Von wegen Heiratsstrafe! Konkubinatspaare sind viel ärmer dran

Die CVP will einmal mehr Ehepartner besserstellen. Dabei hätten unverheiratete Paare viel mehr Grund zur Klage: Die Behörden sehen sie nur als Solidargemeinschaft, wenn sie so Sozialhilfegelder sparen können. Wir zeigen die Nachteile in drei Szenarien.

Liebespaare aufgepasst: Wer sich nicht absichert, hat bei einer Trennung grossen Ärger am Hals.

Es geht ein Gespenst um in der Schweiz – das Gespenst der Heiratsstrafe. Es ist gerade zwei Jahre her, dass eine CVP-Initiative, welche die sogenannte «Heiratsstrafe» abschaffen wollte, an der Urne scheiterte. Die Initiative forderte, es müsse fortan in der Bundesverfassung heissen:

«Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Sie bildet in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschaftsgemeinschaft. Sie darf gegenüber andern Lebensformen nicht benachteiligt werden, namentlich nicht bei den Steuern und den Sozialversicherungen.»

Nun nehmen Christdemokraten einen neuen Anlauf: Letzte Woche lancierten sie im Ständerat mehrere Vorstösse zur Familienbesteuerung. Diese wurden zwar abgelehnt, doch die CVP will weiterkämpfen.

Wofür eigentlich? Die Ehe als Nachteil, das klingt für unverheiratete Paare zynisch. Denn die Realität sieht anders aus. Wer sich entscheidet, im Konkubinat zu leben (was in einigen Kantonen noch bis in die 1970er-Jahre strafbar war), wird im Vergleich mit Verheirateten in vielen rechtlichen Belangen benachteiligt.

Veränderungen brauchen in der Schweiz viel Zeit

Das Schweizerische Zivilgesetzbuch setzt auf ein äusserst traditionelles Familienbild: Ein heterosexuelles Paar heiratet, zeugt Kinder, ein Partner zieht die Kinder auf, der andere arbeitet mit einem 100-Prozent-Pensum, das Ehepaar bleibt bis ans Lebensende zusammen.

Wer diesem Bild entspricht, wird vom Zivilgesetz bevorzugt behandelt. Hier spielt keine Heiratsstrafe (die kommt nur zum Tragen, wenn beide viel verdienen und keine Kinder-Abzüge getätigt werden können). Und wenn ein Ehepartner verstirbt, ist gesetzlich geregelt, wie der Hinterbliebene finanziell unterstützt wird:

  • mit der Witwen- oder Witwerrente, wenn der Hinterbliebene noch nicht pensioniert ist.
  • mit der AHV und Pensionskasse des Verstorbenen, wenn der Hinterbliebene pensioniert ist.
  • mit einem in den meisten Kantonen steuerfreien Erbbezug.

Anders sieht es im Konkubinat aus. Hier ist ziemlich wenig geregelt, auch wenn Bundesrätin Simonetta Sommaruga derzeit an einem Konkubinatsvertrag arbeitet, der sich am französischen Modell des Pacs (Pacte civil de solidarité) orientiert. In Frankreich feiert dieser zivilrechtliche Vertrag zwischen Unverheirateten nächstes Jahr sein 20-jähriges Bestehen, in der Schweiz hat der Bundesrat bis Mitte 2018 einen Bericht zu einem möglichen Schweizer Pacs in Aussicht gestellt.

Veränderungen in der Gesellschaft brauchen  Zeit, auch – oder ganz besonders – in der Schweiz. 1978 wurden eheliche und nichteheliche Kinder rechtlich gleichgestellt, ab 1988 war die verheiratete Ehefrau nicht mehr ihrem Mann unterstellt und seit 2007 können sich homosexuelle Paare in einer eingetragenen Partnerschaft rechtlich aneinander binden.

An der Vorstellung der Ehe als Vertrag zwischen zwei heterosexuellen Menschen bis ans Lebensende wird nicht gerüttelt – auch wenn heutzutage jede zweite Ehe nach durchschnittlich 14,9 Jahren wieder geschieden wird (im Kanton Basel-Stadt kommt die Scheidung sogar schon nach 12,9 Jahren).

