Unsere Pharma – die letzte Bastion des gepflegten Polit-Lobbyismus

Nach Carlo Contis Abschied befürchtet die Pharma ein «Machtvakuum». Sie jammert dabei auf hohem Niveau. Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen ist die politische Vertretung der Branche stärker denn je.

Die Pharma-Branche weint Regierungsrat Carlo Conti nach. Einen Grund zur Klage hat sie aber nicht. (Bild: GEORGIOS KEFALAS)

Nach Carlo Contis Abschied befürchtet die Pharma ein «Machtvakuum». Sie jammert dabei auf hohem Niveau. Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen ist die politische Vertretung der Branche stärker denn je.

Für schweizerische Verhältnisse kam die Verabschiedung von Carlo Conti durch die führenden Köpfe der hiesigen Pharmabranche jener kollektiven Trauer verdächtig nahe, mit der sich die Nordkoreaner nach dem Tod ihres Geliebten Führers Kim Jong-il weinend und schreiend in den Staub von Pjöngjangs Strassen warfen. «Der Abgang Contis ist ein Verlust für die Region und die Pharmaindustrie», sagte Pascal Brenneisen, Chef Novartis Schweiz, der «Basellandschaftlichen Zeitung» (online nicht verfügbar). «Carlo Conti ist der Exekutivmann aus unserer Region, der mit Abstand am meisten Gewicht in Bundesbern hat», ergänzte Thomas Cueni, Generalsekretär von Interpharma, dem Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen in der Schweiz, in einem Artikel der «Basler Zeitung» mit dem vielsagenden Titel «Conti hinterlässt ein Machtvakuum in Bern».

Die Klage kommt auf den ersten Blick nicht von ungefähr. Der Basler Regierungsrat hatte sich in seinen 14 Amtsjahren strategisch geschickt positioniert. Als Chef der Gesundheitsdirektoren-Konferenz und als Verwaltungsrat des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic bestimmte er auf nationaler Ebene die Debatten im Gesundheitswesen mit. Und tat das natürlich mit einer unversteckten Sympathie für die Pharmabranche, in der er selber gross geworden war. Bis zu seiner Wahl in den Regierungsrat im Jahr 2000 war Conti stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung der Roche.

Der Nachfolger steht parat

Auf den zweiten Blick klagen die Vertreter der hiesigen Pharmabranche allerdings auf einem hohen Niveau. Mindestens auf lokaler Ebene muss sich die Pharma um ihren Einfluss nicht sorgen. Als designierter Nachfolger von Conti steht Lukas Engelberger bereit; und der ist – sieht man vom fehlenden Schnauz ab – eine eigentliche Kopie von Conti. Engelberger arbeitet auf der Rechtsabteilung der Roche, Engelberger ist CVP-Grossrat, Engelberger ist CVP-Präsident. Genau wie Conti vor seiner Wahl. «Ein Regierungsrat, wie ihn die Basler sich wünschen», schrieb die «Schweiz am Sonntag» vor einer Woche (online nicht verfügbar), «nicht zu rechts, nicht zu links, nicht zu forsch. Dabei: pharmafreundlich.»

Engelberger wird sich offiziell erst in der letzten Januarwoche entscheiden, ob er für das Amt kandidieren will, und gibt sich in Gesprächen vor diesem Zeitpunkt alle Mühe, den Anschein eines tatsächlichen Entscheids zu wahren. Dabei ist heute schon alles klar.

Auch wenn er darauf leicht irritiert reagiert: «So läuft das nicht in einer Demokratie», sagt Engelberger. Und spricht dann doch über Dinge, die durchaus prospektiv zu verstehen sind. «Die Pharma hat keinen fixen Sitz in der Regierung. Niemand hat das. Dass ich wie Carlo Conti vor seiner Wahl in den Regierungsrat bei der Roche angestellt bin, ist ein Zufall.» Die Politik, seine Politik, bestehe aus mehr als aus einer Branche. «Trotzdem ist es wichtig, dass die Interessen der Pharmabranche in der Politik zur Kenntnis genommen werden. Sie ist nicht nur wichtig für unseren Kanton. Sie ist auch wichtig für unser Land – und das wird manchmal unterschätzt.»

Nachwuchs im Grossen Rat

In Basel, so viel ist auch nach dem unfreiwilligen Abgang von Carlo Conti klar, wird die Branche nicht unterschätzt. Und sie kann sich auch nicht über mangelnden Nachwuchs in der Politik beklagen. Der Basler FDP-Präsident und Nationalrat Daniel Stolz hat kürzlich seinen Rückzug aus dem Grossen Rat angekündigt. Erster Nachrückender ist Stephan Mumenthaler. Nach Stationen in den USA und in Deutschland arbeitet der gelernte Ökonom heute als Leiter Wirtschaftsfragen und «Swiss Public Affairs» bei der Novartis, «wo ich mich ebenfalls für einen starken und zukunftsträchtigen Standort Schweiz einsetze», wie auf seiner Homepage nachzulesen ist.

