Plastikverpackungen sind allgegenwärtig und Verbote haben es schwer. Doch Aufklärungskampagnen und Initiativen von jungen Leuten nähren die Hoffnung, dass wir dieses Zivilisationsproblem in den Griff bekommen können.
Wenn Ostern ist, steht noch mehr Schokolade auf dem Programm. Noch mehr: Der Schokoladekonsum ist bereits unter dem Jahr beträchtlich. Gemäss einer im Februar 2015 veröffentlichten Statistik haben Schweizerinnen und Schweizer im Jahr 2014 durchschnittlich 11,7 Kilogramm verzehrt. Das sind 300 Gramm weniger als im Vorjahr, als 100 Gramm Zunahme gegenüber dem Durchschnittskonsum von 2012 verzeichnet wurde.
Schokolade ist zwar primär ein Exportprodukt (60 Prozent der Inlandproduktion gehen ins Ausland und davon am meisten nach Deutschland). Die Inlandnachfrage erreicht aber immerhin ein Gesamtgewicht von etwa 70’000 Tonnen.
Hier soll es aber nicht weiter um Schokolade gehen, sondern um Plastik, das im Gegensatz zur Schokolade nach dem Konsum nicht einfach weg ist. Mit ihm, das wäre die thematische Verbindung, werden viele prächtige Osterhasen und Schoko-Eier verpackt. Und beim Nachhausenehmen werden einige dieser Hasen und Eier in einem kleineren oder grösseren Plastiksack weggetragen. Ob wir das tun, hängt zum Teil von uns selber, zum Teil aber auch von den Anbietern ab.
Vorangehen oder folgen – Hauptsache ein gutes Beispiel
Kürzlich hat der EU-Ministerrat in Brüssel beschlossen, in den Mitgliedstaaten den Gebrauch von Plastikbeuteln zu besteuern oder gar zu verbieten. Bis Ende 2015 soll jeder Europäer im Schnitt nur noch 40 Beutel pro Jahr verbrauchen. 2010 waren es noch 176. Und was tut die Schweiz?
Hierzulande wurde schon vor über zwei Jahren auf grund einer Motion von Dominique de Buman (CVP/FR) über ein solches Verbot entschieden, im Nationalrat deutlich mit 110:73 und im Ständerat knapp mit 18:17 Stimmen. Inskünftig sollen keine Gratis-Plastiksäcke mehr abgegeben werden. Die Gegner eines Verbots argumentierten, dass Plastiksäcke nicht einmal ein halbes Prozent des jährlichen Verbrauchs an Kunststoffen in der Schweiz ausmachten. Als Befürworter liesse sich anführen, dass sich auch eine leicht «symbolische» Massnahme auf andere Bereiche auswirken könnte.
In der Diskussion hiess es auch, die Schweiz müsse mit dem guten Beispiel vorangehen. Ehrlicherweise hätte man auch sagen können, dass sie dem guten Beispiel anderer folgen sollte. Im fernen Australien oder im nahen Frankreich gibt es bereits entsprechende Verbote. Man will aber lieber selber Pionier und ein gutes Beispiel sein als bloss dem guten Beispiel anderer folgen.
Keine Raschelsäcke im Jura
Solche guten Beispiele gibt es auch im eigenen, föderalistisch funktionierenden Land. Die Migros-Genossenschaft Genf stellt bereits seit Februar 2009 keine kostenlosen Plastiksäcke mehr zur Verfügung und verlangt für Papiersäcke (die ökologisch ebenfalls nicht unproblematisch sind) 20 Rappen. Und die Migros Waadt verlangt fünf Rappen pro Säckli, was einen Rückgang der Benutzung um 94 Prozent bewirkte. Zudem gibt sie für zwei Franken biologisch abbaubare und kompostierbare Plastiksäcke ab. Und das jurassische Parlament beschloss ein kantonales Verbot der Raschelsäcke.
Die Haltung der französischen Schweiz erklärt sich bis zu einem gewissen Grad mit den Gegebenheiten der französischen Nachbarschaft, in der solche Säcke schon seit Langem verboten sind. Vorbild!
Ein Wegwerf-Plastiksack, heisst es, werde durchschnittlich nur gerade 25 Minuten lang benutzt.
Nach dem Bundesentscheid vom Dezember 2012 folgte im November 2013 die Ankündigung, dass im Januar 2015 mit Plastiksäcken an Ladenkassen Schluss sein werde. Dieser Termin liegt nun bekanntlich hinter uns, die Säcke liegen aber noch immer gratis auf und werden tagtäglich nach Hause getragen. Ein Wegwerf-Plastiksack, heisst es, werde durchschnittlich nur gerade 25 Minuten lang benutzt.
