Von unhöflichen Deutschen und langsamen Schweizern

Verwaltungsmitarbeiter von beiden Seiten des Rheins verstehen sich oft schwer im Behördenalltag. An Workshops üben sie sich in «interkultureller Kommunikation».

(Bild: Michael Birchmeier)

Verwaltungsmitarbeiter von beiden Seiten des Rheins verstehen sich oft schwer im Behördenalltag. An Workshops üben sie sich in «interkultureller Kommunikation».

Die Lochmanns kennen das von daheim. Wenn zum Beispiel Franziska fragt: «Wollen wir in den Sport gehen?», antwortet Gerhard, ihr in diesen Momenten sehr deutscher Mann: «Keine Ahnung, was willst du denn?» Dabei hatte sie ja gerade versucht, ihm das mitzuteilen. Oder umgekehrt: Wenn Gerhard zu seiner Frau sagt: «Du musst mal das Fenster aufmachen», dann mag das zwar ein nett gemeinter Hinweis sein – aber so gehts für sie gar nicht. «Ich muss überhaupt nichts», sagt sie dann, statt zu lüften.

Deshalb stehen Gerhard und Franziska Lochmann nun im grossen Saal der Kurbrunnenanlage im schweizerischen Rheinfelden. Vor ihnen sitzen 60 Leute, manch einer schaut etwas skeptisch. Sie alle arbeiten in Verwaltungen – auf deutscher oder schweize­rischer Seite des Rheins. Sie sind Arbeitsvermittler oder Kulturamtsleiter, Ka­ta-s­trophenschutzbeauftragte, Verkehrsplaner oder Polizisten. Sie alle sollen hier mehr «interkulturelle Kompetenz» lernen – zur besseren Zusam­menarbeit. Den Workshop hat die Hoch­rhein­kon­ferenz organisiert, ein grenzüberschreitendes Gremium mit Sitz in Waldshut am Fuss des Schwarzwalds.

Der Blick aus dem Tagungssaal geht hinaus über den dunstigen Rhein – auf der anderen Seite liegt das deutsche Rheinfelden. Reden die Menschen dort wirklich anders? Und braucht es einen Workshop, um sie zu verstehen? «Unse­re Mentalitätsunterschiede sind im Alemannischen nicht besonders gross – deshalb übersieht man sie ja auch gerne», sagt Gerhard Lochmann. Der grossgewachsene Mann mit den kurzen graumelierten Haaren ist Deutsch-Schweizer, «deutscher Vater, Zürcher Mutter», sagt er. Aufgewachsen ist er im baden-württembergischen Singen, er arbeitet als Anwalt in der badischen Kleinstadt Emmendingen, nördlich von Freiburg im Breisgau. Und er ist Schweizer Honorarkonsul.

Rollenspiele helfen beim Dialog

Seine Frau Franziska ist aus Bern, seit zwölf Jahren lebt sie in Deutschland und arbeitet als Kommunika­tionstrai­nerin. Im Beruf, in der Familie – immer wieder stossen die beiden auf kleine Unterschiede zwischen Schweizern und Deutschen. Lochmann ist überzeugt: Werden diese ignoriert, kommt es zu Kommunikationsproblemen im Alltag – jenseits von politischen Grenz- und Streitfragen wie Wechselkursen, Flugrouten oder atomaren Tiefenlagern.

Die Workshop-Teilnehmer haben sich in Kleingruppen rund um Steh­tische versammelt: Rollenspiel. «Wir könnten Ihnen einen schönen Tagungssaal direkt am Bahnhof anbieten», sagt Arnold Meyer gerade, «und im Rahmenprogramm vielleicht eine Schifffahrt über den Vierwaldstättersee.» Nur mit den Finanzen, da sei noch nicht alles klar. Im echten Leben arbeitet Meyer im Departement Bau, Verkehr, Umwelt des Kantons Aargau, jetzt spielt er den Vertreter eines fiktiven Kantons mit knappem Budget, der in einer deutsch-schweizerischen Arbeitsgruppe eine Konferenz vorbereiten muss. Vielleicht könnten wir uns doch nochmals gemeinsam unterhalten und das Nötige vom Wünschenswerten trennen.»

Seine deutsche Kollegin hakt ein: «Was heisst das konkret für unsere Planung?», will Sabine Bollacher wissen, die beim Regierungspräsidium in Freiburg im Breisgau arbeitet und auch im Rollenspiel eine deutsche Landesbehörde vertritt. «Irgendwo ist immer noch ein Kässeli, wo Geld für einen Apéro drin ist», vermittelt Stefan Meier, ebenfalls vom Kanton Aargau, der den Vertreter eines finanzstärkeren Kantons spielt.

