Variationen des Widerspruchs

Möglicherweise bewirkt der Datenklau aus der Bank Sarasin Verbesserungen bei internen Regelungen der Nationalbank. Bemerkenswert am Fall ist aber, wie Akteur Christoph Blocher widersprüchlich handelt, um seinem Intimfeind Philipp Hildebrand eins auszuwischen. Doch das hat System.

Im Zentrum einer bösen Geschichte: das Ehepaar Philipp und Kashya Hildebrand. (Bild: Sabine Wunderlin/SonntagsBlick)

Möglicherweise bewirkt der Datenklau aus der Bank Sarasin Verbesserungen bei internen Regelungen der Nationalbank. Bemerkenswert am Fall ist aber, wie Akteur Christoph Blocher widersprüchlich handelt, um seinem Intimfeind Philipp Hildebrand eins auszuwischen. Doch das hat System.

Das Schweizervolk der «Manne u Froue» und ihre diversen Leibblätter sind bis in die Leserbriefspalten für einen kurzen Moment perplex gewesen, dass jemand, der ansonsten für die Hochhaltung des Bankgeheimnisses und gegen den Datenklau ist, selber vertrauliche Bankunterlagen nutzt, um jemanden zu diskreditieren. Und dass dieser Jemand zugleich eine wichtige schweizerische Institution, die Nationalbank, angreift, obwohl er vorgibt, sich für eine starke Schweiz einsetzen zu wollen. Und dass der gleiche Mann die Souveränität der Schweiz gegen aus­sen ständig im übervollen Mund hat, die Souveränität gegen innen, die es nämlich auch gibt und geben muss, dagegen systematisch kaputt zu machen versucht.

Widersprüchlicher Christoph Blocher und damit auch widersprüchliche SVP? Klar, uns kommen schnell ein paar Dinge in den Sinn, die diesen Eindruck bestätigen. Die Hauptwidersprüche: Dass diese Partei permanent an die Konkordanz appelliert, aber Konflikt und Kampf betreibt. Dass sich ein paar Ganzgrosse und Mittelgrosse (nicht nur der Schlossherr von Reichenau) im Namen von Mittelkleinen und Ganzkleinen für Unternehmerfreiheit einsetzen. Dass sie fehlende Integration von Zugewanderten beklagen und zugleich Integrationshilfe grundsätzlich ablehnen. Und dass das ganze Land mit einer gigantischen Propagandadampfwalze überrollt wird, was unter Berufung auf Meinungsfreiheit und Demokratie geschieht.

Hier das – dort das Gegenteil

Kommen zahlreiche kleinere Widersprüche hinzu. Etwa: dass der Politiker Christoph Blocher die Neutralität als heiliges Prinzip preist, der Justizbundesrat Blocher aber mit den USA 2006 ein Geheimdienstabkommen abschliesst. Dass man in der Theorie (oder Ideologie) Gemeindeautonomie und Kantonsföderalismus als heiliges Gut preist, in der Politpraxis aber mit Initiativen wie im Falle der Einbürgerungen und der Minarette gesamtschweizerische Einheitslösungen anstrebt. Dass Blocher das Rütli gerne als Arena braucht (so etwa 2005), aber, wenn Kollegin Calmy-Rey Ähnliches tut (2007), dies dann als «Theater» (2007) einstuft. Dass der kritischen Geschichtsschreibung die Objektivität abgesprochen wird und selbst hemmungslos subjektive Geschichtsbilder (zum Beispiel mit Neujahrsansprachen über «grosse Schweizer») unters Volk gebracht werden. Dass Blocher über Juden loszieht und sich selbst als diskriminierten «Juden» stilisiert. Dass er Licht in dunkle Affären zu bringen vorgibt, aber ein Jahr lang bezüglich der BaZ-Besitzverhältnisse eine ganze Region (und den Rest der Welt) im Dunkeln lässt. Und anderes mehr.

Patriotische Tat

Dieser Wahrnehmung ist einiges kritisch entgegenzuhalten: Ob etwas widersprüchlich ist, hängt von der Logik ab. Im konkreten «Fall Hildebrand», kann der Widerspruch leicht aufgelöst werden. Obwohl speziell im SVP-Milieu schnell von «Verrat» und insbesondere von der «Verräterin» aus dem Bündnerland gesprochen wird, feiert man es als patriotische Tat, wenn unter Verletzung von Berufs- und Amtsgeheimnissen Missstände verraten werden. Dies allerdings nicht nur und vielleicht nicht einmal prioritär im öffentlichen Interesse, sondern um politische Gegenspieler zu schädigen. Logisch. Andererseits sei anerkannt, dass dieser neueste Fall von Whistleblowing (nach demjenigen im Zürcher Sozialamt) zu einer wahrscheinlich fälligen Verbesserung interner Regeln der Nationalbank führt.

