Während sich die USA mit Kuba wieder besser verstehen, verscherzen sie es sich gerade mit Venezuela und damit mit den anderen Staaten der Region. Barack Obama dürfte sich für dieses Wochenende auf einen von Spannungen geprägten Amerika-Gipfel gefasst gemacht haben.
Lateinamerikanische Gipfeltreffen bleiben nicht selten wegen der Missverständnisse, Meinungsverschiedenheiten und Wutausbrüchen der politischen Führer in Erinnerung. Legendär das peinliche: «Du isst und dann haust du ab» (Comes y te vas) des damaligen mexikanischen Präsidenten Vicente Fox zu Kubas Revolutionsführer Fidel Castro im Vorfeld eines UN-Gipfels 2002 in Monterrey. Fox befürchtete wohl, den USA könnte die Anwesenheit Castros missfallen.
Für den Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der an diesem Wochenende vom 10. und 11. April in Panama stattfindet und an dem Kuba erstmals seit mehr als 50 Jahren teilnimmt, ist eine ähnliche Episode nicht zu erwarten. Dabei haben Amerika-Gipfel der Vergangenheit durchaus einige konfrontative Anekdoten zu liefern – und nicht selten waren die USA und Kuba die Protagonisten.
Drohungen und Boykott
Beim Gipfel in Trinidad & Tobago im April 2009 drohte der damalige venezolanische Präsident Hugo Chávez, wegen des Ausschlusses Kubas sein Veto gegen die Abschlusserklärung einzulegen. Auf der OAS-Generalversammlung im selben Jahr in San Pedro Sula, Honduras, wurde die Suspendierung Kubas schliesslich aufgehoben.
Vor dem Gipfel 2012 in Cartagena, Kolumbien, war es dann US-Präsident Barack Obama, der drohte. Sollte Kuba eingeladen werden, würde er dem Treffen fernbleiben. Trotz Abwesenheit war Kuba dann das beherrschende Thema des Gipfels. Wegen der Nichteinladung Kubas hatten Ecuadors Präsident Rafael Correa und Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega das Treffen boykottiert. Boliviens Präsident Evo Morales reiste aus Solidarität mit Kuba vor Ende des Gipfels ab. Und die Aussenminister Argentiniens und Brasiliens erklärten damals: «Dies muss der letzte Gipfel sein, an dem Kuba nicht teilnimmt.»
«Dass Kuba erstmals am Gipfel teilnimmt, wird einen grossen Teil der Aufmerksamkeit rauben.»
Plötzlich waren es die USA, die isoliert dastanden. Dies führte schliesslich zu dem historischen Eingeständnis Obamas, dass die US-amerikanische Kuba-Politik gescheitert sei, und zu der Ankündigung der Regierungen in Havanna und Washington, die 1961 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder aufnehmen zu wollen. Tauwetter und Ende des Kalten Krieges auf dem amerikanischen Kontinent. Zwar haben die ersten Verhandlungsrunden zwischen den USA und Kuba die tiefgehenden Differenzen deutlich gemacht; angesichts des jahrzehntelangen Misstrauens war dies aber kaum anders zu erwarten.
Es wird allgemein damit gerechnet, dass die US-Regierung am Gipfel in Panama ankündigen wird, Kuba von der Liste der Terror unterstützenden Staaten zu streichen. Havanna hatte dies zur Voraussetzung für die Eröffnung der jeweiligen Botschaften gemacht. Es wäre ein weiterer Schritt in Richtung Entspannung. «Dass Kuba erstmals am Gipfel teilnimmt, wird einen grossen Teil der Aufmerksamkeit rauben», sagte Roberta S. Jacobson, stellvertretende Aussenministerin und Lateinamerika-Beauftragte der US-Regierung. «Es beseitigt eine enorme Irritation unserer Lateinamerika-Politik.» Dafür ist eine andere hinzugekommen.
Venezuela als nationale Bedrohung
Am 9. März erklärte US-Präsident Obama Venezuela per Dekret zur «aussergewöhnlichen Bedrohung der nationalen Sicherheit und Aussenpolitik der USA» und verhängte Strafmassnahmen gegen sieben venezolanische Funktionäre. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro warf den USA daraufhin vor, seinen Sturz zu betreiben und liess sich mit weitreichenden Sondervollmachten ausstatten.
Die Staaten der Region stellten sich entschieden hinter Venezuela. Keine einzige Regierung unterstützte das Vorgehen der US-Regierung. Die zeigte sich ob der einhelligen Ablehnung erstaunt. «Ich bin enttäuscht, dass nicht mehr Länder [die Sanktionen] unterstützen, die nicht die Venezolaner oder die venezolanische Regierung als Gesamtes treffen sollten», sagte Jacobson.
Die USA haben eine einzigartige Fähigkeit zu diplomatischem Ungeschick, staunt der «Economist».
«Die Obama-Administration hat sich in Botschaft und Kommunikation völlig geirrt. Nicht in der Verhängung von Sanktionen, aber in Form und Sprache, indem sie eine veraltete Rhetorik verwendet und Venezuela zur Bedrohung der nationalen Sicherheit erklärt hat», so Cynthia J. Arnson, Lateinamerika-Direktorin am Wilson Center in Washington. Die neue Kuba-Politik «hätte vielleicht geholfen, wenn die USA nicht Sanktionen gegen Venezuela verhängt hätten», meint Susan Kaufman Purcell, Lateinamerikaexpertin der University of Miami. Sie verstehe das Timing nicht, wenn US-Präsident Obama doch die Beziehungen zu Lateinamerika verbessern und von der neuen Beziehung zu Kuba profitieren wolle.
