Gut drei Monate nach der Einführung sorgt das Verkehrskonzept Innenstadt in Basel noch immer für viel Wirbel. Dabei hat sich für viele eigentlich nur sehr wenig geändert.
Es klingt ein bisschen wie ein Stossseufzer, wenn der Basler Sicherheitsdirektor Baschi Dürr auf Facebook schreibt: «Jä was jetzt? Zu viel oder zu wenig Autos in der Innenstadt? Beides gleichzeitig geht nicht. Das bringen nicht einmal wir doofen Behörden zustande …»
Dürr nimmt mit diesen Sätzen Bezug auf einen Artikel in der TagesWoche, in dem sich Anrainer des Rümelinsplatzes darüber beschweren, dass «ihr» Platz Tag für Tag mit Lieferwagen zuparkiert sei. Trotz oder gerade wegen des neuen Verkehrskonzepts Innenstadt, das zur Folge habe, dass Zufahrtsbewilligungen zu leicht erhältlich seien.
Anhaltend hitzige Diskussionen
Seit dem 5. Januar müssen Autos, Liefer- und Lastwagen einen Bogen um die Innenstadt machen – sofern sie nicht morgens bis 11 Uhr für den Güterumschlag unterwegs sind, unter eine Ausnahmeregelung fallen oder eine Sondergenehmigung vorweisen können.
Baschi Dürr nimmt mit seinem Facebook-Beitrag indirekt auch Bezug auf die Stimmen, die anders als die Anrainer des Rümelinsplatzes der Ansicht sind, dass die Vergabe von Zufahrtsbewilligungen viel zu streng und zu umständlich gehandhabt werde.
Rund drei Monate nach Einführung sorgt das Verkehrskonzept Innenstadt nach wie vor für zum Teil hitzige Debatten in Interessensverbänden, in den Medien und nicht zuletzt auch auf politischer Ebene.
Die Fronten blieben hart
Auch die Umfrage, welche die TagesWoche unter ihrer Leserschaft durchgeführt hat, bringt zum Teil stark abweichende Kommentare zutage. Während sich die einen darüber freuen, dass die Strassen voller Menschen seien, beklagen andere, dass die Stadt «verlassen und leblos» wirke. Während sich die einen darüber freuen, ungestörter mit der Tram oder dem Velo zum Einkaufen fahren zu können, geben andere trotzig zu Protokoll, dass sie jetzt erst recht nach Weil ausweichen würden.
Weitaus am häufigsten wird die Auffassung geäussert, dass sich unter dem Strich «nicht viel» oder sogar «gar nichts» geändert habe.
Zu früh für eine Zwischenbilanz?
Hat sich nun viel, zu viel, wenig oder kaum etwas geändert? Die TagesWoche hätte gerne in Erfahrung gebracht, welche Zwischenbilanz die beiden verantwortlichen Regierungsräte, Sicherheitsdirektor Baschi Dürr und Bau- und Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels ziehen.
Doch diese liessen durch ihre Mediensprecher ausrichten, dass es dazu noch zu früh sei. «Aus der Begleitgruppe, die die Umsetzung der Verordnung betreffend die ausnahmsweise Zufahrt zur Innenstadt begleitet, sind verschiedene Vorschläge zu aktuellen Fragestellungen eingegangen. Diese befinden sich zurzeit beim Justiz- und Sicherheitsdepartement in Prüfung. Ebenso stehen parlamentarische Vorstösse zur Umsetzung der Verordnung im Raum. Diesen Vorschlägen und Vorstössen möchten wir im Moment nicht vorgreifen», sagt der Mediensprecher des Justiz- und Sicherheitsdepartements Martin Schütz.
Bewilligungsprozedere vereinfachen
In der Begleitgruppe hat unter anderem der Geschäftsführer von Pro Innerstadt Basel, Mathias F. Böhm, Einsitz. Er setzt sich nach eigenen Angaben «mit Nachdruck» dafür ein, dass Detailhändler und das Gastgewerbe einfacher zu Zufahrtsbewilligungen kommen und die verantwortlichen Behörden mehr Kulanz walten lassen. «Wenn das Verkehrsregime etwas pragmatischer umgesetzt würde, wäre viel gewonnen, ohne dass dadurch mehr Autos durch die Innenstadt fahren würden», sagt Böhm. «Glauben Sie mir, die Unternehmer fahren nicht bloss aus Spass durch die Innenstadt.»
Seit Anfang Jahr müssen die Autos einen Bogen um die Innenstadt machen, sofern sie nicht eine der zahlreichen Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen können.
Wir ziehen in unserem Wochenthema eine erste Bilanz.
