Für viele junge Ägypter ist Sharm al-Sheikh das Sprungbrett zu einem besseren Leben. Das Ausbleiben der Touristen kostet tausende Arbeitsplätze. Wer noch Arbeit hat, klammert sich an die Hoffnung.
«Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich bis zum Jahresende hier bleiben», sagt Layla auf der fast menschenleeren Flaniermeile an der Corniche in Sharm al-Sheikh. Die Reiseleiterin aus Kairo ist am Tag nach der blutigen Auflösung der Pro-Mursi-Camps gleich ans Rote Meer verreist. Die Flugzeuge von der Hauptstadt nach Sharm al-Sheikh sind in diesen Tagen alle ausgebucht. Es sind ägyptische Familien, die der Gewalt für einige Tage entfliehen wollen. «Wenigstens ein Tapetenwechsel, und vielleicht beruhigt sich die Lage ja in einigen Tagen auch wieder», hofft Laylas Freundin.
«Zum Glück sind noch Ägypter und Araber hier. Touristen aus westlichen Ländern machen bei mir höchstens noch zehn Prozent des Geschäftes aus», sagt Islam, der einen öffentlichen Strand gepachtet hat. Deshalb ist auch die Auslastung von Hotel zu Hotel ganz unterschiedlich.
Triste Abendstunden
Der Concierge des Helnan Marina freut sich über eine Zimmerbelegung von 80 Prozent. Seine Kundschaft sind Ägypter, Araber und einige Russen. In andern Häusern herrscht gähnende Leere. In einigen Tagen wird sich das aber ändern. Anfang September beginnen in Ägypten und auch in den Golfländern die Schulen wieder. Dann ist der Exodus auch dieser Gäste unausweichlich. Das Loch, das die westlichen Touristen reissen, vermochten sie ohnehin nur zu einem kleinen Teil zu kompensieren.
Besonders trist sind die Abendstunden im Open-air-Ausgeh- und Vergnügungsviertel der «Perle am Roten Meer». Auch die laute Musik sorgt nicht für Stimmung. In mehreren Cafés ist die ägyptische Version von Table Dance zu sehen. Vier junge Männer in bodenlangen, weissen Galabeiyas verrenken sich auf einer kleinen Bühne zum Takt von Techno-Klängen. Trotz ihrer schweisstreibenden Bemühungen verirrt sich kaum jemand auf ihre Sofa-Kissen. Dort wo sich in guten Zeiten die Gäste um jeden freien Stuhl reissen, wird jetzt um jeden Gast geworben. Dutzende von Kellnern vertreiben sich gelangweilt die Zeit mit ihren Smartphones.
Kampf um jeden Gast
«Während Stunden kommt niemand in meinen Laden», beschreibt Karim die Situation in seinem Geschäft für Tauchartikel. Seit der Revolution im Januar 2011 sei der Trend negativ, unterbrochen nur von kurzen besseren Phasen. Die Hotels hätten ihre Preise drastisch gesenkt – mit der Folge, dass sich auch die «Qualität der Touristen» verschlechtert habe. Die meisten würden jetzt sehr viel weniger Geld ausgeben. Karim hat bis jetzt aber noch keinen seiner Angestellten entlassen. «Ich trage für sie die Verantwortung. Sie haben Familien, die sie ernähren müssen.»
Um jeden Gast wird gekämpft. Geschäfte und Restaurants überbieten sich gegenseitig mit Rabatten und Sonderaktionen. Dutzende Läden, vor allem in Nebenstrassen, haben bereits dicht gemacht. Besonders flau ist die Nachfrage nach Exkursionen ins Hinterland oder aufs Meer hinaus. Mehrere ausländische Tourismusunternehmen haben ihre Gäste gebeten, möglichst in den Hotelanlagen zu bleiben. Zudem sind die Informationen darüber, was überhaupt noch möglich ist – etwa ein Besuch des Katharinenklosters – widersprüchlich.
