Verhüllte Muslimfeindlichkeit

Das im Kanton St. Gallen per Volksabstimmung eingeführte Verhüllungsverbot ist ein unaufrichtiges Gesetz. Es verstösst gegen das liberale Verständnis der Gesellschaft, das es zu schützen vorgibt. 

Vom Burka-Entscheid im Olma-Kanton will nun das berüchtigte «Egerkinger-Kommitee der Muslimfresser» zehren.

Es geht nicht um Fussball. Wäre das der Fall, könnte man sich eher über den «gloriosen» FCB unterhalten. Es geht um die kantonale Abstimmung vom 23. September über das Verhüllungsverbot. 72 Prozent der rund 36 Prozent, die sich an diesem Plebiszit beteiligt haben, also mehr als zwei von drei Teilnehmenden, halten es für richtig und gut, dass angezeigt und bestraft werden soll, wer sein Gesicht verhüllt und damit «die öffentliche Sicherheit oder den religiösen oder gesellschaftlichen Frieden bedroht oder gefährdet».  73’830 Bürgerinnen und Bürger in absoluten Zahlen sehen das so.

Das Verdikt hat eine lange Vorgeschichte. Ihm geht insbesondere ein entsprechender Beschluss des Kantonsrats im November 2017 voraus – mit 57 gegen 55 Stimmen bei zwei Enthaltungen. Das war der Entscheid eines Organs, das eigentlich mehr Besonnenheit erbringen sollte als eine Volksabstimmung.

Dass die politische Rechte (SVP) diese Regelung anstrebte, ist nicht erstaunlich. Befremdend dagegen ist, dass eine Parlamentsmehrheit mit der CVP zustande kam. Die FDP und das links-grüne Lager waren dagegen.

Das Abstimmungsergebnis ist eine dreifache Schande. Erstens verstösst ein staatliches Kleidungsverbot gegen das liberale Gesellschaftsverständnis und macht genau das, wogegen es anzukämpfen vorgibt. Zudem wird es ausgerechnet von einer Seite gefordert, die sich sonst gerne für «weniger Staat» ausspricht. Zweitens ist es ein unaufrichtiges Gesetz, weil es nicht offen deklariert, worauf es zielt, sondern das Anvisierte nur «verschleiernd» formuliert. Das Anti-Burka-Gesetz ist selber eine Burka.

Der St. Galler Justiz- und Polizeidirektor erklärte, im Kanton noch nie eine Burkaträgerin gesehen zu haben.

Und drittens ist das Gesetz lausig formuliert. Das hat auch der St. Galler Rechtsprofessor Bernhard Ehrenzeller mit deutlichen Worten festgehalten. Abgesehen davon, dass es nun der Polizei zur Aufgabe gemacht wird, auf der Strasse diese scheinbare Gefährdung aufzugreifen und Verfahren einzuleiten, gibt es die grundsätzliche Frage, ob ein einzelnes Individuum (eine Frau in Burka) den gesellschaftlichen Frieden überhaupt bedrohen oder gefährden kann.

Diese Frage ist aber viel zu konkret, geht es doch vielen Befürwortern des neuen Gesetzes einzig darum, mit Symbolpolitik ein Signal gegen den Islam im Allgemeinen auszustrahlen. Wie bei der Anti-Minarett-Initiative.

Das Abstimmungsresultat wird da und dort beschwichtigend als Ausdruck von «generellem Unbehagen» gedeutet und grosszügig als psychohygienisches Ventil abgetan. Dieser Ausgang ist aber, wie gesagt, eine Schande und stellt einmal mehr der direkten Demokratie ein miserables Zeugnis aus.

Der St. Galler Justiz- und Polizeidirektor Fredy Fässler (SP) dürfte ähnlicher Meinung sein. Er erklärte, im Kanton noch nie eine Burkaträgerin gesehen zu haben.

Tessin büsst Fussball- und Hockeyfans

Die Auseinandersetzung geht weiter, und man darf, man muss ein solches Zwischenurteil einer kritischen Beurteilung aussetzen und es nicht, weil es von einer Mehrheit kommt, als Gottesurteil hinnehmen. Die Rechtfertiger solcher Fehlleistungen entziehen sich gerne einer inhaltlichen Bewertung, indem sie sich, wie bei der Anti-Minarett-Initiative geschehen, auf den Standpunkt stellen, bloss ein verbrieftes demokratisches Recht genutzt zu haben.

Mit einem Blick von aussen können wir uns – besorgt – fragen, was in St. Gallen los ist. Wird der Bratwurst- und Olma-Kanton demnächst von Burkaträgerinnen heimgesucht? Oder haben die Menschen ganz im Osten des Landes ein anderes Problem?

Sie sollten sich bewusst sein, dass Abstimmungsverhalten immer auch ein Zeugnis ist, eine Selbstdarstellung im Moment und rückblickend in der Geschichte. Eine Gemeinschaft präsentiert sich auf diese Weise, und das in ernsteren Dingen als in der Formstärke oder -schwäche eines lokalen Fussballklubs.

St. Gallen ist nicht alleine. Ihm ist der Kanton Tessin vorausgegangen, eine Gegend der Schweiz, deren Bewohner im Fremd- sowie im Selbstbild als «lustiges Völklein» (popolo allegro) stereotypisiert werden. Warum ausgerechnet das Tessin 2016 mit einem Verhüllungsverbot vorangegangen ist, bleibt «schleierhaft». Jedenfalls kann es keine Reaktion auf häufige Begegnungen mit Burkaträgerinnen gewesen sein. Im Juni 2018 kam der Befund: Im laufenden Jahr habe man keine einzige «Muslima» bestrafen müssen, zehn von elf Verfahren hätten sich gegen Fussball- und Eishockeyfans gerichtet.

