Vom Navi in die Irre geführt

Mit ihren Navigationsgeräten versuchen immer mehr Autofahrer Staus auszuweichen – das hat verheerende Folgen.

Wenn viele versuchen, dem Stau auszuweichen, kommt es zum Kollaps. (Bild: Nils Fisch)

Mit ihren Navigationsgeräten versuchen immer mehr Autofahrer Staus auszuweichen – das hat verheerende Folgen.

Eine der letzten Linkskurven war dann doch zu eng. Der italienische Chauffeur eines 38-Tonnen-Lastwagens blieb auf seiner Passfahrt am Weissenstein stecken. Dorthin hatte ihn sein Navigationsgerät gelotst. Das Lastwagen-Fahrverbot hatte er offenbar übersehen. Den LKW mit Spezialkran zu bergen, dauerte drei Stunden, meldete die Solothurner Kantonspolizei Ende Januar.

In regelmässigen Abständen sorgen solche Meldungen von Reisecars oder LKW auf Irrwegen für Schlagzeilen. Dabei sind die Auswirkungen von Navigationsgeräten bei Staus viel verheerender: Einmal mit dem Handy gekoppelt, versorgen inzwischen selbst Billigmodelle ihre Nutzer mit aktuellen Verkehrsinformationen. Dank Navigationsgerät kann so jeder dem Stau ein Schnippchen schlagen. Und dies bekommen Ortschaften entlang von Ausweichrouten bereits zu spüren.

Birsfelden leidet unter den Navigationsgeräten

Sobald sich etwa auf dem Autobahn-Abschnitt Augst–Basel der Verkehr staut, weichen viele via Hard und Birsfelden aus. Die Hagnau ist mit durchschnittlich knapp 130 000 Fahrzeugen pro Tag der am zweitstärksten befahrene Autobahnabschnitt der Schweiz. Was früher nur ortskundigen Autofahrern vorbehalten war, kann heute dank Navigationsgerät mit Verkehrsinformation bald jeder: versuchen, dem Stau auszuweichen. Und das bekommen die Einwohnerinnen und Einwohner von Birsfelden zu spüren. «Wir leiden sehr unter dem Ausweichverkehr», sagt der Birsfelder CVP-Landrat Claudio Botti. «Wenn es auf der Autobahn einen Unfall gibt, kommt der Verkehr bei uns während Stunden zum Erliegen.»

Botti hat deshalb im Landrat eine Motion eingereicht. Er schlägt vor, beim Hardwaldkreisel eine «speziell geschaltete» Ampelanlage einzurichten und zu prüfen, ob nicht wie beim Gotthardtunnel im Notfall die Autobahneinfahrt gesperrt werden könnte.

Tatsächlich möchten Verkehrsexperten Staus möglichst auf der Autobahn belassen. «Es ist nicht sinnvoll, wenn der Verkehr auf Kantonsstrassen ausweicht, die gar nicht dafür ausgelegt sind», erklärt Gerhard Tubandt vom Verkehrs-Club der Schweiz. «Wir können Automobilisten nicht vorschreiben, welche Strecke sie fahren sollen», sagt hingegen Thomas Rohrbach, Pressesprecher des Bundes­amtes für Strasse Astra.

Am Ende verlieren alle

Dabei löst sich ein Stau nach einem Unfall, sobald die Strecke wieder frei ist, jeweils rasch wieder auf. Doch wenn zu viele Fahrzeuglenker auf Kantons- und Gemeindestrassen ausweichen, kommt es zum Kollaps. Und bis sich dann die Situation wieder normalisiert, dauert es Stunden. Sobald die Masse versucht, dem Stau ein Schnippchen zu schlagen, verlieren alle: Die Anwohner der Ausweichrouten, aber auch die Fahrzeuglenker selbst, weil es zum Flächenbrand kommt.

Viele Möglichkeiten, dem Problem beizukommen, gibt es nicht. Autobahneinfahrten kann die Polizei nur in Ausnahmefällen sperren. Um den Herstellern von Navigationsgeräten vorzuschreiben, Ausweichsrouten zu löschen, fehlt schlicht die rechtliche Grundlage. So lässt es der Bund mit Empfehlungen bewenden.

Tricksen mit Zubringerdienst

Ein Sprecher des Navigationsgeräte-Herstellers Garmin erklärt auf Anfrage, dass die Geräte eine Route über Hochleistungsstras­sen auch dann empfehle, wenn die Fahrt ans Ziel ein bisschen länger dauere. Wenn sich aber über eine Ausweichsroute nur schon zehn Minuten sparen lies­sen, werde diese auch empfohlen.

Auch wenn der Staat den Herstellern von Navigationsgeräten nicht dazwischenfunken kann, so können die Gemeinden versuchen, sie auszutricksen: Abschnitte, die nur für «Zubringerdienst gestattet» und für den Durchgangsverkehr gesperrt sind, berücksichtigt die Software nicht bei der Berechnung von Ausweichsrouten und gibt sie so den ortsunkundigen Fahrern auch nicht an.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13

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