Raphael Wicky: «Ich hoffe auf eine Initialzündung»

Auf der Rückreise von Manchester zieht Raphael Wicky Bilanz einer erstaunlichen Champions-League-Kampagne des FC Basel. Der Trainer macht sich Gedanken über die neue Hierarchie im Team, über die Rolle für Fabian Frei und Valentin Stocker, und er schätzt seine eigene Entwicklung ein: «Aus Niederlagen lernt man viel mehr.»

«Es geht nicht darum, ob ich gegen Pep Guardiola und José Mourinho gewonnen habe – es geht um die Mannschaft und den FCB» – Raphael Wicky im Etihad-Stadion von Manchester.

Raphael Wicky, wie fühlt es sich an, Pep Guardiola geschlagen zu haben?

Es ist einfach ein schönes Gefühl, Manchester City, eine der momentan zwei, drei Topmannschaften auf der Welt besiegt zu haben. Sie auswärts schlagen zu können und das sicher nicht in unserer besten Phase, ist sehr speziell. Für mich ist die Champions-League-Kampagne eine unglaublich schöne Erfahrung gewesen, aber es geht nicht darum, dass ich gegen Pep Guardiola und José Mourinho gewonnen habe, es geht um die Mannschaft und den FCB.

Was hat Pep Guardiola nach dem Spiel zu Ihnen gesagt?

Bedient: Pep Guardiola sieht sein Team gegen den FC Basel verlieren.

Ich hab nicht alles genau verstanden. Ich glaube, er hat mir alles Gute für die Zukunft gewünscht, so etwas. Ich habe gehofft, dass wir uns vielleicht später nach dem Spiel noch in einer ruhigeren Atmosphäre sprechen können. Aber das hat schon in Basel nicht geklappt: Pressekonferenzen, Termine hier, Termine da.

Wieso hat es der FC Basel geschafft, in der Champions League so starke Leistungen abzurufen?

Da gibt es verschiedene Faktoren. Die Mannschaft ist gereift, das hat mit dem ersten Spiel bei Manchester United angefangen, wo wir 0:3 verloren haben, aber keineswegs katastrophal gespielt haben, sondern als Einheit aufgetreten sind. Und dass wir gute Qualitäten haben, hat ja auch niemand infrage gestellt. In der Champions League dominiert man sicher weniger das Spiel, hat die Mannschaft nicht 60, 70 Prozent Ballbesitz und muss sie das Spiel nicht machen. Da kommt es eher auf eine sehr gute Organisation an, und das hat die Mannschaft gut hingebracht. Aber erklären kann man sich das alles manchmal nicht: Gegen Benfica gelingt das frühe 1:0 für uns, und dann hat das eine extreme Dynamik angenommen.

Heisst das, dass sich Ihr Umschaltfussball mehr für die Champions League und eher weniger für die Super League eignet?

Ich habe nie gesagt, dass ich den totalen Umschaltfussball spielen will. Das ist ein Aspekt des Spiels, den ich interessant finde. Aber es gibt auch die anderen Momente, in denen man in Ballbesitz ist. Klar ist, dass man in der Champions League gegen Gegner wie Manchester City weniger Ballbesitz hat. Aber auch auf diesem Niveau kann man nicht nur verteidigen und auf Umschaltsituationen hoffen. Da braucht es alles. Unser Ausgleichstor war keine Umschaltaktion. Das war ein konstruktiver Spielaufbau, der links beginnt und mit einem sehr schönen Spielzug über rechts wieder auf die linke Seite zurückkommt. Und nach acht, neun Pässen hat Mohamed Elyounoussi sehr schön abgeschlossen. 

Gibt es einen Spieler, den Sie nach dieser Kampagne herausheben wollen?

Puh, nein, das wäre unfair. Eigentlich ist fast jeder Match eine unglaubliche Mannschaftsleistung gewesen, auch in Manchester hat jeder Spieler fast 100 Prozent Leistung abgerufen. Es gab Überraschungen, etwa, dass Raoul Petretta in so kurzer Zeit so viele Spiele auf diesem Niveau hatte. Aber hervorheben will ich niemanden.