Mumenthaler lässt dabei keinen Zweifel daran, wie wichtig seine eigene Branche für diesen Standort ist. In einem Vortrag über die «Bedeutung der pharmazeutischen Industrie für Metrobasel und die Schweiz» führte er vor drei Jahren an der Uni Basel aus, dass der unternehmerische Erfolg seiner Branche nicht nur «durch sein umfangreiches Portfolio an innovativen Produkten ermöglicht wird, sondern auch durch eine innovations- und unternehmensfreundliche Umgebung».

An dieser unternehmensfreundlichen Umgebung wird Mumenthaler nun als Grossrat selber mitarbeiten können. Er selber sagt, dass er auf gewisse Synergien hofft. «Ich kümmere mich heute schon im Betrieb um politische Beziehungen.»

Antizyklisch

Mit ihrem blühenden politischen Nachwuchs verhält sich die Pharmabranche antizyklisch im Vergleich zu anderen Schweizer Wirtschaftszweigen. Seit zwanzig Jahren ist ein eigentlicher Abschied der Wirtschaft aus der Politik festzustellen. Die Firmen werden globaler, die Verwaltungsräte werden globaler, die Probleme werden globaler. Ein Abbild davon ist die freisinnige Partei, deren Niedergang parallel zum Abschied der Wirtschaft gelesen werden kann.

«Auch die Pharmabranche ist globaler geworden», sagt Roland Schlumpf von der Interpharma, «aber im Gegensatz zu anderen Branchen haben die wirklich Grossen hier ihren Heimatsitz und sind auf entsprechend gute Rahmenbedingungen angewiesen.» Zwar betonen die Pharmaleute Engelberger und Mumenthaler, dass es ihr ureigener Entscheid gewesen sei, Politik zu machen und sie nicht etwa dazu aufgefordert wurden. Aber das war auch gar nicht nötig: Heute ist es schon ein Signal, wenn ein Arbeitgeber ein öffentliches Mandat überhaupt goutiert.

Diese Kultur des gesellschaftlichen Engagements sei in der Pharmabranche auch heute noch weit verbreitet, sagt Marcel Sennhauser, Sprecher des Wirtschaftsverbands Scienceindustries: «Die Unternehmen halten ihre Mitarbeiter an, sich politisch zu engagieren. Das ist in einem direktdemokratischen System zentral.» Nur wer aktiv am öffentlichen Leben teilhabe, könne dieses Leben mitgestalten und seine Interessen transportieren. «Die Pharmabranche hat ein Umfeld geschaffen, das diese Teilhabe begünstigt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es der Branche auch gut geht. Nur dann kann man auch die Leute dafür abstellen.»

Alle anderen

Der Nachwuchs für das Polit-Lobbying der Pharma kommt allerdings nicht nur aus den eigenen Reihen. Fürsprecher finden sich auch an Orten, an denen man sie nicht vermuten würde. Seit Rot-Grün die Mehrheit in der Basler Regierung hat, sind so etwas wie Berührungsängste im linken Lager nicht mehr spürbar. Ob beim Bau des Campus, beim Kampf um ein neues Unternehmenssteuermodell oder bei der Kraftprobe mit Bundesrat Alain Berset (SP) wegen den zu hohen Medikamentenpreisen: Auch die SP-Regierungsräte in der Basler Regierung stehen wie ein Mann hinter ihrer Pharma und stellen sich dabei auch regelmässig gegen ihre nationale Partei, wo die Pharma ein ewiger Gegner ist.

Pharma-Fanclub

Beim letzten Beispiel, den Medikamentenpreisen, sah man kürzlich auch, dass die Vertretung in Bern für die Pharma nicht so schlecht ist, wie sich die Basler das manchmal vormachen. Unter wackerem Einsatz der regionalen Nationalrätinnen und Nationalräte konnte der Streit zwischen Berset und der Branche zum Wohlgefallen aller gelöst werden. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die von SVP-Nationalrat Sebastian Frehner präsidierte Parlamentariergruppe «Region Basel». Ein eigentlicher Pharma-Fanclub, der den Widerstand gegen die Preissenkungen vorbildlich organisierte.

Nein, die Pharma kann sich tatsächlich nicht über zu wenig Zuwendung beklagen. Sie hat Carlo Conti zwar laut nachgeweint. Wirklich vermissen wird sie ihn aber nicht müssen.

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