Der Vorfall gibt Gelegenheit, sich bewusst zu machen, dass Widersprüchlichkeit zu den Grundzügen wohl der Politik schlechthin gehört. Freilich gibt es Abstufungen. Und es ist offensichtlich, dass autoritär daherkommende Politik eher zu Widersprüchen neigt und sich nicht um die von ihr produzierten Widersprüche kümmert, weil immer absolut zählt, was im Moment absolut verkündet wird, ohne wie Shakespeares armer Hamlet von des Gedankens Blässe angekränkelt zu sein. Bedenkenlosigkeit, Unverfrorenheit – das kann auch Stärke bedeuten. Wegen ihrer eigentlich unangebrachten Selbstsicherheit mögen die SVP-Widersprüche krasser und darum offen­sichtlicher sein. Das heisst nicht, dass andere Parteien nicht auch ihre Widersprüche haben.

Widersprüchlichkeit ist zwar ein gerade in öffentlichen Debatten gerne eingesetzter Vorwurf. Im Volksmund heisst das dann beispielsweise, dass man Wasser predige und Wein trinke. Als Skandal wird empfunden, wenn Tatbestände allzu offensichtlich herrschenden Normen oder Gesetzen widersprechen. Dennoch können wir nicht davon ausgehen, dass Widersprüchlichkeit – vor allem in ihrer rhetorischen Ausprägung – sozusagen automatisch der Glaubwürdigkeit schadet. Wer glaubt, ist kaum zugänglich für Kritik, und sieht sich, weil die Kritik aus Gegenlagern kommt, in seiner Grundüberzeugung geradezu bestätigt.

Vieles ist nicht widersprüchlich, wenn es widersprüchlich erscheint: Wenn etwa manchmal geredet und manchmal laut geschwiegen wird, wie Blocher es völlig zu Recht für sich in Anspruch nimmt. Auch nicht widersprüchlich ist, wenn ein Führer als einfacher Mann des Volkes und zugleich als gewaltiger Übermensch verehrt wird. Es ist auch überhaupt nicht widersprüchlich, wenn man andere mundtot machen möchte und für sich selbst Redehoheit beansprucht. Und leider ist es kein Widerspruch, wenn man wirtschaftlich internationalistisch eingestellt ist, politisch aber nationalistisch.

Mehr Gelassenheit

Scheinbare oder tatsächliche Widersprüche geben den Medien die Gelegenheit, mit zwiespältiger Aufmerksamkeit für Aufregung zu sorgen. Der Neujahrsredner Blocher hat – widersprüchlich – die Medienaufmerksamkeit, konkret die an seiner berühmten Lippe hängenden Mikrophone, als überflüssig abgetan und gleichzeitig sichtlich genossen. Angesichts dieser zumeist kurzatmigen Überbeachtung wäre oder ist mehr Gelassenheit am Platz. Dazu gehörte auch, etwas weniger auf den Volkstribun von Herrliberg fixiert zu sein.

Dies sei am Schluss eines Artikels gesagt, der den Eindruck erweckt, dass er Zeile um Zeile das Gegenteil praktiziert. Das ist das Dilemma, dass man schlecht schweigend sagen kann, dass man mehr schweigen sollte. Sich selbst und allen Beteiligten kann man aber unter Beizug des Schriftstellers Conrad Ferdinand Meyer (für die nächste Neujahrsansprache: ein weiterer «grosser Schweizer») ein gnädiges Urteil zukommen lassen: «Ich bin kein ausgeklügelt Buch, ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.» Das sei aber kein Freipass im Produzieren und Übersehen von Widersprüchen. Wir sollten diese wahrnehmen und dann entscheiden, was von ihnen zu halten ist. Voraussetzung ist allerdings, dass man ein waches Gedächtnis hat und dass man so etwas wie ein Historiker, eine Historikerin der eigenen, weit gefassten Gegenwart ist.

Georg Kreis ist emeritierter Professor für Geschichte der Uni Basel

Quellen

Christoph Blocher auf «Teleblocher» über die Judenverfolgung.

Das Schweigen von Blocher nach seiner Neujahrsansprache.

Georg Kreis über das Rütli.

Zitaten-Sammlung von Conrad Ferdinand Meyer.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 06/01/12

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