«Stadt des Friedens» hatte der gestürzte Präsident Hosni Mubarak – der jeweils viele Monate des Jahres hier verbracht hatte – Sharm al-Sheikh einst getauft, weil sie Schauplatz von vielen internationalen Konferenzen war. Jetzt bleiben auch die Konferenzzentren leer. Auf der Strasse des Friedens vom Flughafen zum Zentrum in Namaa Bay sind wie im Rest der Stadt keine politischen Parolen zu finden. «Ohne Fernsehen hätte man weder die Revolution noch die Ereignisse um den Sturz Mursis mitbekommen», sagt Karim, der auf keinen Fall über die aktuelle Politik reden will.
Kunstwelt Sharm al-Sheikh
Sharm al-Sheikh ist eine Kunstwelt und nicht mit einer normalen ägyptischen Stadt zu vergleichen. In der Lobby des Hotel Helnan hängt ein Bild aus den 70er Jahren, als das Hotel das einzige in dieser Bucht war. Sonst gab es damals nur unberührten Strand und Wüste. Heute liegt die Zahl der Hotels bei etwa 250 und es entstehen immer neue.
«Junge Ägypter kommen nach Sharm, um hier Geld zu verdienen und vielleicht eine Ausländerin zu finden, die sie heiraten können. Alles andere blenden sie aus», sagt Islam. Wie Montasser, der Student aus Minya, der sich im Kiosk seines Cousins das Geld für sein Studium der Naturwissenschaften verdient.
Sharm al-Sheikh ist eine Kunstwelt und nicht mit einer normalen ägyptischen Stadt zu vergleichen
Auch Mohammed kommt aus Oberägypten. Der Familienvater aus Sohag arbeitet hier seit vier Jahren in einem Supermarkt. «Der Tourismus stirbt langsam», stellt er fest. Wer noch hier ist, hat noch Arbeit. Aber niemand kann beziffern, wie viele tausend Angestellte der Branche in den letzten zwei Jahren ihren Job bereits verloren haben. Vor der Revolution von 2011 fand sich jeder achte ägyptische Arbeitsplatz in diesem Sektor. Damals reisten 14,7 Millionen Touristen ins Nilland, darunter 2,8 Millionen Russen, 1,5 Millionen Engländer und 1,3 Millionen Deutsche.
Touristen werden zurückkehren
Die Polizei hatte die Sicherheitsvorkehren in Sharm al-Sheikh in den letzen Jahren konsequent verschärft. Seit dem Ausbruch der jüngsten, blutigen Ereignisse sind die Kontrollen noch rigoroser. Aber die beste Garantie für die Sicherheit seien die Menschen selbst, weil ihr finanzielles Auskommen von der Stabilität hier abhänge, betont die Reiseleiterin Layla. Im Jahr 2005 gab es trotzdem bereits einmal eine Serie von tödlichen Terroranschlägen. Und in manchem Ägypter in Sharm werden in diesen Tagen Erinnerungen daran wach. «Ich hoffe, dass die Sicherheitskräfte die Auswirkung der jetzigen Gewaltspiralen im Griff haben», sagt Islam, ohne wirklich überzeugt zu klingen.
Nach den Reisewarnungen einiger Regierungen auch für das Rote Meer haben mehrere ausländische Tourismusunternehmen ihre Flüge nach Sharm al-Sheikh vorerst bis Mitte September reduziert oder ganz eingestellt. Die Ägypter hier wissen, dass sie nicht viel dagegen tun können. Sie klammern sich daran, dass es immer wieder Einbrüche gab und die Touristen immer wieder zurückkamen. Die Wintersonne so nah bei Europa ist ein unschlagbares Verkaufsargument.
«Ich werde überleben, hier kann man das ganze Jahr am Strand schlafen», sagt Karim aus dem Geschäft für Tauchartikel trotzig. Von den wenigen Flugzeugen, die noch an der Sinai-Südspitze landen, bringen einige doch auch wieder neue Gäste. Aber der Strom ist spärlich. «Alles ist gut hier, es gibt keine Probleme für die Touristen», lautet die trockene Auskunft eines Beamten dazu.