Nach Böhms Auffassung haben sich überdies verschiedene Fälle herauskristallisiert, die klare Mängel in der Verordnung offenbart hätten: «Dass es zum Beispiel für Reisecars grundsätzlich keine Möglichkeit gibt, eine Zufahrtsbewilligung zu bekommen, ist in keiner Weise nachvollziehbar», sagt er. Dasselbe Beispiel findet sich neben weiteren auch in einem politischen Vorstoss der LDP-Grossratsfraktion, die den Regierungsrat auffordert zu prüfen, «welche Verbesserungen des Zufahrtsregimes» sich «auf der Basis der Erfahrungen mit der neuen Verkehrsregelung» vornehmen liessen.
Auch wenn es seiner Ansicht nach noch an vielen Details zu feilen gibt, ist das neue Verkehrsregime für Böhm unter dem Strich ein Schritt in die richtige Richtung. «Die Innenstadt ist fussgängerfreundlicher geworden, damit aber der Mehrwert wirklich sichtbar wird, muss nun mit der Umgestaltung der Strassen und Plätze vorwärtsgemacht werden», sagt er.
Velolobby sieht Vorteile, aber …
Relativ nüchtern aber im Grundsatz positiv reagiert die Velolobby auf das neue Verkehrsregime: «Dass die Strecke zwischen Mittlerer Brücke und Marktplatz und die Rheingasse mit dem Velo neu im Gegenverkehr befahrbar sind, ist ein klarer Vorteil», sagt der Präsident von Pro Velo beider Basel, David Wüest-Rudin. Alles in allem sei das neue Verkehrskonzept aber kein Quantensprung. «Dass der Autoverkehr eingeschränkt wurde, bringt etwas mehr Sicherheit für die Velofahrer, der Konflikt mit dem Tramverkehr ist aber geblieben», sagt Wüest-Rudin.
Die Velo-Lobbyisten hätten es begrüsst, wenn der Veloverkehr während den Güterumschlagszeiten auch ausserhalb der grundsätzlich zugelassenen Routen erlaubt worden wäre. «Dieses Anliegen fand aber bei den Verantwortlichen kein Gehör», sagt Wüest-Rudin.
Eine Revolution ist das Verkehrskonzept Innenstadt nicht. Autofrei ist die Innenstadt keineswegs. Die wesentlichste Änderung liegt in der Sperrung der Kernzone für den Durchgangsverkehr. So ist die freie Autofahrt über die Mittlere Brücke (und weiter durch die Rheingasse) nicht mehr möglich, und auch die abendliche Auto-Tour über die Freie Strasse, Falknerstrasse, den Barfüsserplatz und den Steinenberg wurde gekappt. Entsprechend wurden auch die dortigen Parkplätze auf Allmend aufgehoben, die in absehbarer Zeit aber mit dem Neubau des Kunstmuseum-Parkings mehr als nur wettgemacht werden.
Viele Ausnahmebewilligungen
Trotzdem sind nach wie vor zahlreiche Autos, Lieferwagen und Lastwagen in der Innenstadt unterwegs. Besonders natürlich zu den Güterumschlagszeiten bis 11 Uhr morgens (früher war der etwas weiter gefasste Zubringerdienst bis 11.30 Uhr erlaubt). Dazu kommen während den Sperrzeiten all die Fahrten von Taxis, Hotelgästen und der öffentlichen Dienste, die keine Bewilligung benötigen und all jener, die sich ihre Zu- und Wegfahrten mit Kurz- und Dauerbewilligungen legitimieren lassen (Anwohnerschaft, Marktfahrer, Bauhandwerker bei unaufschiebbaren Verrichtungen, Transporte von verderblichen Waren etc.).
Das sind nicht wenige, wovon man sich vor Ort überzeugen kann und worauf auch die Anzahl der bislang erteilten Bewilligungen hindeutet. Seit dem 5. Januar wurden laut Auskunft von Polizeimediensprecher Andreas Knuchel rund 550 Dauer- und 1200 Kurzbewilligungen zum Befahren der Kernzone ausserhalb der Güterumschlagszeiten ausgestellt.
Klarere Regelungen
Die zahlreichen Ausnahmeregelungen und -bewilligungen lassen das neue Verkehrskonzept Innenstadt kompliziert erscheinen. In ihrem Grundsatz sind die Regelungen aber relativ simpel. Während die Kernzone früher einem Flickenteppich von unterschiedlichen Zufahrtsregelungen glich (vom Fahrverbot über temporäre Fussgängerzonen bis zu frei befahrbaren Achsen), existieren heute nur noch die drei Kategorien Fussgängerzone, Begegnungszone und Tramachsen. Sie beinhalten in erster Linie unterschiedliche Durchfahrtsberechtigungen für den Zweiradverkehr.
Oder wie sich Polizeisprecher Knuchel ausdrückt: «Grundsätzlich war vorher für Motorfahrzeuge alles erlaubt, was nicht verboten war. Heute ist, weil es sich eben um eine motorfahrzeugfreie Innenstadt-Kernzone handelt, alles verboten, was nicht erlaubt ist.»