«Frei hat in Manchester einen sehr guten Match gemacht, aber er ist neu in der Mannschaft. Geben wir ihm ein paar Monate Zeit.»

Ist Fabian Frei mit diesem Auftritt endgültig angekommen in Basel?

Er hat ein sehr gutes Spiel gemacht, und ich nehme mal an, dass es ihm gut tut. Aber ich hoffe, dass nicht nur Fabian Frei, sondern die ganze Mannschaft Selbstvertrauen mitnimmt. Dass sie merkt, was man erreichen kann, wenn man miteinander spielt und verteidigt, gemeinsam leidet und Probleme löst. Und an etwas glaubt. So gesehen hoffe ich, dass die ganze Sache eine Initialzündung für die kommenden zweieinhalb Monate ist.

Kann Frei die Rolle des Abwehrchefs übernehmen?

Das kann ich nicht sagen. Fabian Frei ist ein sehr flexibler Spieler. Den habe ich in Gedanken auf der Zehnerposition, was er im 4-2-3-1 auch schon gespielt hat. Er kann als Sechser oder Achter agieren, und er kann sehr gut Innenverteidiger spielen. Er wird jedenfalls noch wichtig sein für die Mannschaft, man sollte ihm aber Zeit lassen. Denn ich will nicht, dass der ganze Druck auf ihm und Valentin Stocker lastet. Das ist auch nach dem sehr guten Match in Manchester so.

Sehr zufrieden war Raphael mit dem zum Abwehrchef umfunktionierten Fabian Frei (links, hier mit Serey Dié gegen Gabriel Jesus), der Trainer will aber Druck von den Rückkehrern Frei und Valentin Stocker nehmen.

Frei scheint für eine Führungsrolle wie geschaffen, gerade in der Funktion als zentraler Abwehrspieler, wo man mehr reden muss als auf anderen Positionen.

Er ist einer von denen, die das können, er hat das Alter und die Erfahrung, aber da gibt es auch andere, die das können und müssen. Aber ich lasse mich jetzt nicht zu einer Aussage verleiten. Man muss auf dem Boden bleiben: Fabian Frei hat einen sehr guten Match gemacht, aber er ist ein Spieler, der neu in der Mannschaft ist. Geben wir ihm ein paar Monate Zeit.

Und das gleiche gilt für Valentin Stocker? Er spielt in Manchester nicht und der FCB gewinnt – wie kann man das interpretieren?

Das muss man nicht interpretieren. Er hat bis dahin jeden Match bei uns gemacht. Er kommt aus einer sehr schwierigen Phase seiner Karriere in Berlin, wo er sehr wenig Spielpraxis hatte nach seiner Operation. Auch in seinem Fall sage ich: Der Druck ist nicht auf Valentin, der Druck darf auch nicht auf ihm sein. Er ist ein super Spieler, der dem FC Basel noch viel bringen wird. Aber wir haben andere Spieler, die vorher schon da waren, die auch ihre Rolle haben und diese ausfüllen, wenn ich entscheide, dass Valentin mal nicht spielt.

«Es benötigt doch mehr Zeit, wieder eine Mannschaft zu formen. Nicht nur fussballerisch, sondern auch hierarchisch.»  

Erstaunt Sie die Diskrepanz zwischen heimischer Liga und Champions League nicht?

Ich kann nicht alles erklären. Natürlich frage ich mich auch, warum wir gegen Lugano und St. Gallen nicht gewinnen, dafür aber in Manchester. Im Fussball ist sehr vieles ein Momentum, jedes Spiel hat seine Geschichte – und deshalb habe ich dafür keine absolute Erklärung.

Was sind die Probleme beim Einstieg ins neue Jahr gewesen?

Es war zwar kein Neuanfang im Winter, aber wir hatten relativ viele Wechsel. Das haben wir gemeinsam entschieden, aber es ist Fakt, dass es doch mehr Zeit benötigt, wieder eine Mannschaft zu formen. Nicht nur fussballerisch, sondern auch hierarchisch. Die Mannschaft hat eine Rollenverteilung, und jeder Spieler hat seine Rolle. Dominik Schmid hat in der Vorrunde seine Rolle gehabt, nicht auf dem Platz, wo er nicht viel Einsatzzeit hatte, aber er hat seine Rolle gehabt. Genauso wie Alexander Fransson, Omar Gaber, Renato Steffen und so weiter.

