Die Verhandlungen über ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien haben am Wochenende in Genf mit humanitären Themen begonnen. Dies soll den Weg für heiklere politische Fragen ebnen.
Erstmals seit Beginn des syrischen Volksaufstands im März 2011, der sich zu einem Bürgerkrieg mit bisher 130‘000 Toten entwickelte, haben am Wochenende Gespräche der Opposition und der Regierung im selben Raum stattgefunden. Die Delegationen sassen zwar im Uno-Sitz in Genf am selben Tisch, überliessen aber dem Sondergesandten der Uno und der Arabischen Liga, Lakhdar Brahimi, die Rolle des Vermittlers.
Auf der Tagesordnung standen zunächst humanitäre Fragen wie die Hilfsgüterlieferung für Notleidende vor allem in belagerten Orten wie Homs, lokale Feuerpausen und die Freilassung von Gefangenen. Diese Gespräche sollen das Vertrauen schaffen für die schwierigeren politischen Verhandlungen, die am Montag starten und zunächst bis Ende Woche geplant sind. Üblicherweise beginnen diplomatische Verhandlungen mit den Themen, über die es kaum Meinungsverschiedenheiten gibt, die schwierigsten Fragen werden am Schluss beraten. Zwischen den syrischen Konfliktparteien besteht weiterhin ein tiefes Misstrauen. Und auch während der Verhandlungen in Genf wurde in Syrien weitergekämpft.
Verhandlungsatmosphäre schaffen
Die humanitären Fragen sollen «eine Atmosphäre schaffen, um über das Hauptthema zu verhandeln, für das wir zusammengekommen sind», nämlich ein Ende des Krieges, sagte Brahimi vor den Medien. Zweifellos werde über die Verhandlungsgrundlage – die Erklärung der ersten Genfer Friedenskonferenz vom Juni 2012 – beraten. Die Situation sei aber sehr schwierig. «Wir gehen nicht schrittweise, sondern nur mit halben Schritten voran», räumte Brahimi ein. Langsam zu sein sei aber ein besserer Weg, um rasch voranzukommen, man könne nicht rennen bevor man gehen gelernt habe. Die Vertreter der syrischen Opposition und des Regimes sind sich uneinig über die Interpretation der Genfer Erklärung, die die Bildung einer Übergangsregierung zum Ziel hat.
Strittig ist vor allem, ob Machthaber Baschar al-Assad an einer Übergangsregierung beteiligt sein soll. In der vom Uno-Sicherheitsrat abgesegneten Erklärung heisst es, eine Übergangsregierung «könne aus Mitgliedern der bestehenden Regierung, der Opposition und weiteren Gruppierungen bestehen und solle auf der Grundlage eines gegenseitigen Einverständnisses gebildet werden».
Brahimis Vorgänger Kofi Annan sagte damals im Juni 2012, die Übergangsregierung werde durch Diskussionen und Verhandlungen geschaffen werden müssen. «Und ich bezweifle, dass die Syrer (…) Personen mit Blut an den Händen auswählen, die sie führen sollen», fügte er bei. Nach Angaben von Diplomaten versucht Brahimi Fortschritte bei humanitären Fragen zu erreichen, um innerhalb Syriens Vertrauen für den Verhandlungsprozess zu schaffen, bevor heiklere Themen diskutiert werden. Es ist laut Brahimi noch zu früh, um zu sagen, wie lange die Verhandlungen dauern werden. Beobachter gehen von mehreren Verhandlungsrunden aus.
Maximalforderungen
An der Eröffnungskonferenz am vergangenen Mittwoch in Montreux waren zunächst keine Kompromisse der beiden syrischen Konfliktparteien wahrzunehmen. Die Statements waren dieselben wie im Juni 2012, insbesondere was die politische Zukunft von Assad Frage betrifft, dessen Mandat im April ausläuft. Der syrische Aussenminister Walid al-Muallem überzog die Redezeit und erklärte, die Regierung sei nicht für den Krieg verantwortlich. Seine Delegation werde ausschliesslich über die Bekämpfung des Terrorismus verhandeln.
Das Regime bezeichnet alle Revolutionäre und Rebellen in Syrien als Terroristen. Der Chefunterhändler der Regierungsdelegation, Uno-Botschafter Baschar Dschafari, sagte allerdings vor den Medien, in Genf werde es einen syrisch-syrischen Dialog geben mit dem Ziel, die Genfer Erklärung als Paket umzusetzen. Ahmed Dscharba, der Delegationsleiter der oppositionellen Syrischen Nationalen Koalition, betonte in Montreux, er werde keine Gespräche darüber akzeptieren, Assad an der Macht zu belassen, der für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sei.
Dass Konfliktparteien zu Beginn von Verhandlungen, die von beiden Seiten schwierige Kompromisse erfordern, ihre Maximalforderungen kundtun, ist üblich. Diese Forderungen sind vor allem auch an das heimische Publikum gerichtet. Besonders wichtig ist das für die Vertreter der Syrischen Nationalen Koalition, die sich im Exil befindet. Wenn sie keine Absetzung von Assad fordert, gilt sie bei der Opposition innerhalb Syriens als Verräter. Mehrere Vertreter westlicher Staaten betonten denn auch in Montreux, es habe für diese Exilopposition Mut gebraucht, zu kommen. Brahimi hofft, dass sich künftig weitere Oppositionsgruppen an den Verhandlungen beteiligen, wollte dazu aber am Wochenende keine Angaben machen.
Hinter den Kulissen
Mitvertreten an den Syrienverhandlungen in Genf sind hinter den Kulissen auch die «Paten» mit dem jeweiligen Druck auf ihre Schützlinge, die USA für die Opposition und Russland für die Regierung. Wenn nötig beteiligen sich auch die übrigen Uno-Vetomächte Frankreich, Grossbritannien und China. Zudem werden die Botschafter Saudi-Arabiens, Katars und auch des Irans einbezogen. Da es sich bei diesen letzteren drei Staaten ebenfalls um Kriegsparteien handle, sei ihre Beteiligung an den Verhandlungen absolut notwendig, sagte Gabriel Galice, Präsident des Genfer Friedensforschungsinstitut GIPRI.
Die Aussenminister der USA und Russlands, John Kerry und Sergej Lawrow hatten im Mai 2013 beschlossen, die syrischen Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Uno spielt durch ihren Vermittler Brahimi nach Einschätzung von Galice nur eine ausführende Rolle.