Vom Wahn der Möchtegerne

Xamax im Insolvenzverfahren, Sion im endlosen Rechtsstreit, Servette am Wanken – wer glaubt, im Schweizer Fussball herrscht das Chaos, der sollte nach Österreich blicken, wo Konkurse, Zwangsabstiege und Punktabzüge Tradition haben.

«Wir haben Millionen von Menschen auch viel Freude bereitet»: Rolls-Royce-Liebhaber Hannes Kartnig, der Sturm Graz erst in die Champions League und dann ins Elend geführt hat. (Bild: Gepa)

Xamax im Insolvenzverfahren, Sion im endlosen Rechtsstreit, Servette am Wanken – wer glaubt, im Schweizer Fussball herrscht das Chaos, der sollte nach Österreich blicken, wo Konkurse, Zwangsabstiege und Punktabzüge Tradition haben.

Das dicke Ende verschlug dann selbst dem wortgewaltigen Hannes Kartnig die Sprache. Fünf Jahre Haft, 6,6 Millionen Euro Geldstrafe wegen schweren Betrugs, Steuerhinterziehung und grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen. Wort- und regungslos nahm der langjährige Präsident des SK Sturm Graz das Urteil vor 14 Tagen zur Kenntnis, nachdem er bei seinem persönlichen Schlussplädoyer noch einmal auf den grossen Unterhaltungswert seiner Ära hingewiesen hatte. «Es sind viele Fehler passiert, aber wir haben auch dem Volk viel Freude bereitet», erklärte Kartnig und gab zu bedenken, dass sich «Millionen Menschen mit uns gefreut haben».

Tatsächlich waren der SK Sturm Graz und sein eigenwilliger Präsident einmal eine echte Attraktion. Sogar ­europaweit. Als der Verein in der Saison 2000/01 überraschend als Gruppen­sieger (gegen die AS Monaco, Glasgow Rangers und Galatasaray Istanbul) in die damalige Zwischenrunde der Champions League einzog, pilgerten die internationalen TV-Teams nach Österreich, um dem Wunder Sturm auf die Spur zu kommen, und dem «Spiegel» war das Phänomen Hannes Kartnig gleich mehrere Seiten wert.

Stolz posierte der Big Boss neben seinem niegelnagelneuen Rolls-Royce, prä­sentierte seinen exquisiten Katzenhai und offenbarte in allen Zügen, warum er in Österreich als «Sonnenkönig» galt. Der Chef einer Werbe- und Promotionsfirma beherrschte die Selbstinszenierung, er war ein Hans-Dampf-in-allen- Gassen und als Wuchtel-Akrobat (be­deutet auf Österreichisch: Schmäh und Witz, aber auch Synoym für den Ball) gern gesehener Gast auf allen Society-Hochzeiten: heute Opernball, morgen Hahnenkammrennen und übermorgen Club der Freunde der österreichischen Nationalmannschaft. Selbst als Hannes Kartnig nach dem Konkurs des SK Sturm 2007 in Untersuchungshaft genommen wurde, trat er danach weiter auf, als sei nie etwas geschehen.

Sein Grössenwahn fiel Kartnig nun auf den Kopf. Er habe «einen Personalaufwand getrieben, der in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Lage des Vereins gestanden ist», erklärte Richter Karl Buchgraber, der dem Präsidenten und seinen Vorstandskollegen elf Monate lang den Prozess gemacht hat.

Ohne Schwarzgeld lief nichts

LKW-Ladungen voller Dokumente und Abrechnungen waren zusammengekarrt worden, etliche ehemalige Fussballer wurden als Zeugen vor Gericht zitiert. Viele hatten ihre Gelder von einem Schwarzgeldkonto bezogen – ein jahrelanges System, wie sich nun herausstellte. Für Kartnig war es offenbar das Normalste der Welt. «Wenn ich einem Kicker kein Geld schwarz auf die Hand gebe, spielt der nicht bei mir. So einfach ist das», hatte er beim Prozess zu Protokoll gegeben. Und weil sein Sportdirektor, der Clubsekretär und auch die Vorstandskollegen davon nichts mitbekommen haben wollten, wurden auch sie nun verurteilt. Zu – noch nicht rechtskräftigen – Geldstrafen zwischen 1,3 und 3,8 Millionen Euro. «Für die Beitragstäter genügt es, dass sie die Tat des Haupttäters kennen, was von den Vorstandsmitgliedern angenommen werden muss», begründete Richter Buchgraber. Und wieder einmal ist der österreichische Fussball um ein dunkles Kapitel reicher.

