexikaner und Ausländer.» Ihr Blick schweift in die Ferne. Jenseits der staubigen Ebene und der Berge soll also ein Grenzwall entstehen. Manche würden sagen, dass es eine Mauer für einen Friedhof wird: Mexiko.

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