Das heisst, beim FCB wurde zu viel an der Hierarchie herumgefummelt? 

Im Nachhinein, im Mai, können wir das dann besser analysieren. Dafür ist es jetzt zu früh. Im Moment ist es einfach eine Reflexion der vergangenen vier bis sechs Wochen, als wir uns gefragt haben, warum die Leichtigkeit nicht mehr richtig da ist, warum dies oder das passiert ist.

Taugt denn die Vorstellung in Manchester dazu, nun die grosse Aufholjagd in der Super League auszurufen?

Es ist ein Anfang, aber für mich kein Anlass, mit der Mannschaft in dieser Richtung zu reden. Ich werde das nächste Spiel in Luzern thematisieren, wo wir die drei Punkte holen wollen und müssen, um uns wieder auf die Siegerspur zu bringen und um Sicherheit zurückzuholen. Durch die beiden Spielabsagen sind es 14 Punkte Rückstand auf YB, und für mich ist es psychologisch der völlig falsche Ansatz, wenn ich anfange, vier, fünf Wochen vorauszuschauen.

Abschied von der grossen Bühne: Die Spieler des FCB vor der stimmgewaltigen und farbenfrohen Kurve ihrer Fans im Etihad-Stadion.

Wie haben Sie als Neueinsteiger die acht Champions-League-Spiele weitergebracht? Was haben Sie gelernt?

Dass im Fussball vieles möglich ist mit einer intakten Mannschaft …

… das haben Sie vorher schon gewusst.

Allerdings habe ich als Trainer noch nie auf diesem Niveau gegen die absoluten Topmannschaften antreten können. Ich habe gesehen, dass wir, was das Spielerpotenzial und die finanziellen Mittel angeht, in einer anderen Welt schweben als die meisten anderen Teams. Ich habe also erlebt, dass wir als Mannschaft auftreten müssen, um eine perfekte Nacht haben zu können und dass mit anderen Gesichtspunkten etwas zu holen ist.

«Vieles fällt einfacher, wenn man gewinnt. Aber aus Niederlagen lernt man viel mehr.» 

Was macht das atemlose Tagesgeschäft mit Ihnen?

Es sind intensive acht, neun Monate, die hinter mir liegen. Das spüre ich schon. Aber es ist nicht so, dass mich das überrascht. Und es ist klar, dass vieles leichter fällt, wenn man gewinnt. So wie im Oktober, November, Dezember. Aber es ist auch so, dass man aus Niederlagen viel mehr lernt und mehr herauszieht.

Hat diese Zeit Sie als Mensch verändert?

Nein. Aber als Trainer hoffe ich schon. Du machst ganz viele Erfahrungen, ob das auf dem Feld ist, ob das die Menschenführung ist und alles drum herum. Da werde ich in fünf Jahren wahrscheinlich ein anderer Trainer sein. Aber kein anderer Mensch.

Ist es eigentlich ein unangenehmer Gedanke für Sie, nach acht Jahren der erste Trainer des FC Basel zu sein, der keinen Titel holt?

Daran denke ich eigentlich nicht gross. Ich will Meister werden, so bin ich in die Saison gegangen und damit gehe ich jeden Tag ins Training und versuche jeden Tag das Beste zu machen, um meine Mannschaft und meine Spieler weiterzuentwickeln. Das kann ich beeinflussen. Was dann am Ende dabei herauskommt, weiss ich nicht. Und wenn es dann so wäre, keinen Titel zu gewinnen, dann mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist. Aber ich stehe nicht jeden Morgen auf und denke: Hoffentlich bin ich nicht der Erste.

https://tageswoche.ch/sport/marek-suchy-das-ist-genau-das-erlebnis-das-wir-gebraucht-haben/
https://tageswoche.ch/sport/ein-beschenkter-jubilar-und-zwei-zuverlaessige-kandidaten/
https://tageswoche.ch/sport/live-manchester-city-fc-basel-20-45-uhr-wicky-setzt-auf-frei-und-bua/

Nächster Artikel