Es ist ein schwacher Trost, dass sich Hannes Kartnig und der SK Sturm in prominenter Gesellschaft befinden. Erst vor zwei Wochen wurde mit Martin Kerscher ein weiterer ehemaliger österreichischer Fussballfunktionär zu einer Geldstrafe von 1,8 Millionen Euro verurteilt. Der gelernte Maurer stand jahrelang dem FC Tirol vor, der von 2000 bis 2002 die österreichische Liga dominierte und dreimal in Serie den rot-weiss-roten Meistertitel holte. Heute weiss man: Die Erfolge waren teuer erkauft.

Nach dem Gewinn des letzten Titels 2002 unter der Führung des heutigen deutschen Bundestrainers Joachim Löw musste der Club Konkurs anmelden. Es ist wohl eine traurige Seltenheit im weltweiten Fussball, dass ein am­tierender Meister den Betrieb einstellen muss, aufgelöst wird und in der dritten Liga einen Neuanfang starten muss.

Da wie dort, in Innsbruck und in Graz, waren die Motive für den wirtschaftlichen Ruin dieselben: Grossmannssucht gepaart mit Naivität und dem Wahn, den internationalen Fussball aufzumischen.

Es ist bezeichnend, dass in den vergangenen zehn Jahren mit dem FC Tirol (2002), SK Sturm Graz (2006) und dem Stadtrivalen Grazer AK (2007) drei Topteams Konkurs ­ anmelden mussten, die zuvor den Meistertitel geholt hatten und mit aller Gewalt in die Champions League strebten. Mit Ausnahme von Sturm sollte ­dieses Wunder freilich keinem gelingen. Frank Stronach, milliardenschwerer ehemaliger ­österreichischer Bundesliga-Präsident, sagte als Zeuge im Kartnig-Prozess: «Jeder Verein steht mit einem halben Fuss im Konkurs.»

Wen wundert es da noch, dass etliche österreichische Vereine in ihrer Not ihr (Un-) Heil in eigenwilligen finanziellen Deals und seltsamen Figuren suchten. Viele Seifenblasen sind in den letzten Jahren geplatzt, viele Hoffnungen haben sich als Luftschlösser entpuppt.

Wie etwa die Firma namens Jasmin Raw Materials Ltd., die Rekordmeister Rapid mit 20 Millionen Euro beschenken wollte – natürlich ist das Geld nie geflossen. Oder Mister Benjamin ­Englisch, der dem verschuldeten SK St. Pölten einen amerikanischen In­vestor, Superstars und ein neues Sta­dion versprach – selbstverständlich trat nichts von alldem je ein.

Da war dann auch noch Juan Pedro Benali, der vor der Ära Red Bull in Salzburg für wenige Wochen den Sportchef spielen durfte und von seinen exzellenten Kontakten zu Ölscheich Khalid al-Qassimi schwadronierte – eine Fata Morgana, wie sich rasch heraustellte. Noch heute lachen sie in Salzburg über den falschen Scheich.

Die Zehnerliga: Segen und Fluch

Beinahe unerreicht ist jedoch der Fall des FC Tirol und der Griff nach dem letzten Strohhalm: Um 2001 von Parker Leasing and Financing in Fort Lauderdale einen 15-Millionen-Dollar-Kredit zu bekommen, kratzten die Clubfunktionäre ihr letztes Geld zusammen und überwiesen 750 000 Euro nach Übersee – als Anzahlung. Der Kredit­deal platzte, die Anzahlung blieb auch nach Ermittlungen des FBI und von ­Privatdetektiven verschwunden. «Wir sind Profigaunern auf den Leim gegangen», musste Präsident Martin Kerscher später eingestehen.