Auf die verwunderte Frage, warum sich trotz des immerhin vor über zwei Jahren gefassten Entscheids der Eidgenössischen Räte bisher noch nichts geändert habe, antwortet die Pressestelle eines der Grossverteiler, dass die gesetzliche Ausgestaltung eben noch völlig offen und entsprechend unklar sei, was einmal unter ein Verbot fallen wird. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit werden der Offenverkauf von Früchten und Gemüsen und die Verpackung von Elektronik und Kleidern ausgenommen.
Der Schlüssel zur Veränderung
Nachdenken über Plastiksäcke – ist das etwas für Historiker? Erstens steht dieses Nachdenken allen frei. Zweitens können sich Historiker für das Thema auch darum interessieren, weil es die Problematik des gesellschaftlichen Wandels betrifft, die grosse Frage, wer und was Veränderung antreibt und wie neue Gegebenheiten zustande kommen.
Wo liegt der Schlüssel für Veränderung? Bei verbindlichen Vorschriften? Bei den Kosten für die Konsumenten? Bei den Anbietern, für die in diesem Fall die Kosten keine Rolle spielen? Bei der Wissenschaft, die mit der nötigen Deutlichkeit auf die Folgen der Plastikablagerungen hinweisen soll? Was können Stiftungen (etwa «Race for Water»), UN-Environmental-Programme (Unep) und Nichtregierungsorganisationen leisten, was können Öko-Websites und was kann Reden und Schreiben – wie hier – bewirken?
Wirkung erzeugen können Filme, zu unserem Problem beispielsweise «Plastic Planet» (2009) oder (eher nach als vor dem Abendessen anzuschauen) «Midway: Message from the Gyre» (2013), eine Dokumentation über die am Plastik-Müll im Meer leidenden Albatrosse im Südpazifik. Diese Filme müsste man sich zu Herzen nehmen. 80 Prozent des Mülls, um den es darin geht, stammen von Landquellen, auch aus der Schweiz.
Es braucht Aufklärung. Allerdings steht diese bereits in reichem Mass zur Verfügung. Es braucht eher Kampagnen. Das heisst Aufklärung in fokussierter und intensivierter Form. Aber es braucht vor allem uns, die sich davon überhaupt erreichen lassen. Auslöser für diese Zeilen war ein kurzer Fernsehbericht gegen Ende des vergangenen Jahres über einen jungen Mann, der für das von ihm entwickelte System zum Einsammeln des Meeresplastiks den «Champion of the Earth Award» erhalten hat.
Der Niederländer namens Boyan Slat, ein 20-Jähriger, der noch bei seiner Mutter lebt, hat ein internationales Team aus Biologen, Geologen und Ozeanografen aufgebaut, das sich vorgenommen hat, im Nordpazifik beginnend, die Weltmeere von dieser Zivilisationsseuche zu befreien. Es ist ihm gelungen, mit Crowdfunding über zwei Millionen Dollar zusammenzubekommen. Jetzt will er Regierungen gewinnen, um sein insgesamt auf sechs Milliarden Euro geschätztes Unternehmen zu finanzieren. Im Juni 2014 hat die Unep-Konferenz in Nairobi festgehalten, der Plastikmüll in den Weltmeeren verursache Schäden von mindestens 13 Milliarden Dollar pro Jahr.
Gefangen im Müllstrudel
Die Operation unter dem Titel «Ocean Cleanup» erfährt eine eindrückliche Resonanz. Zweifler wackeln zwar mit ihren Köpfen. Ein wichtiger Einwand lautet, dass Mikroplastik, der das Hauptproblem bilde, auf die vorgesehene Art gar nicht erfasst werde. Slats Antwort darauf: Man müsse eben den im Meer schwimmenden Makroplastik einsammeln, bevor er zu Mikro wird. Der junge Mann würde sicher auch der Auffassung zustimmen, dass es nicht nur um Abfallrückgewinnung gehen kann, sondern dass man auch von Anfang an Abfall vermeiden muss.
Zum Plastikmüll gibt es weniger genaue Zahlen als zum Schokoladekonsum. Nach Schätzungen sollen 260’000 Millionen Tonnen in den Weltmeeren liegen. Ein Teil dieses Mülls zirkuliert in fünf grossen Müllstrudeln gefangen; andere Teile werden an Strände geschwemmt. Die Zahlen bewegen sich in Grössenordnungen, die unsere Vorstellungskraft übersteigen. Es gibt allerdings die fassbarere Angabe, dass weltweit stündlich über 330 Tonnen Plastikmüll direkt oder indirekt im Meer landen.
Müssten solche Angaben uns nicht ermuntern, Plastik nicht gedankenlos zu unserem Konsumgut zu machen? Irgendwo müssen wir ja beginnen. Diesen jungen Menschen auf dem Bildschirm vor Augen, darf man an der Hoffnung festhalten, dass insbesondere die jüngere Generation für einen sorgfältigeren Umgang mit diesem Problem sorgen wird.