Das Gespräch läuft nicht schlecht, aber es gibt Unterschiede im Vorgehen, da sind sich nachher alle einig. Die Deutschen strukturieren mehr, arbeiten die einzelnen Punkte ab, die Schweizer reden ausführlicher, begründen viel, beziehen alle mit ein. «Mir tut das gut», sagt Ursula Philipps aus der Stadtverwaltung Rheinfelden/Baden; später im Plenum fasst sie ihre Erfahrungen im Satz zusammen: «Die Deutschen machen alles zackzack, die Schweizer werben um Verständnis – und brauchen ein warmes Mittagessen.»

Mehr als nur Klischees

Unfreundliche Deutsche, langsame Schweizer: Sind die Klischees in Wirklichkeit ein Kommunikationsproblem? Schon, findet Antje Hammer. Sie arbeitet seit zwei Jahren im Amt für Mobilität Basel-Stadt – als Deutsche. «Ich stehe im Spagat über der Grenze», sagt sie. «Anzunehmen, es gäbe keine Unterschiede, führt zu Problemen. Die andere Seite zu imitieren, geht aber auch meistens schief.» Was also rät sie ihren Schweizer Kollegen? «Denen sage ich, sie sollen nicht so empfindlich sein», sagt Hammer und lacht. «Das war jetzt aber sehr deutsch ausgedrückt.»

Wer die Unterschiede versteht, kann mit ihnen umgehen, das ist das Credo von Seminarleiter Lochmann. Bevor die Teilnehmer zur Pause über die alte Rheinbrücke gemeinsam ins Badische Rheinfelden gehen – weil das ein schöner symbolischer Akt und das Mittagessen dort günstiger ist –, erklärt er noch, worin er die kulturellen Differenzen der Nachbarn begründet sieht: «In der Schweiz gibt es immer noch einen wilden Freiheitsbegriff. Der deutsche Freiheitsbegriff dagegen ist eher vorsichtig – weil die deutsche Freiheit immer wieder aus Niederlagen entstand.»

Beachte man dann noch die unterschiedlichen Grössenverhältnisse, die Schweiz sei schliesslich nicht nur kleiner, sondern die Strukturen auch klein­teiliger, dann liessen sich zwei Hauptunterschiede ausmachen: der Deutsche handle sachlich und systematisch, der Schweizer persönlich und pragmatisch.

Ein Holzschnitt, natürlich. Und doch: Schon in der ersten Kleingruppe – Thema «Begrüssung» – war ein bisschen davon zu spüren. Die Schweizer nennen ihren Vor- und Nachnamen, die Deutschen dagegen häufiger ihre Position. «In Deutschland ist die Monarchie eben nicht in letzter Konsequenz abgeschafft worden …», spottet Claudius Beck, Kulturamtsleiter in Rheinfelden/Deutschland. Andererseits schaffe das im Gespräch ja auch Klarheit. «Ich finde es manchmal bedauerlich, wenn man dem Gegenüber alles aus der Nase ziehen muss.» Dafür gehen die Schweizer schneller zum Du über – auch bei der Arbeit, während die Deutschen die vertrauliche Anrede viel privater verstehen.

Verzweifelte Sprechversuche

«Verstehen Sie mich überhaupt?», fragt Barbara Scholer von der Stadtverwaltung von Rheinfelden/Schweiz, mitten im Gespräch. Sie hat bislang Schweizerdeutsch gesprochen; natürlich haben die Rheinfelder Nachbarn sie verstanden. Oft vermeidet sie die Mundart aber im grenzüberschreitenden Dialog: «Ich mache die Übersetzungsarbeit – dann ist das Thema weg.» Franziska Lochmann nennt die übersetzte Sprache «Helvetisch oder unseren verzweifelten Versuch, Hochdeutsch zu sprechen».

Zementiert Mundart Minderwertigkeitskomplexe? «Das kenne ich eher umgekehrt», sagt Gabriele Zissel von der Stadtverwaltung Rheinfelden/Deutschland. «Wenn ich Schweizer höre, denke ich oft, wie toll – die haben noch einen richtigen Dialekt.» Hinzu kommt bei manchem Deutschen eine andere Unsicherheit: Wer möchte schon als unhöflich gelten – oder gar als zackiger Preus­se, was zumindest Süddeutsche nicht unbedingt als Kompliment empfinden.

Letzte Gruppenarbeit in der Kurbrunnenanlage: Die Schweizer sollen einen deutschen Kollegen an ein überfälliges Protokoll erinnern – und umgekehrt. Das Seminar scheint gewirkt zu haben. Die Stimmung ist gut. Das Plenum amüsiert sich, dass die Schweizer meist schneller auf den Punkt kommen und die Deutschen ihre Mahnung in viele verbindliche Sätze verpacken. Nur Claudius Beck, der Kulturamtsleiter aus dem deutschen Rheinfelden, ist unzufrieden mit der Übung. «Das ist doch völlig unrealistisch», meint er: «Dass ein Deutscher einen Schweizer an einen Termin erinnern muss, ist bei uns noch nie vorgekommen.»

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09/12/11

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