Es gibt aber auch andere kantonale Vorbilder: Im Mai 2017 lehnte die Glarner Landsgemeinde im Verhältnis von 2:1 ein von SVP-Seite gefordertes und mit Sicherheitsinteressen begründetes Verhüllungsverbot ab. Hier stellt sich die Frage: Warum «tickt» dieser Kanton anders als etwa das Tessin?

Gegenvorschläge sind oft unerfreulich, weil sie anstelle von etwas ganz Schlechtem etwas weniger Schlechtes einführen.

In Glarus war ein ablehnendes Nebenargument, dass man eine gesamtschweizerische Lösung abwarten sollte. In St. Gallen dürfte es Befürworter des Verbots geben, die gerade anders herum argumentieren: Mit dezidierter Zustimmung will man den eidgenössischen Weg vorpfaden.

Das berüchtigte Egerkinger-Komitee der Muslimfresser, auf das bereits das Minarettverbot zurückzuführen ist, hat der Schweiz bekanntlich eine entsprechende Initiative beschert. Das Begehren hat die Gesichtsverhüllung aus religiösen Gründen an öffentlich zugänglichen Orten im Visier (ausser in Sakralstätten). Es dämpft seine muslimfeindliche Spitze, indem es die Repression auf die Vermummung an Demonstrationen ausdehnt, welche die Identifikation von Gewalttätern unmöglich macht.

Über diese Volksinitiative wird man 2020 abstimmen müssen. In der Vorberatung könnte die CVP wiederum in unguter Weise das Zünglein an der Waage spielen. Der Bundesrat lehnte bereits Ende 2017 ein nationales Verhüllungsverbot ab. Vor den Sommerferien dieses Jahres hat er sich mit einem indirekten Gegenvorschlag für alternative Massnahmen auf Gesetzesebene ausgesprochen und diesen in Vernehmlassung geschickt, die demnächst (am 18. Oktober) zu Ende geht.

Eine Soft-Variante könnte dahin gehen, dass bei Behördenkontakten, insbesondere vor Gerichten und bei fremdenpolizeilichen Registrierungen oder generell in Amtsräumen eine Enthüllungspflicht eingeführt wird. Zudem soll jeder Zwang zur Verhüllung unter Strafe gestellt werden, was grundsätzlich zu begrüssen wäre. Inzwischen heisst es, dass ausgerechnet das schlechte St. Galler Gesetz zum Vorbild genommen werden könnte.

Gegenvorschläge sind oft unerfreulich, weil sie anstelle von etwas ganz Schlechtem einfach in entgegenkommender Weise etwas weniger Schlechtes einführen. So erreichen Initiativen dennoch einen Teil ihres Ziels. Das kann, muss aber nicht dazu führen, dass die weiter greifenden Initiativen zurückgezogen werden. Gemäss dem Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann, gewissermassen der Egerkinger-Obmann, kommt das im Falle des angestrebten Burkaverbots nicht infrage.

Zugespitzte Forderungen zu marginalen Erscheinungen

Befürworter eines Burkaverbots können, obwohl sie handkehrum gerne den Schweizer Sonderfall verteidigen, darauf hinweisen, dass es im Umfeld der Schweiz dieses Verbot schon seit Längerem gibt, insbesondere in Frankreich seit 2011. Und dass sogar der ansonsten gerne verteufelte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EMGR) die deswegen aus Frankreich und Belgien eingereichten Klagen abgelehnt hat.

Ein absolutes Randproblem wird in hohem Mass als generellere Einstellungsfrage gehandhabt.

Weitere Ausmarchungen werden auch in der Schweiz stattfinden. Und man könnte leichthin sagen, dass dies ja gut sei und die Demokratie davon lebe. Dabei besteht ein Hauptproblem darin, dass erneut ein absolutes Randproblem in hohem Mass als generellere Einstellungsfrage gehandhabt wird – nämlich ob man den Islam als Bedrohung einstuft.

Die Burka-Sache ist nur eine vorgeschobene Angelegenheit. Dahinter steht das Bestreben, auch die Kopftücher in Schulen zu verbieten. Das war in St. Gallen auch schon Thema (mit ablehnendem Entscheid des Bundesgerichts von Dezember 2015) und im Wallis bis zu einer zustande gekommenen SVP-Volksinitiative gediehen, dann aber vom Kantonsparlament und vom Bundesgericht für ungültig erklärt worden.

Letzteres tat dies am 7. September in Bestätigung des Entscheids von 2015 und in der Einschätzung, dass ein solches Verbot gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit und damit gegen übergeordnetes Recht verstosse.

Statt mit zugespitzten Forderungen zu wirklich marginalen Erscheinungen die eigene Parteianhängerschaft ausbauen zu wollen, sollten die realen Integrationsfragen angegangen werden, auch wenn sie für die Mobilisierung von Wahlvolk weniger tauglich sind: Insbesondere die Ausbildung von Imamen, die mit den Gegebenheiten des Landes vertraut sind. Das wird von SVP-Seite unter anderem wohl darum kategorisch abgelehnt, weil damit ein Problem entfallen könnte, das sie gerne bewirtschaftet.

Sodann sind die Friedhofsordnungen zu thematisieren und insbesondere Voraussetzungen zu schaffen, dass die muslimische Religionsgemeinschaft die staatliche Anerkennung erlangen kann. Denn das stünde im Dienste demokratischer Strukturen, der Transparenz und des erwünschten staatsbürgerlichen Engagements einer religiösen Gemeinschaft, von der – anerkennend oder als grosses Schreckgespenst – gesagt wird, dass sie die drittgrösste des Landes sei.

https://tageswoche.ch/politik/geliebtes-feindbild-muslime-als-willkommene-gegner-fuer-die-retter-des-abendlandes/

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