«Meist schaut eine in die Röhre»

Während konservative Parteien also weiter das Gerüst der Ehe stärken wollen und dafür gegen eine Heiratsstrafe kämpfen, die nur äusserst gut verdienende Paare trifft (die im Gegenzug von anderen gesetzlichen Vorteilen profitieren), gibt es für Konkubinatspaare kaum Absicherungen.

In der Schweiz ist die Ehe noch immer die beste Absicherung für Familien, sagt Advokat Jonas Schweighauser.

Jonas Schweighauser kennt die Problematik von Konkubinatspaaren, insbesondere von solchen, die sich wieder trennen. Der Titularprofessor für Familienrecht und Anwalt berät Paare vor allem dann, wenn sie kein Paar mehr sein wollen. Er rät: «Wenn Sie Kinder haben wollen und diese auch zu grossen Teilen selbst betreuen, sollten Sie heiraten.»

Schweighauser sagt dies nicht aus moralischer Überzeugung, sondern aus pragmatischen Überlegungen. «Wenn Sie nicht weiterhin mindestens 80 Prozent arbeiten oder sich Arbeit und Familienbetreuung in genau gleichem Masse teilen, schaut einer, meist eine, bei einer Trennung in die Röhre.» Dies beziehe sich insbesondere auf die Bereiche Unterhalt, Sozialversicherungen und Erbrecht.

Für die TagesWoche hat Schweighauser in drei fiktiven Szenarien eingeschätzt, welche Folgen die fehlende rechtliche Absicherung von Konkubinatspaaren haben würde.

Szenario 1: Ein Konkubinatspaar mit Kind trennt sich

Laura Hesse* und Michael Hulmann sind seit zehn Jahren ein Paar, wohnen seit fünf Jahren zusammen und haben ein gemeinsames Kind. Dank Vaterschaftsanerkennung und der Unterzeichnung des gemeinsamen Sorgerechtes sind die beiden auch ohne Trauschein gleichberechtigte Eltern. Hulmann arbeitet 80 Prozent, Hesse hat ihr Pensum auf 40 Prozent heruntergeschraubt, um ihr Kind zu betreuen.

Die Beziehung der beiden beginnt zu bröckeln, als ihr Kind in den Kindergarten kommt. Nach ein paar Monaten will Hesse die Trennung. Sie sagt ihm, dass er ausziehen soll – doch er wehrt sich.

Das wirft nun Probleme jenseits der gebrochenen Herzen auf: Wer bleibt in der gemeinsamen Wohnung, für die beide den Mietvertrag unterzeichnet haben? Wie viel Unterhalt erhält Hesse, bei der das Kind mehrheitlich wohnen wird? Und was wird aus den Ersparnissen, welche die beiden in den vergangenen 15 Jahren zur Seite gelegt haben, den Wertgegenständen, die sie in dieser Zeit gekauft haben?

«Wenn Sie nicht verheiratet sind, gibt es kein besonderes Gefäss, das diese Fragen bei Uneinigkeiten regelt. Ehepartner können sich an den Eheschutzrichter wenden, wo entschieden wird, wer weiter in der gemeinsamen Wohnung leben kann und wer ausziehen muss. Im Konkubinat muss sich ein Mietvertrags-Unterzeichner aus dem Mietverhältnis herausklagen. Zieht er stattdessen einfach aus, haftet er weiterhin für die Wohnung, zum Beispiel, wenn der Expartner die Miete nicht mehr bezahlt.

Auch einen Güterstand kennt das Konkubinat nicht. Wenn sich die beiden Beteiligten zum Beispiel nach einem Hauskauf nicht einigen können, gelten die Regeln der einfachen Gesellschaft beziehungsweise des Sachenrechts und ein ordentlicher Prozess muss geführt werden, was mit hohen Kosten verbunden ist.

Und bei der Trennung hat die Betreuungsperson zwar neben der Unterhaltszahlung an das Kind Anrecht auf AHV-Erziehungsgutschriften – das ist immerhin auch ein Betreuungsunterhalt, und obwohl niemand noch so richtig weiss, wie dieser berechnet wird, ist es eine klare Verbesserung. Doch die Frau profitiert in keiner Weise von der AHV ihres Expartners. Und auch auf seine Pensionskasse hat sie überhaupt kein Anrecht.