Warum es immer wieder solche Auswüchse gibt, das wird in Österreich kontrovers diskutiert. Die Zehnerliga, in den 1990er-Jahren eingeführt, um das Niveau zu steigern, scheint Segen und Fluch zugleich zu sein. Zwar existiert ein strenges Lizenzierungssystem, zwar müssen die zehn Bundesligisten Mindeststandards an Infrastruktur und Finanzen erfüllen, aber der enge Konkurrenzkampf fordert auch seinen Preis. «Es gibt praktisch keine Tabellenregionen zum Ausruhen», meint etwa Walter Kogler, Cheftrainer von Wacker Innsbruck.

Der Blick auf die Tabelle unterstreicht diese These. Vorne kämpfen derzeit sieben Teams um den Titel – den Ersten Rapid und den Siebten Innsbruck trennten Ende Februar lediglich sieben Zähler – die restlichen Mannschaften müssen sich Abstiegssorgen machen. Drucksituationen, die zu ­Aktionismus, Panikkäufen und finanziellem Vaban­que­spiel verleiten können.
Eine von einigen Seiten geforderte Aufstockung der Liga auf 16 Mannschaften scheitert auch und vor allem am Veto der Vereine selbst. Denn die TV-Einnahmen sind ein wichtiger Bestandteil der Budgets, kaum ein Club kann und will es sich leisten, das Fernsehgeld statt mit neun plötzlich mit fünfzehn Konkurrenten zu teilen.

Den gestürzten Sonnenkönig Hannes Kartnig kümmert all das nicht mehr. Getroffen vom harten Urteil, hat er sich zur körperlichen Erholung und geistigen Besinnung zurückgezogen nach Oberösterreich – in ein Kloster.

In Schieflage

Die Liste der Clubs, die im österreichischen Fussball mit Misswirtschaft auffällig wurden, ist lang.

Vorwärts Steyr
Der Bundesligist muss im Jahr 2000 Konkurs anmelden und steigt in die unterste (8.) Liga ab.

FC Tirol
Nach drei Meistertiteln in Serie muss der Club im Juni 2002 Konkurs anmelden. Mit einem Schuldenstand von 50 Millionen Euro gilt dies noch heute als grösster Konkursfall in der Geschichte des Bundeslandes Tirol.

Schwarz-Weiss Bregenz
2004/05 steigt der Verein aus der Bundesliga ab, erhält keine Lizenz für die 2. Liga und muss Konkurs anmelden. Der Club startet als SC Bregenz neu in der 5. Liga.

Sturm Graz
2006 meldet der Verein während der Saison Konkurs an, schafft mit einem Zwangsausgleich die finanzielle Rettung und wird so von dem Zwangsabstieg bewahrt.

Admira Wacker Mödling
Unter
Hauptaktionär Majid Pishyar – heute Präsident und Besitzer von Servette Genf – will der Club in die Champions League, landet aber in der 3. Liga, weil wegen fehlender Bankgarantien die Lizenz für die Saison 2006/07 verweigert wird.

Grazer AK
Der zweite Grazer Verein meldet 2007 Konkurs an und erhält von der Bundesliga 28 Punkte Abzug. Dem sportlichen Abstieg folgt die Lizenzverweigerung. Der GAK, 2004 noch Meister, steigt in die dritte Liga ab, die Probleme aber bleiben. 2008 und 2009 gibt es abermals Konkursanträge, heute kämpft der Traditionsverein um den Aufstieg in die 2. Liga, und den Funktionären von damals droht ein Prozess.

DSV Leoben
Konkursantrag 2009, verbunden mit Zwangsabstieg, womit der steirische Traditionsclub erstmals seit 1956 nicht mehr der Bundesliga angehört.

FC Vöcklabruck
Der Zweitligist stellt nach dem Rückzug des wichtigsten Geldgebers zum Ende der Saison 2008/09 den Spielbetrieb ein.

Austria Kärnten
Der Verein erhält nach dem Abstieg aus der obersten Liga 2010 keine Lizenz und muss in die Regionalliga absteigen. Im EM-Stadion von 2008 in Klagenfurt wird heute nur noch dritt- klassiger Fussball gespielt.

Quellen

Artikel im Standard über den geplatzten Kreditdeal des FC Tirol

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.03.12

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