Unsere liebsten Skandale

Elisabeth Kopp, die Fichenaffäre, P-26 und nun die Affäre Hildebrand – will sich eine Gesellschaft weiterentwickeln, ist sie auf Skandale angewiesen.

Unschöner Abgang. Nach einem verhängnisvollen Telefonat mit ihrem Ehemann Hans W. Kopp trat Elisabeth Kopp 1989 aus dem Bundesrat zurück. Ein exemplarischer Skandal für die Schweiz. (Bild: Keystone)

Elisabeth Kopp, die Fichenaffäre, P-26 und nun die Affäre Hildebrand – will sich eine Gesellschaft weiterentwickeln, ist sie auf Skandale angewiesen.

Atmen wir kurz durch und denken über den Fall Hildebrand nach. Ohne das Ende der Geschichte zu kennen, lässt sich bereits heute und aus einer gewissen Distanz feststellen: Was für ein herrlicher Skandal! Diese Geschichte hat sämtliche Bestandteile, die eine gute Geschichte braucht. Unvorhersehbarkeit, Spannung, Dynamik. Und Protagonisten, die man sich kaum besser ausdenken könnte. Ein schillernder, schwerreicher Notenbanker und seine ebenso schillernde Frau, die es mit der Moral nicht so genau nehmen. Eine schwerreiche Clique rechtskonservativer Politiker, deren Beweggründe so missionarisch wie unergründlich sind. Eine Regierung, die nicht immer sagte, was sie wusste, und nicht immer wusste, was sie sagte. Graue Funktionäre in einem grauen Gremium namens Bankrat, die plötzlich nervös werden. Informanten mit zweifelhafter Reputation und noch zweifelhafterer Wortwahl. Lügner und Beschwichtiger. Täuscher und Vertuscher. Und schliesslich: eine ganze Heerschar von aufgeregten Journalisten, die jedes Detail dieser verworrenen Geschichte so schnell wie möglich in die Welt posaunen.

Möglicherweise wird eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) den Abschluss der Geschichte krönen. Unklar ist dagegen heute noch, wie sich die Affäre Hildebrand in die historische Ahnengalerie der Schweizer Skandale einreihen wird. Ist die Affäre rund um Philipp Hildebrand überhaupt vergleichbar mit dem Spion Jeanmaire (1976/77), der mit den Sowjets kollaborierte? Dem erzwungenen Rücktritt von Elisabeth Kopp (1989)? Dem Fichenskandal (1989/90) oder der enttarnten Geheimarmee P-26 (1991)?

Bruchstellen der Gesellschaft

Unbedingt seien die Affären vergleichbar, sagt Historiker Thomas Maissen, der die verschiedenen politischen Skandale in seinem Standardwerk «Geschichte der Schweiz» aufgearbeitet hat. Maissen, der an der Universität Heidelberg Geschichte lehrt, denkt dabei in erster Linie an den Rücktritt von Elisabeth Kopp. Beide Rücktritte, jener von Kopp und jener von Hildebrand, seien in ihrer inneren Struktur «typisch schweizerisch». «Im Gegensatz zum umliegenden Ausland wird in der Schweiz die Trennlinie zwischen Wirtschaft, Politik, Privatheit und Öffentlichkeit nicht so scharf gezogen.»

Das Milizsystem, einer der Grundpfeiler der Schweizer Gesellschaft, habe viele Vorteile – produziere aber eben auch häufig Skandale. Wo im Ausland die Politiker mit 25 Jahren ihren Technokraten-Dienst antreten und dabei bleiben, ist in der Schweiz ein Wechsel der Laufbahn spielend möglich. Banker wird Bundesrat, Bundesrat wird Verwaltungsrat, Politiker wird Wirtschaftsführer – die Grenzen sind fliessend, die Übergänge unscharf, die alten Beziehungsnetze verlockend.

Positive Folgen

Schlimm sei das nicht, sagt Mais­sen. Weder der Fall Kopp noch die Affäre Hildebrand – im Gegenteil: «Moderne Gesellschaften haben Skandale nötig. Sie zeigen Bruchstellen auf und ermöglichen mit der öffentlichen Thematisierung die Lösung eines Problems.» Im Fall von Elisabeth Kopp war das die im Verlauf der Untersuchung aufgedeckte Fichenaffäre, bei Philipp Hildebrand werden es die angepassten Regeln für Eigengeschäfte des Nationalbank-Direktoriums sein.

Natürlich geht diese Aufarbeitung nicht ohne Schmerzen vonstatten, natürlich hinterlässt jeder Skandal Opfer. Der Fall Kopp etwa läutete das Ende des Freisinns als dominanter Kraft der Schweiz ein, der Fall Hildebrand wird wohl noch mehrere Funktionäre das Amt kosten. Aber in der Bilanz hat bisher jeder Skandal des 20. Jahrhunderts die Schweiz weitergebracht.

Eine spezielle Rolle in der Aufarbeitung der verschiedenen Skandale haben immer auch die Medien gespielt. Sie wachsen an ihrer Aufgabe, wachsen an jedem Skandal. Selten wurde ihre Rolle derart intensiv und breit thematisiert wie im Fall Hildebrand. Der emeritierte Medienprofessor Roger Blum kann das nur begrüssen. Es sei auch den Medien zu verdanken, dass Skandale in der Schweiz überhaupt ans Licht kämen. «Bis in die 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es keinen investigativen Journalismus in der Schweiz. Und dementsprechend viele unentdeckte Skandale.»

Nicht verwerflich

Das Verhalten der «Weltwoche», deren überzogene Gauner-Berichterstattung im Fall Hildebrand kontrovers diskutiert wird, findet Blum nachvollziehbar. Es habe eine gewisse Tradition, dass politische Skandale von der Opposition gesteuert würden. «Im Österreich der 70er-Jahre deckte das Magazin «Profil» zahlreiche Skandale nur mit der Hilfe der SPÖ auf.»

Und aus diesem Grund ist es für Roger Blum im aktuellen Fall auch nicht weiter verwerflich, dass sich die «Weltwoche» von der SVP und Christoph Blocher hat alimentieren lassen. Allerdings sei die Art der Präsentation nicht unbedingt «comme il faut» gewesen. Dennoch: «Diese Geschichte hätte ich auch gemacht. Sie hat eindeutig Skandalpotenzial.»

Quellen

Kurze Übersicht der angesprochenen Skandale auf Wikipedia: Elisabeth Kopp, P26, die Fichenaffäre und Jeanmaire.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13/01/12

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