Wären sie verheiratet gewesen, hätte das Gericht neben einer Unterhaltspflicht für das Kind auch eine solche für die Ex-Frau verfügt. Ausserdem wären die Pensionskassen- und AHV-Ersparnisse während der Ehe hälftig geteilt worden und auch die Vermögensteilung wäre durch das Gericht erfolgt.»

Szenario 2: Ein Konkubinatspartner stirbt

Benno Gross stirbt kurz vor seinem 57. Geburtstag an einem Herzinfarkt. Mit seiner Partnerin Astrid Müri lebte er in einer gemeinsamen Wohnung, allerdings hat nur Gross den Mietvertrag unterzeichnet. Neben seiner Partnerin hinterlässt Gross ein Kind aus erster Ehe und seine 85-jährige Mutter.

«Wenn Konkubinatspartner einen Mietvertrag nicht gemeinsam unterschreiben, hat im Todesfall die hinterlassene Person keinen rechtlichen Anspruch auf das Weiterleben in der Wohnung. Ohne die Kulanz des Vermieters muss sie ausziehen – egal, wie lange sie bereits darin wohnte.

Weil die beiden nicht verheiratet waren, erhält die Hinterbliebene keine Witwenrente. Unabhängig davon, ob sie noch ein minderjähriges Kind grossziehen muss oder den Partner bis zu seinem Tod gepflegt und deshalb ihre Arbeit aufgegeben hat.

Wenn die beiden ausserdem kein Testament aufgesetzt haben, geht der Partner beim Erben leer aus. In diesem Fall geht das gesamte Vermögen auf das Kind und die Mutter des Verstorbenen über. Wenn sich Konkubinatspartner gegenseitig in einem Testament begünstigen, können die direkten Erben auf ihrem Pflichtanteil beharren, der höher ist als bei einem verheirateten Paar. Ausserdem müssen sie eine sehr hohe Erbschaftssteuer entrichten, da sie rechtlich gesehen keine direkten Verwandten sind.

Wenn hingegen ein Ehepartner stirbt, hat der Hinterbliebene Anrecht auf einen Grossteil des Erbes. Wenn Kinder begünstigt sind, erbt der hinterbliebene Ehepartner 50 Prozent, ohne Kinder sind es 100 Prozent. Der Ehepartner ist steuerbefreit.»

Szenario 3: Ein Konkubinatspartner muss von der Sozialhilfe unterstützt werden

Doris Ditzen und Jens Bühler leben seit drei Jahren in einer gemeinsamen Wohnung. Ditzen war Köchin, kann aber seit einem Bandscheibenvorfall nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten und findet auch keine andere Stelle. Nachdem ihre Arbeitslosentaggelder ausgeschöpft sind, wird sie bei der Sozialhilfe vorstellig. Dort erhält sie finanzielle Unterstützung, allerdings muss sie auch ihr Partner Bühler unterstützen.

«Gemäss Zivilgesetz müssen sich Konkubinatspartner – anders als Ehepartner – in so einem Fall nicht finanziell unterstützen. Allerdings sieht es das Sozialhilfegesetz anders: Sobald ein Paar als stabile Lebensgemeinschaft angesehen wird, wird dies bei den Sozialhilfebeiträgen so berücksichtigt, wie es auch bei einem Ehepartner der Fall wäre: Dann werden die angemessenen Wohnkosten halbiert und auch die Grundbeträge sinken.

Es sind solche Überlegungen, welche Schweighauser dazu veranlassen, Paaren mit Kindern eine Heirat zu empfehlen, wenn ein Partner seine finanzielle Unabhängigkeit aufgibt. Aus der pragmatischen Überlegung, dass beide Beteiligten im gesetzlichen Rahmen vertreten werden.

Nach Auffassung von Schweighauser muss sich noch einiges ändern, bis Konkubinatspaare und Ehepaare in diesen Konstellationen gleichberechtigt sind. In seiner Veranstaltung an der Universität Basel geht er genau auf diese Punkte ein. Und dennoch: «Auf meine Frage, welches Lebensmodell sich die Studierenden für später vorstellen, kommt von weiblicher Seite immer ein klares Votum zur unmittelbaren Betreuung der Kinder, verbunden mit  Teilzeitarbeit.» Von männlicher Seite klinge das anders. «Sie argumentieren, dass man dies erst entscheiden könne, wenn die berufliche Ausrichtung klar sei.»

*Alle Namen sind frei erfunden

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