Die USA hätten eine einzigartige Fähigkeit zu diplomatischem Ungeschick, stellte sogar der «Economist» verwundert fest. Denn nicht nur, dass die Annäherung an Kuba ein günstiges Klima vor dem Gipfel geschaffen hatte, auch die linken Gegenspieler der USA aus Venezuela, Argentinien oder Brasilien, kommen wegen wirtschaftlicher und innenpolitischer Schwierigkeiten – anders als bei früheren Gipfeln – angeschlagen nach Panama.
Venezuela in Schwierigkeiten
Vor allem Venezuela ist seit dem Tod von Hugo Chávez in eine tiefe politische und wirtschaftliche Krise gerutscht. Der rapide Verfall der Erdölpreise trifft das Land besonders hart. Venezuelas Haushalt hängt zum Grossteil von Erdölexporten ab, zwei Drittel der Staatseinnahmen und mehr als 90 Prozent der Deviseneinnahmen stammen aus dem Ölgeschäft. Um seine Währung zu stützen hat Caracas einen Grossteil der Währungsreserven verpulvert; die Staatspleite droht.
Einem Bericht der britischen Investmentbank Barclays zufolge soll Caracas die preisgünstigen Öllieferungen an die Staaten des Petrocaribe-Abkommens sowie Kuba seit dem vergangenen Jahr massiv zurückgefahren haben. Allerdings sind die präsentierten Zahlen mit Vorsicht zu geniessen. Die Faktenbasis der Studie ist eher dünn und beruht nicht auf offiziellen Zahlen. Venezuelas Regierung hat wiederholt erklärt, «unter allen Umständen» die eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten.
Derweil sorgt die gesellschaftliche Polarisierung immer wieder für gewaltsame Proteste, die Inflation steigt und die Versorgungsengpässe im Land nehmen zu. Die Regierung wirft oppositionellen Kreisen und Unternehmern vor, einen Wirtschaftskrieg zu führen und das Warenangebot gezielt zu verknappen.
Kirchner und Rousseff angezählt
Auch in Argentinien steht die Regierung unter Druck, seit Mitte Januar der Staatsanwalt Alberto Nisman unter weiter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Er leitete die Untersuchungen zum Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires 1994, bei dem 85 Menschen getötet und mehrere Hundert verletzt wurden. Nisman hatte deshalb Präsidentin Cristina Kirchner angeklagt. Sie soll die mutmasslichen Hintermänner des Attentats, ranghohe Vertreter der iranischen Regierung, gedeckt haben, um die Beziehungen zu Teheran zu verbessern und ein milliardenschweres Ölgeschäft mit dem Iran abzuschliessen. Ein Bundesgericht wies die Anklage Nismans später wegen zahlreicher Ungereimtheiten zurück.
Doch damit nicht genug. Gegen den mit den Kirchners befreundeten Unternehmer Lazaro Baez wird wegen Geldwäsche und möglicher Bestechung ermittelt. Gelder könnten auch an das Ehepaar Kirchner geflossen sein. Hinzu kommt der seit Jahren schwelende Schuldenkonflikt mit US-amerikanischen Hedgefonds, der Argentiniens Zahlungsfähigkeit bedroht.
Plötzlich könnte sogar Kuba zum ausgleichenden Element werden.
Brasilien kommt ebenfalls angeschlagen zum Gipfel. Die Wirtschaft stagniert, Rezession droht. Die Regierung wird indes vom «grössten Korruptionsskandals in der Geschichte Brasiliens» um den staatlichen Erdölkonzern Petrobras belastet. Petrobras-Manager sollen jahrzehntelang Bestechungsgelder für Auftragsvergaben kassiert und an Politiker weitergeleitet haben. Es geht um Milliardensummen. Präsidentin Dilma Rousseff ist zwar persönlich nicht beschuldigt, war allerdings jahrelang Aufsichtsratschefin des Konzerns. Die meisten Verdächtigen gehören dem Regierungslager an. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst und wird auf die Strasse getragen.
Angesichts der Schwierigkeiten ist Brasilien an einer Verbesserung der wegen der NSA-Affäre belasteten Beziehungen zu den USA interessiert. Auf dem Gipfel in Panama könnte Brasilien einen Anfang machen und in der Konfrontation zwischen den USA und Venezuela vermitteln. Denn, dass es in dieser Sache hoch hergehen wird, scheint ausgemacht. «Wir erwarten eine aufrichtige, ehrliche und öffentliche Debatte und nicht wie bei anderen Gipfeln, bei denen einige Präsidenten – Komplizen des Kapitalismus, des Imperialismus – versucht haben, das Bild des US-amerikanischen Präsidenten zu schützen», so Boliviens Präsident Evo Morales im Vorfeld. Das klingt nach viel Gegenwind für Obama. Plötzlich könnte sogar Kuba zum ausgleichenden Element werden.